Umgang mit der AfD: Wir können so nicht weitermachen
Fakten gehen nicht so leicht viral, die Framings und Verdrehungen von AfD und Co hingegen schon. Es ist Zeit für ein Umdenken.
I ch muss eine kleine Warnung aussprechen: Ich werde jetzt einige Dinge fordern und vorschlagen, die mit dem klassischen (Selbst-)Verständnis von Journalisten brechen. Aus gutem Grund. Was die deutsche Medienlandschaft bisher macht, scheint ja nicht zu funktionieren. Und auch was „wir“ als Zivilbevölkerung machen, verpufft irgendwie. Wenn wir etwas verändern wollen, müssen wir etwas anders machen. Und 2024 haben wir noch eine Chance dazu. Wer weiß, ob sich dieses Fenster nicht bald schließt.
Empfohlener externer Inhalt
Das sind dramatische Worte, ich weiß. Aber es sind auch dramatische Zeiten. Die rechtsextreme AfD würde laut Umfragen zurzeit bundesweit rund ein Fünftel aller Wählerstimmen erhalten. In den ostdeutschen Bundesländern sogar bis zu jeder dritten. Die AfD aber ist kein normaler demokratischer Mitbewerber.
In einem Großteil der Bundesländer wird die Partei vom Verfassungsschutz beobachtet, in dreien gilt sie sogar als gesichert rechtsextremistisch. Und spätestens seit den Enthüllungen der Correctiv-Recherchen sickert es durch: Diese Partei bespricht wirklich, den Rechtsstaat auszuhebeln, Millionen Menschen zu deportieren, kurz, die Demokratie in diesem Land zu beenden und einen weißen Ethnostaat einzuführen. Ihre teils widersprüchlichen Relativierungsversuche sollten uns nicht länger beschwichtigen. Die Pläne der AfD klingen extrem dramatisch, gar unglaublich.
AfD-Verbot allein reicht nicht
Aber hier soll es nicht um die Ziele und die Gefährlichkeit dieser Partei gehen. Wir können uns darüber totdiskutieren, noch mehr Studien durchführen, Analysen anfertigen – bis zur „Machtergreifung“, wie es der Ehrenvorsitzende der AfD, Alexander Gauland, einst selbst bezeichnete. Das wurde und wird zur Genüge getan. Es soll auch nicht darum gehen, dass die wehrhafte Demokratie langsam mal ihre Wehrhaftigkeit zeigen muss, mit den vom Grundgesetz gegebenen Mitteln wie einem AfD-Verbot. Es ist kein Geheimnis: Ich setze mich dafür ein, dass das Bundesverfassungsgericht sich mit dieser Frage befassen soll.
Empfohlener externer Inhalt
Aber selbst bei einem erfolgreichen und vermutlich auch notwendigen Verbot dieser Partei verschwindet ja nicht das extremistische Gedankengut, das sie erst möglich macht und das sie inzwischen schon erfolgreich verbreitet hat. Und für die drei Landtagswahlen 2024, ausgerechnet in den ostdeutschen Bundesländern, wo diese Partei am stärksten ist, käme dies ohnehin zu spät. Nein, wie können wir als Journalisten, Wissenschaftler, allgemein Aufklärer die Menschen mit Fakten erreichen, die noch erreichbar sind, um das Problem einzudämmen? Was können wir als Zivilgesellschaft machen, wie kann jeder von uns seine Stimme hörbar machen?
Dauerlügen nicht auch noch erklären
ist Journalist, Blogger, Chefredakteur und Geschäftsführer des Blogs „Volksverpetzer“. Sein jüngstes Buch „Werbung für die Wahrheit“ ist Anfang Februar bei Komplett-Media erschienen.
