Klimakrise im Journalismus: Objektivität ist eine Illusion
Klima-Journalist_innen wird oft vorgeworfen, aktivistisch zu handeln. Dabei berufen sie sich auf Fakten. Wo beginnt und wo endet das Subjektive?
T exten über das Klima wird häufig vorgeworfen, zu viel Haltung zu zeigen und nicht objektiv genug zu sein. Dabei sind wir an so einem kritischen Punkt in der Klimakrise angekommen, dass die Plattformen, die nicht ernsthaft über sie schreiben, der unterlassenen Hilfeleistung bezichtigt werden sollten.
Aus philosophischer Perspektive ist Objektivität ohnehin kein angemessener Standard. Menschen gehen immer mit einem Set an Überzeugungen in die Welt, die die Objektivität aller Aussagen einschränkt.
Im Frühjahr dieses Jahres ist die Debatte, wo Aktivismus anfängt und Journalismus aufhört, über den Aktivisten und ehemaligen Journalisten Raphael Thelen erneut entfacht. Er erzählte im Podcast „Holger ruft an …“, dass er nicht mehr frei übers Klima schreiben könne, und wechselte schließlich die Seiten. Er schrieb für Medien wie Spiegel oder Zeit und ist nun Teil der Letzten Generation.
Einige Redaktionen hätten seine Texte kritisiert und schließlich zensiert, da sie nicht objektiv gewesen seien, obwohl er lediglich die Fakten, wie etwa die des Weltklimarats, ernst genommen und debattiert habe. Die harte Trennung zwischen Aktivismus und Journalismus sei artifiziell und nütze den Leuten, die nicht wollten, dass Klima in großem Umfang in den Medien stattfindet.
Kein journalistischer Meinungstext ist kein Oxymoron
Das sei beispielsweise der Lobby-Arbeit der fossilen Industrie zu verdanken. Er sagt auch, dass das Klimathema ungerechtfertigt eine besondere Stellung bekommen habe und schnell die Aktivismuskarte gezückt würde.
Klimakrise, -wandel oder -katastrophe, egal wie wir es nennen: Wir stecken alle drin, auch die Medien. Deswegen hat das Medienressort der taz im Sommer 2023 genau dazu eine Reihe organisiert. Hier finden sie alle Texte der Reihe:
■ Popkultur: Welche Klimaauswüchse gibt es in der Popkultur von Serien und Games?
■ Grenzgänger: Ist Klimajournalismus aktivistisch oder objektiv?
■ Windkraft: Welche Narrative nutzen Medien, wenn sie über Windkraft sprechen? Und was sagt die Wissenschaft dazu?
■ Presseförderung: Was muss sich bei der Presseförderung ändern, damit Klimajournalismus stärker wird?
■ Longermism: Warum nennt Musk alles „X“ und was hat das mit Eugenik und Klima zu tun?
■ Organisation: Wie versuchen Medienhäuser sich selber aufzustellen und welcher Weg ist wohl der beste?
■ 7 Schritte: Wie können Medien ihre Berichterstattung über die Klimakrise verbessern?
So sprach Ulf Poschardt von einer „Kernfusion von Klimajournalismus und Klimaaktivismus“, als der Stern und die taz jeweils eine gesamte Ausgabe dem Klima widmete. Auch den öffentlich-rechtlichen Sendern wird etwa von der Neuen Zürcher Zeitung eine Indoktrinierung der Klimaberichterstattung vorgeworfen.
Journalismus habe objektiv zu sein. Das stimmt natürlich, andererseits ist ein journalistischer Meinungstext kein Oxymoron. Es gibt Meinungsstücke, Kommentare oder Kolumnen, die trotz ihrer Haltung nicht als weniger journalistisch bezeichnet werden. Trotzdem: Egal um welchen Text es sich handelt, absolute Objektivität ist immer ein unrealistischer Standard.
Das Wort „Krise“ ist nicht objektiv
Es gibt Millionen von Ereignisse, über die man berichten könnte, doch nur das, was die Öffentlichkeit, meine Kolleg_innen und ich für wichtig halten, wird geschrieben. Auch wenn es die Klimakrise offensichtlich gibt, wird nicht über sie geschrieben, weil sie ein Faktum ist, sondern weil sie wichtig ist. Objektivität geht hier bereits verloren, wenn man die normative Entscheidung trifft: Was ist relevant, was ist irrelevant?
Gleichzeitig wird Objektivität vernachlässigt, wenn man die Klimakrise als solche bezeichnet. Die Tatsache, dass ich sie „Krise“ nenne, zeigt, dass ich sie für problematisch halte. Somit ist das Wort nicht objektiv. Das ist nicht ein Problem, sondern unvermeidbar. Der Objektivitätsstandard beim Klimathema ist daher wie auch bei anderen unrealistisch.
