Falscher Jude: Ein identitätspolitischer Täuscher
Der Autor Fabian Wolff galt als jüdische Stimme der Israelkritik. Nun ist klar: Er ist gar kein Jude. Sein Fall steht auch für das Versagen des linksliberalen Feuilletons.
E r ist aufgeflogen. Einer, der von sich behauptete Jude zu sein, es aber gar nicht ist. Am Wochenende hatte Zeit Online einen Text ihres freien Autors Fabian Wolff veröffentlicht, in dem er zugibt, kein „real-life Jew“ zu sein. „Mein Leben als Sohn“ ist dieser Text überschrieben, der Kern, die jahrelang falsche vor sich hergetragen jüdische Identität, ist tief in diesem ichbezogenen und mit Fremdwörtern überladenen seitenlangen Essay vergraben.
Keine Entschuldigung, die Auflösung ziemlich verschachtelt erst zum Schluss, keine kritische Selbstbefragung und Distanz. Ein vermeintlich aufklärerischer Text, der ohne Klarsicht aber keine Aufklärung bietet. Selbstgerechte Nabelschau, mehr nicht.
Ich habe einige Tage darüber nachgedacht, ob es sinnvoll ist, sich dazu zu äußern. Auch ich empfinde, wie viele andere, auf privater Ebene von Wolff getäuscht worden zu sein. Ich kannte Fabian Wolff aus dem Internet, wie man so schön sagt, über einen Kollegen. Daraus entstand vor vielen Jahren ein loser Austausch. Beinahe hätte ich im Frühjahr 2020 ein Panel mit ihm und anderen Gästen moderiert, doch dazu kam es nie. Immer häufiger trat er dann mit politischen Positionen öffentlich auf, mir wurde sein Ton zu abwertend, zu selbstgerecht, ich sah mich weit entfernt von seinen Einstellungen. Ich habe immer geglaubt, dass da ein Jude spricht.
Wolff hat sich auf die für ihn richtige Weise zu seinem Irrtum bekannt; ich glaube nicht, dass die Öffentlichkeit auf mehr Selbstoffenbarung hoffen kann. Eine Aufarbeitung ist sinnvoll. Sich an seiner Person endlos abzuarbeiten hingegen nicht. Entscheidender scheint mir, die Strukturen, die Verkommenheit gesellschaftlicher Debatten über jüdisches Leben und Antisemitismus, über Gedenkkultur und Israel, über die Frage, wer wie dazu sprechen und kritisieren darf, kritisch zu hinterfragen.
Linke Israelfeinde
Aus der Behauptung, Jude zu sein, aus einer jüdisch-diasporischen Position zu sprechen, leitete Wolff lange Zeit eine Legitimation ab, bestimmte Argumente formulieren zu können. Argumente mit Wahrheitsanspruch. Wolff war für eine Teilöffentlichkeit zur Stimme der Israelkritik geworden. Ein Jude noch dazu. Für ein linkes Publikum der perfekte Kandidat, um Gedanken auszusprechen, die sie selbst zwar auch dachten, aber wenn’s ein Jude in die Zeitung schreibt, wird es vermeintlich legitimer – und knallt eben mehr.
Insofern müssen sich die Kolleg:innen von Zeit Online die Frage gefallen lassen, warum es so attraktiv war, einem Autor, der außerhalb des Feuilletons keine entscheidende Rolle im gesellschaftlichen Diskurs gespielt hat, 2021 einen prominenten Platz für die Verharmlosung des Israelboykotts zu geben. Und das zu einer Zeit, in der Antisemitismus auf linken oder israelfeindlichen Demonstrationen einen neuen Höhepunkt in Deutschland erreichte und in offenen Briefen von Freiheitseinschränkungen in der Antisemitismusdebatte, bei der auch BDS eine Rolle spielt, fabuliert wurde. Ich weiß schon: Weil das deutsche Feuilleton, weil Linke wie Linksliberale, gedanklich an diese vermeintliche „Israelkritik“, auf die es am Ende immer hinausläuft, anknüpfen können.
Einer, der vorgab, etwas zu sein, was er nicht war, wurde zum Repräsentanten einer ganzen Gruppe stilisiert. Spätestens da hätte man stutzig werden und recherchieren sollen, wer die Mehrheit der Jüdinnen und Juden in Deutschland ist; dass ihr Repräsentant er nicht sein konnte, weil er eben nicht, wie er selbst schrieb, „irgendwie postsowjetisch“ war, und er den Teil der jüdischen Linken in Deutschland, die israelsolidarischen, antisemitismuskritischen, in seinem Weltbild ausklammerte, also auch ihr Repräsentant nicht sein konnte.
Für seine falschen Behauptungen ist Wolff selbst verantwortlich, an seinem Aufstieg haben andere mitgewirkt. Auch das gehört zu dieser Geschichte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt