Veto der Unionsländer beim Bürgergeld: Das Menschenbild lässt tief blicken
Die Union riskiert, dass die niedrigen Hartz-IV-Sätze auch 2023 noch gelten. Mit parteipolitischen Spielchen blockiert sie eine dringend nötige Wende des Sozialsystems.
D ie Union klebt sich fest an Hartz IV, als hinge das Überleben des Planeten daran. Natürlich ist es das gute Recht der Union, die geplante Bürgergeldreform zu kritisieren und ein Veto im Bundesrat einzulegen. Nur leider geschieht das inmitten der Krise auf dem Rücken der Schwächsten.
Denn die Zeit drängt: Gibt es keine schnelle Einigung, ist unklar, ob das Gesetz Anfang nächsten Jahres tatsächlich in Kraft treten kann. Für manche entscheidet das darüber, wie lange der Kühlschrank im Monat gefüllt bleiben kann. Es ist einfach keine Zeit für parteipolitische Profilierungsspielchen.
Dabei geht es im Streit über das Bürgergeld noch nicht einmal ums Geld, also die Höhe der Regelsätze. Die Union gibt vor zu befürchten, dass mit der geplanten Reform der Anreiz, arbeiten zu gehen, verloren geht. Sie fordert vor allem zwei Punkte: Sie will mehr Sanktionsmöglichkeiten und weniger Schonvermögen. Bei Letzterem geht es darum, wie viel Erspartes Menschen behalten dürfen, wenn sie in die Arbeitslosigkeit rutschen.
Es ist erstaunlich, dass ausgerechnet die Union die Höhe des Schonvermögens kritisiert. Nicht nur, weil es eine Regelung ist, die sie selbst in der Großen Koalition während der Coronapandemie auf den Weg gebracht hatte, die nun zu einer dauerhaften Lösung werden soll – sondern auch, weil sich die Union in anderen politischen Kontexten keine Gelegenheit nehmen lässt, Vermögen und leistungsloses Einkommen – Stichwort Vermögensteuer – zu schützen.
Wende dringend nötig
Die Union blockiert eine dringend nötige Wende des Sozialsystems: Denn im Kern geht es bei dem Streit über das Bürgergeld um eine fast philosophische Frage: Arbeitet der Mensch nur, wenn er Bestrafung fürchtet? Die Ampelregierung möchte stärker auf Weiterbildung und Befähigung setzen, weniger auf Sanktionen. Das transportierte Menschenbild der Union lässt hingegen tief blicken.
Wenn diese nun argumentiert, dass die viel bemühten „hart arbeitende Menschen“ mehr haben müssen als Arbeitslose, offenbart sie nur ihre Realitätsferne. Denn etwa 24 Prozent der Hartz-IV-Empfänger*innen müssen aufstocken. Sprich: Sie arbeiten und haben dennoch zu wenig zum Leben. Zudem haben sich CDU und CSU in der Vergangenheit nicht damit hervorgetan, Arbeitsbedingungen im Niedriglohnsektor verbessern zu wollen. Im Gegenteil.
Es hängt nun am Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat, eine schnelle Lösung zu erzielen. Der zeitliche Druck bedeutet einen strategischen Vorteil der Union, um Veränderungen durchzusetzen. Dazu muss sie aber auch endlich einmal konkrete Vorschläge machen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen