taz-Debatte über Müll-Kolumne: Wer spricht? Wer schweigt?
Die taz besteht aus vielen sehr unterschiedlichen Stimmen. Doch nicht alle sprechen unter den gleichen Voraussetzungen.
Dieser Text ist Teil einer innerredaktionellen Debatte über die Kolumne „All cops are berufsunfähig“ von unserer Autor:in Hengameh Yaghoobifarah. Es werden in den kommenden Tagen weitere, konträre Texte folgen.
Im Ressort taz zwei, das ich leite, haben wir am vergangenen Montag eine Kolumne von Hengameh Yaghoobifarah veröffentlicht, mit der viele Kolleg:innen nicht einverstanden sind. Ich habe die Kolumne als eine polemische und satirisch-groteske Kritik an einer Machtstruktur, an einem Gewaltmonopol und an einer Reihe von ungeklärten und unverhinderten Ermordungen in Deutschland gelesen. Ich habe sie im Kontext der aktuellen politischen Lage gelesen, weil: wie denn sonst?
Ich stehe zur Autor:in, das Ressort ebenso und auch viele weitere Kolleg:innen aus dem Haus haben direkt, intern oder öffentlich bereits ihre Solidarität bekundet. Einen tieferen Konflikt in der taz lege diese Debatte offen, sagte Chefredakteurin Barbara Junge, und da hat sie durchaus recht. Es ist eine Tradition, dass große interne Konflikte – und wenn man genau hinsieht, auch kleine – im Blatt ausgetragen werden. Nicht alle aber halten diese Form der Debatte unter den gegebenen Umständen für eine gute Sache.
Was die Aufregung um die taz-zwei-Kolumne derzeit vor allem offenlegt, ist, dass wir innerhalb der Redaktion nicht alle gleich sind. Zum einen, weil Solidarität etwas ist, das nicht allen im gleichen Maße und ohne Zögern zuteil wird.
Zum anderen, weil das Wort „Identitätspolitik“ von einigen, meist weißen Kolleg:innen immer wieder gebraucht wird, um Autor:innen, Redakteur:innen und Ressortleiter:innen, die sich selbst als BPoC (Schwarze Menschen und People of Color) verstehen, Kompetenz, Vernunft, Objektivität oder Relevanz abzusprechen. Als ginge es am Ende um Betroffenheit versus Nichtbetroffenheit. Doch in einer Gesellschaft kann es eine Nichtbetroffenheit von der Betroffenheit der anderen nicht geben.
Wer ohne Identität sei, der werfe
Es ist erstaunlich, dass diese Kolleg:innen annehmen, sie selbst seien objektiv und identitätslos. Als wären sie nicht geboren in eine Familie mit einer Geschichte, mit Erfahrungen, mit Geld oder ohne, vielleicht im Osten oder im Westen. Als würden sie die Welt nicht aus einer weißen Perspektive betrachten – als Frau, als Mann, als Person.
Als könnte man sie nicht genauso einzeln auffächern in die jeweilige Sprecherposition, die für alles, was sie sagen, maßgeblich ist. Es ist eben das Private politisch und im Grunde ist alles Identitätspolitik.
Manchen erscheint es dennoch ganz hilfreich, BPoC immer wieder eine Opferhaltung zu attestieren, während sie selbst auf ihrem über die Jahre sorgfältig gemäuerten Podestchen die „neutralen“ Beobachter:innen mimen.
Die Enttäuschung, als BPoC mit dem Totschlagargument „identitätspolitisch“ abgekanzelt zu werden, wie es auch die Autor*innen/Kolleg*innen in der letzten Ausgabe der taz am Wochenende getan haben, ist gerade in einem Haus wie diesem groß.
„All Lives Matter“-Take mit Rüschen dran
Denn die taz ist ein Umfeld, in dem andere Emanzipationsbestrebungen verstanden und unterstützt werden, etwa jene von Frauen oder Homosexuellen. Jeweils nicht immer einwandfrei und zum Teil noch mit Luft nach oben, aber der grundlegende Konsens scheint hier vorhanden zu sein.
Dagegen wird die Gleichstellung von BPoC gerne in verschachtelten Vorträgen als neoliberal oder schlicht egoistisch abgetan. Das ist im Grunde ein „All Lives Matter“-Take mit ein paar Rüschchen dran. Gaslighting, also eine Form der Manipulation, durch die unterstellt wird, der Wille, sich für die eigenen Rechte einzusetzen, käme allein aus einer Motivation, andere abzuwerten, oder um den Preis, andere Missstände stillschweigend akzeptieren zu müssen.
Einen weiteren Punkt in der Debatte hat der Tagesspiegel aufgeworfen: „Scharfe Kritiker der Kolumne von Yaghoobifarah in der ‚taz‘-Redaktion stellen sich Polizei-Kritik anders vor – beispielsweise wenn zum extrem rechten Nordkreuz-Netzwerk recherchiert werde oder über Racial Profiling berichtet werde“. Und ja, klar, das ist eine Stärke der taz.
