taz-Kolumne über die Polizei: Die Würde des Menschen...

... ist unantastbar, darauf wollen sich alle einigen können. Doch unantastbar ist vor allem die Würde der Polizei.

Tatort

Nach dem Anschlag in der Kölner Keupstraße am 9. Juni 2004

Dieser Text ist Teil einer innerredaktionellen Debatte über die Kolumne „All cops are berufsunfähig“ von unserer Autor:in Hengameh Yaghoobifarah. Es werden in den kommenden Tagen weitere, konträre Texte aus unterschiedlichen Perspektiven folgen.

Ein schwarzer Mann kommt in der sachsen-anhaltinischen Stadt Dessau in Polizeigewahrsam. Seine Zelle ist der letzte Raum, den er betritt. Er verbrennt hier. Beamte der Polizeidienststelle behaupten, er habe seine Matratze angezündet. Der Mann war aber gefesselt. Engagierte sehen sich deshalb gezwungen, selbst aufzuarbeiten. Sie geben Gutachten in Auftrag. Eines ergibt, dass der Mann vor seinem Tod schwer misshandelt worden ist.

Ein Dessauer Staatsanwalt vermerkt in den Akten, dass der Mann vor Ausbruch des Feuers mindestens handlungsunfähig gewesen ist, vermutlich mit Brandbeschleuniger besprüht und angezündet worden ist. Auch er verweist auf Gutachter. Als Motiv vermutet dieser Staatsanwalt, dass Verletzungen des Mannes vertuscht werden sollten. Dem Dessauer Staatsanwalt wird der Fall entzogen, die Staatsanwaltschaft Halle übernimmt. Das Verfahren wird eingestellt.

Die Würde des Menschen ist antastbar.

Über viele Jahre ermorden Neonazis aus dem Untergrund heraus acht Menschen mit türkischen, einen mit griechischen Wurzeln und eine Polizistin. Sie zünden eine Nagelbombe in einer deutschen Straße mit türkischen Geschäften. Nach der Explosion ermitteln Polizisten im Umfeld der Opfer. Sie vermuten kriminelle Machenschaften im migrantischen Milieu, trotz Hinweisen auf einen rassistischen Hintergrund. Nachdem sich die mordenden Neonazis selbst enttarnen, beginnt ein Prozess, an dessen Ende ein paar Personen verurteilt werden.

Der große Teil der deutschen Öffentlichkeit ist über diesen Prozessausgang nicht empört. Er ist gefasst. Dabei weiß er, wie unwahrscheinlich es ist, dass die Verurteilten allein hinter den Morden stecken. Daran gibt es begründete Zweifel. Der große Teil der deutschen Öffentlichkeit weiß, dass dieser Staat bei den NSU-Morden im besten Fall nur passiv war. Als das Urteil im Münchener Oberlandesgericht vorgelesen wird, applaudieren Neonazis für angeklagte Neonazis. Sie applaudieren in Anwesenheit von Angehörigen der Getöteten.

Die Würde des Menschen ist antastbar.

In den USA tötet ein Polizist einen Afroamerikaner. Schon wieder. Wütende Proteste brechen aus. Es brennen Polizeireviere. Es wird geplündert. Auch in Deutschland gehen Menschen auf die Straße. In Berlin prügeln Polizisten auf junge Schwarze ein, die sagen: Auch unsere Würde ist unantastbar. In den USA fordern die Betroffenen, die Polizei abzuschaffen.

In Deutschland schreibt eine Kolumnist:in eine polemische ­Kolumne über diese Idee. Die einen nennen den Text Satire. Viele schreien Hetze. Polizeigewerkschaften erstatten Anzeige. Rainer Wendt und die CSU interpretieren den Text zu ihren Gunsten. In der taz gehe es „total rund“, zitiert die Konkurrenz aus der Redaktion. Auch der Bundesinnenminister kündigt eine Anzeige an. Die Bild berichtet.

Was die Aufgebrachten eint: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Was die Geschichte zeigt: Vor allem die Würde der Polizei ist unantastbar. Was denjenigen, deren Würde in diesem Land angetastet wird, bleibt: Die Würde des Menschen ist relativ.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.

Sie suchen die großen Recherchen der taz zu Polizeigewalt und rechtsextremen Strukturen in der Polizei und Bundeswehr?

Lesen Sie:

■ Die Recherche von Christina Schmidt und Sebastian Erb über einen früheren SEK-Polizisten, der zehntausende Schuss Munition aus Bundesbehörden klaute

■ Die Recherche von Sarah Ulrich über übergriffige Beamte bei der Polizei Weimar, inklusive eines Schwanzfoto-verschickenden rechten Polizisten

■ Die Recherche von Erik Peter über gewaltsame Festnahmen bei antirassistischen Protesten in Berlin

■ Alle Recherchen zu rechten Preppern in Sicherheitskreisen und zu Hannibals Schattennetzwerk finden Sie unter taz.de/hannibal

■ Weitere Texte finden Sie in unserem Schwerpunkt zu Polizeigewalt und Rassismus

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.