Pädagogen über den Nahost-Konflikt: „Verbote bringen herzlich wenig“

Das jüdisch-palästinensische Duo Shai Hoffmann und Jouanna Hassoun will an Schulen über die Gewalt in Nahost sprechen. Wie kann das gelingen?

Polizei bewacht eine Gruppe an Schülern am Ernst-Abbe-Gymnasium in Berlin

Aufruhr am Ernst-Abbe-Gymnasium in Berlin nach Rangelei zwischen Lehrer und Schülern Foto: Christian Mang

taz: Herr Hoffmann, Frau Hassoun, ab diesem Mittwoch werden Sie beide bundesweit an Schulen gehen, um mit Jugendlichen über den Nahostkonflikt zu sprechen. Wie kam das Format zustande?

ist Geschäftsführerin des Bildungsvereins Transaidency und gibt gemeinsam mit Shai Hoffmann Workshops an Schulen zum Nahostkonflikt. Sie lebt seit ihrer Kindheit als Tochter palästinensischer Geflüchteter in Berlin.

Jouanna Hassoun: Wir haben die Trialoge aus der Not heraus ins Leben gerufen. Den Anlass gab vor allem das Video, in dem man sieht, wie es an einer Berliner Schule zu Gewalt zwischen einem Schüler und einem Lehrer kommt. Man muss aber bedenken: Die Jugendlichen, mit denen wir für frühere Projekte gesprochen haben, sind nicht diejenigen, die jetzt Randale machen oder jüdische Menschen bedrohen. Viele wenden sich dieser Tage an mich und sagen: „Wir sind doch keine Hamas-Anhänger. Wir wollen einfach nur mitfühlen mit unseren palästinensischen Freunden und Geschwistern. Warum werden wir abgestempelt, als wären wir Monster und Terroristen?“

leitet das gemeinnützige Unternehmen Gesellschaft im Wandel und hat mit Jouanna Hassoun das Trialog-Format entwickelt. Seine Eltern kommen aus Israel, er lebt in Berlin.

Shai Hoffmann: Wir haben mittlerweile schon über hundert Anfragen für Trialoge bekommen. Wir kommen diesen ganzen Einladungen – und Hilferufen – von Leh­re­r:in­nen gar nicht hinterher.

Wie versuchen Sie, mit den Jugendlichen ins Gespräch zu kommen?

Hassoun: Wir versuchen authentisch und empathisch zu sein und zuzuhören. In der aktuellen Phase sind die Jugendlichen extrem emotionalisiert durch die ganzen Bilder auf Tiktok oder Instagram. Da können wir ihnen nicht mit Fakten kommen. Das Einzige, was wir tun können, ist, ihre Gefühle ernst zu nehmen und sie nicht in eine bestimmte Ecke zu stellen.

Und doch gibt es auch menschenverachtende Äußerungen. Wie gehen Sie damit um?

Hassoun: Auch dafür muss der Raum unbedingt da sein. In einem geschützten Raum kann man das aufbrechen. Wenn wir den Jugendlichen in der Schule nicht die Möglichkeit geben, ihre Vorurteile, Ängste und Wut auszudrücken, dann werden sie Hass und Hetze auf Social Media verbreiten. Meine persönliche Erfahrung zeigt: Das sind keine knallharten Antisemiten und Israelfeinde – das sind Jugendliche. Die haben alle Zeit der Welt, von der Gesellschaft begleitet zu werden, damit sie zu reflektierten Menschen heranwachsen.

Auch unter jüdischen Schü­le­r:in­nen wächst die Angst vor antisemitischen Anfeindungen.

Hoffmann: Als die Hamas an dem Freitag nach dem Angriff zu Gewalt aufrief, hatten jüdische Kinder Angst, in die Schule zu gehen. Und das in Deutschland im Jahr 2023, viele Jahrzehnte nach dem Völkermord an Jüdinnen und Juden. Das ist eine Katastrophe! Ich habe mal mit einer Schulleiterin gesprochen, die meinte: „Von ein paar Schü­le­r:in­nen weiß ich, dass sie Muslime sind. Aber wer jüdisch ist, wissen wir nicht. Die halten sich bedeckt.“