Doch die Ressorts sind autonom, sie entscheiden selbst, was sie veröffentlichen und welchen Themen sie sich widmen – auch das ist eine Stärke der taz. Die eine Form von Journalismus gegen die andere auszuspielen, abzuwägen oder unterzuordnen, damit würde sich die taz in ihren Ausdrucksmöglichkeiten beschränken.
Wut als rassistische Zuschreibung
Seriösen Journalismus scheint man für viele nur machen zu können, indem man andere betrachtet, ohne dabei sich selbst zu erkennen. Ohne emotional zu werden. Auf gar keinen Fall sollte man als BPoC gar wütend werden, das wird gerne als Hass ausgelegt.
Dass Wut durchaus eine rassistische Zuschreibung sein kann, geschenkt. Gleichzeitig soll man aber bitte wütend sein, wenn es gerade gut passt, für redaktionelle Debatten, für publizistische Beiträge. Und dann wird wiederum unterstellt, es ginge nur um Clickbaiting und um Aufmerksamkeit.
So schreibt zuletzt Stefan Reinecke: „Mit einer Biografie als schwuler, urbaner Migrant lässt sich auf den Aufmerksamkeitsmärkten mehr Kapital generieren als mit einem Dasein als Normalo in Eisenhüttenstadt“, und dazu kann man nun wirklich nicht mehr viel Vernünftiges sagen, außer: Dieses „Kapital“ könnt ihr gerne haben und das Trauma gibt's gratis dazu.
Reinecke schreibt auch, die taz habe „in 40 Jahren viel Unfug geschrieben“. Sie sei libertär und durchlässig für Strömungen gewesen, doch dann vergleicht er die erschienene Kolumne ausgerechnet mit Beiträgen, die die RAF oder Kindesmissbrauch – also reale Gewalt – verteidigt haben, was nicht nur einen Zusammenhang herstellt, wo keiner ist, sondern auch Machtverhältnisse vollkommen außer Acht lässt.
Feigenblattexistenz mit Hate-Speech-Garantie
Als BPoC in einer deutschen Redaktion zu arbeiten bedeutet in der Regel, viele, zum Teil sehr verletzende Debatten führen zu müssen. Die letzte liegt meistens nicht 20 Jahre zurück, sondern gerade mal zwei Wochen. Es bedeutet, sich dagegen zu wehren, als Diversity-Feigenblatt eingesetzt zu werden. Und es bedeutet auch, immer mal wieder die private Erfahrung teilen zu müssen, wenn etwas veranschaulicht werden muss, das sich der Erfahrung der Mehrheitsgesellschaft entzieht.
Es heißt für viele, in Themengebieten zu arbeiten, wo es wenig Prestige, aber umso mehr Hate Speech gibt. Und für manche heißt es, sich den diskursiven Basisregeln, die andere aufgestellt haben, zu widersetzen. Denn Gesellschaften haben sich noch nie geändert, weil man so lieb gefragt hat.
Für manche Veränderungen muss man auf die Straße gehen, sich Plätze in den mehrheitlich weißen Redaktionen erkämpfen, mit spitzer Feder schreiben oder wie es auch in der taz 1980 für die Frauenquote getan wurde, zu ganz anderen Mitteln greifen und sich entblößen.
Der Hass und die Drohungen, die unserer Autor:in seit nun bald einer Woche entgegenschlagen, sind schlicht inakzeptabel. Solidarität zu zeigen und im Sinne der Sicherheit und des Schutzes der Autor:in zu handeln, hat nichts mit „Korpsgeist“ zu tun, wie Bettina Gaus schreibt. Das sollte die minimale gemeinsame Grundlage in dieser Zeitung bilden.
Das ist auch unsere taz
Viele Leser:innen haben in den vergangenen Tagen kritisiert, dass nicht schon in der taz am Wochenende neben den bereits veröffentlichten Artikeln zur internen Debatte eine Gegenstimme gedruckt wurde. Die Chefredaktion und die verantwortlichen Redakteur:innen haben nach jemandem gesucht und viele BPoC im Haus gefragt, ob sie schreiben wollen.
Ich wollte meinen Namen nicht unter einen Text schreiben, der allein dazu da ist, die Form, den Ton oder den Rahmen anderer Texte zu legitimieren. Ich wollte keinen Text schreiben, der ein Teil einer Debatte ist, die ein weiteres Aufbauschen der Empörung und der Bedrohung mitträgt. Für mich wäre das keine Beteiligung auf Augenhöhe gewesen, sondern ein freier Platz innerhalb eines Framings.
Und ich war wohl nicht die Einzige mit diesem Gedanken. Mir war der Wortlaut der erschienenen Texte bei der Ablehnung noch nicht klar, und rückblickend hätte ich es vielleicht anders machen müssen.
Mein oberstes Ziel war es, Hengameh Yaghoobifarah nicht in den Rücken zu fallen. Nun schreibe ich dennoch hier, denn es ist auch meine taz. Und es ist auch Hengameh Yaghoobifarahs taz.
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