Ich habe etwas Radikales versucht. Ich habe mich gefragt, wie ich auch Fakten(checks) viral gehen lassen kann. Wie ich die immer gleichen Fehler vermeiden kann: nicht ständig die Mythen zu wiederholen und sie so versehentlich zu verstärken; nicht immer so „fair“ zu sein und so zu tun, als dürfe man Dauerlügner bei ihrem Wort nehmen, und auch noch zu erklären, was sie wirklich meinen; ihre Aussagen und Euphemismen und Lügen einzuordnen und einzubetten. Wie kann ich das Framing durchbrechen und zum Gegenstand der Diskussion und Analyse machen – um nicht die Diskussionen zu führen, die Populisten und Fake-News-Verbreiter ja führen wollen?
Wie kann ich auch mal bewusst mit den Fakten Emotionen nutzen, die nicht nur enorm der Reichweite in Social Media helfen, sondern auch den sehr emotionalen Lesern Halt geben? Eine emotionale Unwahrheit ist attraktiver als eine langweilige Wahrheit, ja. Eine emotionale Wahrheit ist aber noch besser. Es bringt uns nichts, wenn wir wissenschaftlich und akribisch arbeiten, wenn das dann keiner mitkriegt.
Während wir uns hier Mühe geben, glaubwürdig zu sein, gewinnen Faschisten wieder Wahlen mit Lügen. Und selbst wenn wir gehört werden, glauben uns viele sowieso nicht, weil die Faschisten längst Lügen über uns streuen.
Für Demokratiefeinde wird unsere Integrität zur Waffe
Es kann so nicht weitergehen. Entgegen der versessenen Kritik von rechts, dass unser Journalismus nicht „neutral“, nicht „kritisch“ oder nicht „ausgewogen“ genug sei, zu „aktivistisch“, zu „meinungslastig“, kommt ein nüchterner und wissenschaftsbasierter Blick zum gegenteiligen Ergebnis. Auch ich nehme einen Großteil der Journalisten als extrem integer wahr. Die Ideale des Journalismus werden allgemein sehr hochgehalten.
Und während das lobens- und bewundernswert ist, wissen Demokratiefeinde inzwischen sehr gut, wie sie das zu ihrem Vorteil ausnutzen können. Wie sie die edlen Ansprüche der Medien als Waffe gegen diese verwenden können. Wie sie Kontroversen inszenieren können, wie sie Berichterstattung forcieren, wie sie ihre Kampfbegriffe und Themen zum wichtigsten Debattenpunkt machen können.
Von Trollhorden in den Kommentarspalten, die nicht oder nicht genug moderiert werden, über Discord-Server, wo Kampfbegriffe und Hashtags koordiniert werden, und ein teils von Millionären finanziertes, rechtsradikales Mediennetzwerk, das Narrative, Framings und Fake News skrupellos und maximal ausschlachtet, bis hin zur AfD, die gezielt provoziert, Grenzen überschreitet und unsere demokratischen Institutionen ausschließlich dazu missbraucht, Propaganda zu produzieren, und sich sonst jeglicher konstruktiver demokratischer Arbeit verweigert – all das „zwingt“ unser mediales System quasi, sich mit den Themen, Narrativen und Forderungen dieser rechtsextremen Ideologen zu beschäftigen.
Sie wissen, dass wir ihnen immer Raum geben werden, ihre Seite darzustellen. Sie wissen, dass ihre Grenzüberschreitungen für Klicks und Auflage sorgen. Sie wissen, dass wir nicht anders können, als zu versuchen, ihre vielen Fehler und Lügen argumentativ zu widerlegen. Denn wir sind Demokraten, wir sind fair, wir wollen bei der Wahrheit und den Fakten bleiben, und wir möchten zeigen, wo sie inhaltlich falschliegen und wo sie die Unwahrheit sagen. Wir wollen nicht übertreiben, wir wollen seriös und sachlich sein. Und darum verlieren wir gerade gegen sie.