Subjektivität beginnt, bevor man explizit eine Meinung ausdrückt. Sie kann nicht umgangen werden. Absolute Objektivität ist eine Illusion. Viel mehr funktioniert das Ganze auf einem Spektrum: auf der einen Seite die Objektivität, auf der anderen Subjektivität – oder eben Haltung. Mal hat ein Text mehr vom einen, mal mehr vom anderen. So gesehen gibt es nicht wirklich eine klare Trennung zwischen „journalistisch-objektiven“ Stücken und Texten mit Haltung.
In die Szene eintauchen, um ehrlich über sie zu schreiben
Es gibt Ausschlusskriterien, ab wann man zu involviert in einem Thema ist, um darüber zu schreiben, oder wann ein Text zu subjektiv ist. Parteimitgliedschaft, Verwandtschaft und finanzielle Profitabilität zum Beispiel.
Doch Teil einer Gruppe zu sein, über die man schreibt, kann auch nützlich sein, wie Hunter S. Thompson über seine Recherchen im Drogendistrikt San Franciscos in den 1960er Jahren schreibt. Ihm zufolge müsse man in eine Szene eintauchen und Teil von ihr werden, um ehrlich über sie zu schreiben.
Das Wort „ehrlich“ sollte hervorgehoben werden. Eine Autorin, die die Folgen der Klimakatastrophe – vielleicht sogar im Rahmen aktivistischer Arbeit – aus erster Hand gesehen hat, kann auf angemessene und ehrliche Weise vermitteln, wie schwerwiegend diese Folgen sind, und Leser_innen informieren. Diese Texte als aktivistisch zu bezeichnen, wird dem Ausmaß der Klimakrise nicht gerecht.
Menschen, die von spezifischen Problemen betroffen sind, verfügen über einzigartiges Wissen über diese Probleme. Sie haben einen besonderen epistemischen (das Wissen betreffenden) Zugang, weil sie die besondere Unterdrückung, die ihre Gruppe betrifft, oft aus erster Hand erfahren.
Fakten werden verschieden interpretiert
Frauen schreiben über sexuelle Gewalt an Frauen, PoCs über Rassismus oder Queers über LGBTQ+-Rechte. Wir empfinden solche Einblicke bei gewissen Themen als besonders wertvoll. Niemals würde man in solchen Fällen sagen, dass die Autorin Eigeninteressen in ihren Texten vertritt. Der Unterschied ist, die Klimakrise betrifft uns alle, auch wenn viele es nicht wahrhaben wollen.
Sicher gibt es gewisse Länder und Schichten, die zuerst unter den Folgen der Klimakrise leiden werden und es bereits tun. Doch letztlich ist es ein universales Problem, über das auch als solches berichtet werden sollte. Die Klimakrise ist wissenschaftlicher Konsens, also warum nicht im Journalismus?
Wenn eine Information auf verschiedene Menschen trifft, kann sie auf unterschiedliche Art interpretiert werden. Obwohl es die gleiche Information ist, kann sie verschieden wahrgenommen und sogar zu gegenteiligen Überzeugungen führen.
Den Verweiger_innen Anti-Klima-Aktivismus vorwerfen
Wichtig ist, zu betrachten, welche Menschen wie interpretieren. Wenn uns Expert_innen darauf hinweisen, dass die Fakten ernst zu nehmen sind und Ideolog_innen oder Profiteur_innen die Klimakrise leugnen, ist klar, wer hier die realistischere Einschätzung vornimmt.
Es wird diesen Menschen ein Gefallen getan, wenn man nicht über die Klimakrise schreibt und stattdessen eine deplatzierte Debatte über Haltung führt. Ein aktuelles Beispiel findet man in der FAZ, die ARD und ZDF vorwirft, „Greenwashing“ zu betreiben. Statt den Plattformen, die sich mit der Klimakrise auseinandersetzen, vorzuwerfen, dass sie zu viel Haltung zeigen, wäre es zutreffender, denen, die es nicht tun, Anti-Klima-Aktivismus vorzuwerfen.
Wichtig ist, dass sich die, die schreiben, keinen Vorteil verschaffen und sich nicht weigern, zu kritisieren, wenn etwas passiert, das kritikwürdig ist. Wenn man das Wort „Aktivismus“ so schnell um sich wirft, ist auch derjenige, der über Diktaturen schreibt, Demokratieaktivist und überhaupt: Betreiben die meisten Journalist_innen nicht Wahrheitsaktivismus? Vielleicht ist diese Art von (vermeintlichem) Klimaaktivismus nicht so schlimm.
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