Hassoun: Mir als Palästinenserin ist es wichtig, dass meine jüdischen Mitbürger keine Angst vor mir und meinesgleichen haben müssen. Doch leider gibt es auch auf der jüdischen Seite gewisse Ressentiments gegenüber Muslimen. Vor ein paar Jahren war ich bei einem jüdisch-muslimischen Dialog. Die jüdischen Jugendlichen dort hatten wenig Kontakt mit Muslimen. Sie kannten sie vielleicht von der Straße, oder aus den Medien, aber hatten keine zwischenmenschliche Interaktion. Ich habe das nicht persönlich genommen, aber mir wurde die Frage gestellt, ob Palästinenser und Muslime eigentlich dumm seien. Weil die Jugendlichen über die Medien mitbekommen hatten, dass die laut sind und Stress machen. Wir müssen Hass und Hetze also in der Mehrheitsgesellschaft stoppen, aber auch in den diskriminierten Communitys.

Wie kommen diese Ressentiments zustande?

Hoffmann: Das ist ein Ausdruck der Migrationsdebatte in Deutschland. Die ist im Grunde wahnsinnig islamfeindlich. Es wird immer behauptet, die bösen Muslime würde uns infiltrieren und unsere Frauen vergewaltigen – und, dass sie den Antisemitismus mitbringen. Natürlich gibt es Dispositionen, die sie aus ihren Ländern mitbringen. Aber ich habe selbst erlebt, wie sich Geflüchtete öffnen. Ich habe einen Kumpel aus Syrien, der ist 2015 geflohen. Ich war der erste Jude, dem er je begegnet ist. Jouanna und ich glauben deswegen beide ganz stark an Begegnungen, weil sie dazu führen, dass Vorurteile abgebaut werden.

Die Politik in Deutschland reagiert stattdessen mit Demonstrationsverboten. Berliner Schulen können zudem palästinensische Symbole verbieten. Was soll das bringen?

Hassoun: Erstens bringen diese Verbote in unserem pädagogischen Kontext herzlich wenig. Sie führen dazu, dass viele Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen denken: „Ich habe keine Meinungsfreiheit mehr.“ Mich als politische Bildnerin hindert das bei meiner Arbeit. Denn die Jugendlichen verschließen sich dann und bekommen das Gefühl, nicht mehr mit uns reden zu können, weil wir das Gesagte eventuell gegen sie nutzen. Und zweitens: Als Palästinenserin finde ich es ungeheuerlich, dass plötzlich Palästinaflaggen und die Kufiya (das sogenannte Palästinensertuch; Anm. d. Red.) kriminalisiert werden.

Viele Leh­re­r:in­nen wirken mit der Lage überfordert. Woran mangelt es?

Hassoun: Sie brauchen Fortbildungen. Aber auch die Möglichkeit, sich selbst und ihre eigene Haltung zu Rassismus und Antisemitismus in Gesprächen zu reflektieren: Wie kann ich die palästinensische Identität neben die israelische stellen, ohne dass die eine die andere negiert? Ohne dass ich meinen Schülerinnen sage: Du kannst das israelische Militär nicht kritisieren oder unschuldigen Opfern dein Mitgefühl aussprechen.

Hoffmann: Ich möchte natürlich nicht alle über einen Kamm scheren, aber auch Leh­re­r:in­nen wissen manchmal nicht, mit welcher Verstrickung sie auf diesen Konflikt schauen und welche Emotionen und Vorurteile sich in ihnen breit machen. Die Lehrkräfte müssen im Unterricht Safe Spaces schaffen, in denen sich Schü­le­r:in­nen jeglicher Herkunft wohlfühlen, wirklich das sagen zu können, was sie umtreibt. Jouanna und ich denken da etwa an die 45.000 Ber­li­ne­r:in­nen aus der palästinensischen Diaspora. Die bringen Fluchterfahrungen mit, von Eltern und Großeltern, die vertrieben wurden. Das sind tiefe Wunden.

Welches Feedback geben Ihnen Lehrkräfte, nachdem Sie an Schulen waren?

Hassoun: Ich bekomme viele Nachrichten von Lehrer:innen, die sich bei mir dafür bedanken, dass wir bereit sind, sie zu unterstützen. Eigentlich müsste das die Schule oder die Schulverwaltung leisten – tun sie aber oft nicht. Da müssen wir aus der Zivilgesellschaft heraus als Privatpersonen oder NGOs unterwegs sein, um dafür zu sorgen, dass die gesellschaftliche Spaltung nicht größer wird.

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