Ungleichheit bei Vermögen in Deutschland: Der Selbstbetrug der Mittelschicht

Die meisten Deutschen haben keinerlei Vermögen. Nur ist es zu einfach, die Unter- und Mittelschichten allein als Opfer zu sehen.

Illustration von Yachten, die immer grösser werden

Es geht immer noch eine Nummer größer Foto: Illustration:Harry Haysom/imago

Deutschland ist eine Klassengesellschaft. Der Reichtum ballt sich bei wenigen Familien, während die meisten Deutschen fast gar kein Vermögen haben. Die Zahlen sind erschreckend, die das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) jetzt publiziert hat: Das reichste Zehntel verfügt über 67,3 Prozent des gesamten Nettovermögens. Für den großen Rest der Bevölkerung bleibt also wenig übrig, und die ärmere Hälfte besitzt fast nichts.

Für eine Demokratie ist es extrem gefährlich, wenn Arm und Reich auseinanderdriften. Denn die Demokratie lebt von dem politischen Versprechen, dass alle Menschen gleich seien – weswegen ja jeder Erwachsene genau eine Stimme hat.

Doch das Parlament wirkt machtlos, wenn sich das Vermögen in wenigen Händen konzentriert. Alle arbeiten – aber auf wundersame Weise werden nur die Kapitalbesitzer reicher. Die Demokratie erscheint wie ein Anhängsel der Millionäre, weswegen nicht wenige Menschen zu dem fatalen Fehlschluss gelangen, dass es sich gar nicht lohne, zur Wahl zu gehen.

Allerdings wäre es zu einfach, die Unter- und Mittelschichten nur als Opfer zu sehen. Sie wirken an ihrem eigenen Abstieg mit. Die Mehrheit der Deutschen wählt konsequent Parteien, die mit dem Versprechen antreten, auf gar keinen Fall die Steuern auf Vermögen oder Spitzeneinkommen zu erhöhen.

So erstaunlich es ist: Die meisten Deutschen sind dagegen, eine vernünftige Erbschaftsteuer einzuführen – obwohl nur Millionäre zahlen müssten und obwohl es sich bei Erbschaften um leistungsloses Einkommen handelt. Bekanntlich kann man sich seine Eltern nicht aussuchen.

Doch der Selbstbetrug ist stärker: Nicht wenige Bundesbürger scheinen zu hoffen, dass auch sie dereinst zu den Reichen zählen könnten – und fürchten, dann ebenfalls Erbschaftsteuer berappen zu müssen. Also schonen sie die Millionäre lieber.

Viele glauben zudem, sie würden in einer „nivellierten Mittelstandsgesellschaft“ leben. Nach dem Motto: Man muss nur Abitur machen und studieren, dann stehen alle Türen offen. Kein Irrtum könnte größer sein. Nie war eine deutsche Erwerbsgeneration so gut ausgebildet wie heute, doch die Vermögen bleiben ungleich verteilt.

Aber vielleicht könnte Corona eine Wende bewirken. Plötzlich fällt nämlich auf, dass nicht die Kapitaleigner „systemrelevant“ sind – sondern die Pflegekräfte und Supermarktangestellten. Man kann die Pflegekräfte aber nur besser bezahlen, wenn der Staat neue Geldquellen auftut. Eine Vermögensteuer würde sich da doch anbieten.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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