Muslime in Nahost-Krise: Wie predigt der Imam für Frieden?

Verurteilen die islamischen Verbände in Deutschland den Terror der Hamas scharf genug? Kritiker sagen: Nein. Die Politik hat Klärungsbedarf.

Dach einer Moschee mit sichelförmigem Halbmond

Unter deutschen Dächern: Kuppel der Al-Muhajirin-Moschee in Bonn Foto: Christoph Hardt/imago

BERLIN taz | „Als Muslime verurteilen wir alle terroristischen Handlungen, unabhängig davon, von wem sie ausgehen und gegen wen sie gerichtet sind“, hieß es in der Freitagspredigt der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib), die in der vergangenen Woche in fast 1.000 deutschen Moscheegemeinden verlesen wurde. Die Predigt ging aber auch auf „jegliche Art von Besatzungsversuchen“ und „Embargos, die den Zugang zu den Grundnahrungsmitteln verhindern und einschränken“, ein – ein klarer Verweis auf die Situation in Gaza.

Die Ditib ist der größte Islamverband hierzulande und eng mit dem türkischen Staat verflochten. Ähnlich wie er positionieren sich auch die anderen großen Islamverbände in Deutschland.

Am Dienstag wurden deren Vertreter ins Bundesinnenministerium nach Berlin zitiert, um sich über „die aktuelle Lage in Deutschland nach den Terroranschlägen der Hamas in Israel“ auszutauschen, wie es aus dem Ministerium vage hieß. Ressortchefin Nancy Faeser (SPD) selbst nahm an dem Termin nicht teil, erklärte aber vorab: „Die allermeisten Muslime in Deutschland lehnen den Terror der Hamas entschieden ab. Mit ihnen müssen wir das Gespräch suchen.“ Sie erwarte von allen islamischen Verbänden „eine glasklare Verurteilung des Terrors der Hamas“.

Sprechen Muslime auch von „Terror“?

Zwar haben sich mehrere islamische und türkische Organisationen in Deutschland in den vergangenen Tagen mit Jüdinnen und Juden solidarisiert und zu Frieden aufgerufen. „Wir verurteilen auf das Schärfste die jüngsten Terrorakte im Nahen Osten und sind bestürzt über die Gewalt verherrlichenden Äußerungen und Gesten in Berlin“, hieß es etwa in einer am vergangenen Donnerstag veröffentlichten Erklärung, die von 18 Berliner Imamen unterzeichnet wurde. Die Verhöhnung der Opfer von Terror und Mord seien „inakzeptabel und religiös nicht begründbar.“

Auch säkulare Organisationen wie die Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD) fanden klare Worte. „Bleiben Sie besonnen! Halten Sie sich von der Manipulation der Hamas fern, diese schadet den Muslimen in aller Welt!“, appelierte etwa deren Bundesvorsitzender Gökay Sofuoglu an muslimische Deutsche.

Der „Koordinationsrat der Muslime“ verurteilte sogar nur einen Tag nach dem Großangriff der Hamas deren „Gewalt gegen Zivilisten“. Dem Verband gehören alle großen Islamverbände an und damit die Mehrheit der über 2.600 Moscheegemeinden in Deutschland. Kritik entzündete sich allerdings daran, dass in dieser ersten Erklärung das Wort „Terror“ fehlte. Das stieß Politikern wie Jens Spahn (CDU) und Cem Özdemir (Grüne) übel auf.

„Als wir die Erklärung vor zehn Tagen formuliert haben, verfügten wir noch nicht über das Wissen von heute über das ganze Ausmaß der Gewalt“, sagte Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime (ZMD) am Dienstag gegenüber der taz entschuldigend. Der Angriff sei „eindeutig als Terror zu bezeichnen“. Mazyek warnte aber auch vor einer weiteren Eskalation: Die Zahl der Toten in Gaza steige gerade unaufhörlich.

Hetze bei Pro-Palästina-Demos

Zusätzliche Brisanz erhielt das Treffen am Dienstag durch zahlreiche propalästinensische Demonstrationen in den vergangenen Tagen, bei denen einige Teilnehmer den Terrorangriff der islamistischen Hamas relativierten oder bejubelten. In Berlin wurde die Polizei am Sonntag von einer Pro-Palästina-Demo überrumpelt, zu der statt der angekündigten 50 über 1.000 Menschen kamen. Die Polizei setzte Reizgas und Schlagstöcke ein, um sie aufzulösen.

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan, mahnte an, man müsse jedoch differenzieren: „Man kann nicht alle Menschen, die sich legitime Sorgen machen um die Situation in Palästina, in einen Topf werfen mit Menschen, die wirklich menschenverachtende Aussagen bejubeln oder sie selbst tätigen“, sagte die SPD-Politikerin am Dienstag gegenüber dem TV-Sender RTL.

Der Zentralrat der Muslime war am Dienstag als einziger der großen Islamverbände nicht ins Bundesinnenministerium eingeladen worden. „Ich haben das bedauernd zu Kenntnis genommen“, sagt Aiman Mazyek. Es sei notwendig, dass gerade jetzt alle an einem Strang zögen, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sichern. „Da geht gerade viel kaputt.“

Krisengespräch in Düsseldorf

Bereits am Montag hatten sich die vier wichtigen islamischen Verbände in Nordrhein-Westfalen in der Düsseldorfer Staatskanzlei mit deren Chef Nathanael Liminski (CDU) getroffen. Bei diesem Treffen war der Zentralrat dabei- „Wir werden nicht zulassen, dass die terroristischen Angriffe der Hamas auf unseren Straßen bejubelt oder auch nur relativiert werden“, hieß es anschließend in einer gemeinsam Erklärung. Jegliche Form von Antisemitismus habe in Nordrhein-Westfalen „keinen Platz“. In Nordrhein-Westfalen leben rund ein Drittel aller Muslime in Deutschland.

Ein weiteres Krisengespräch gab es am Dienstag im Bundestag. Dorthin hatten die religionspolitischen Spre­che­r*in­nen und Be­richt­erstat­te­r*in­nen von SPD, FDP, Union, Grünen und Linkspartei die Islamverbände der Deutschen Islamkonferenz zu einem kurzfristig eingeladen.“ Alle anwesenden Verbände waren sich einig, dass die Gräueltaten der Hamas gegen die israelische Bevölkerung uneingeschränkt zu verurteilen und die Geiseln von der Hamas unverzüglich freizulassen sind“, erklärte Lamya Kaddor, die religionspolitische Sprecherin der Grünen, anschließend. Man werde nicht zulassen, dass „terroristische Angriffe der Hamas auf unseren Straßen bejubelt oder relativiert werden“.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.