Egal, was wir machen. Es funktioniert nicht
Ich weiß, wovon ich spreche. Mit meinem Blog „Volksverpetzer“ setze ich mich seit Jahren für Fakten ein. Ich mache seit 2015 Faktenchecks, ich möchte, dass wir einen Diskurs führen, der auf Fakten und Wissenschaft beruht. Aber von Jahr zu Jahr sieht es düsterer aus. Wir diskutieren, was wahr ist und was nicht. Nicht nur lähmt das jeglichen demokratischen Meinungsfindungsprozess. Diejenigen, die grundlegende Fakten und wissenschaftliche Ergebnisse kategorisch infrage stellen, versuchen, ihre realitätsferne Weltanschauung mit Gewalt und Druck durchzusetzen. Sie versuchen, uns mundtot zu machen durch Einschüchterungen und Drohungen, aber auch, indem sie ihre Anhängerschaft konstant mit weiteren Lügen indoktrinieren, uns als Feinde zu betrachten.
Nicht nur, damit unsere Aufklärung wirkungslos verpufft. Ich mache seit Jahren Faktenchecks, liefere Tausende Quellen, Argumente, Einschätzungen von Experten. Nicht nur verhallen sachliche, unaufgeregte Artikel wirkungslos in Social Media, wo sich die Algorithmen nicht dafür interessieren. Die bereits Indoktrinierten lesen maximal die Überschriften und gehen dann ohne jegliche sachliche Auseinandersetzung in den Angriff über. Viele Journalisten und Faktenchecker kennen das: Man fragt sich, warum man das überhaupt macht.
Egal, was wir machen: Es scheint nicht zu funktionieren. Immer mehr Politiker erkennen, dass Integrität oder Faktentreue egal sind, wenn man Tribalismus und populistische Forderungen ausnutzen kann, um Erfolg zu haben. Immer mehr Menschen werden immunisiert gegen seriösen Journalismus, gegen Faktenchecks, gegen Argumente. Die AfD gewinnt immer mehr an Zulauf. Natürlich mögen daran auch andere Faktoren ihren Anteil haben, die vielen Krisen, die innere Zerrissenheit der Ampelkoalition. Dass aber dann Menschen ernsthaft glauben, eine faschistische Partei sei eine Alternative – es ist ja nicht so, als gäbe es nicht gerade eine Oppositionspartei rechts der Mitte für die, die nach so was suchen –, spricht für die massive Desinformiertheit in der Bevölkerung. Die Propaganda scheint zu wirken.
Wir als Medienschaffende können nicht so weitermachen wie bisher. Wir dürfen nicht mehr den Fake News hinterherlaufen, sie nicht mehr wiederholen, selbst wenn wir ihnen widersprechen wollen, wir dürfen nicht mehr die Faschisten in die Talkshows einladen, nur um danach verwundert zu sein, warum die ganze Aufklärung so wenig bringt. Dafür spricht nicht nur unsere Erfahrung, das zeigt auch die Wissenschaft. Eine Wissenschaftlerin, mit der ich sprach, forschte bereits nicht mehr darüber, welche Art der Faktenchecks besser funktionieren – sie forschte, warum kaum jemand die Erkenntnisse umsetzt. Jeder von uns ist gefragt, seine Stimme zu erheben, auf die Straße zu gehen, Faktenchecks zu teilen, seinen Abgeordneten zu schreiben. Wir müssen der trägen Politik und den trägen Medien mehr Druck machen.
Ich fordere, dass wir mehr Werbung für die Wahrheit machen – ohne dabei ständig auf die Falschwahrheiten der Demokratiefeinde zu reagieren. Es ist mein Appell an die Mehrheit der Medienschaffenden, nicht immer die gleichen Fehler zu machen und dazuzulernen: sich nicht immer von reißerischen und oft auch einfach gelogenen Bild-Schlagzeilen vor sich her treiben zu lassen, aus festgefahrenen Denkstrukturen auszubrechen. Das ist natürlich nicht nur die Aufgabe der Medienschaffenden, es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Bei den kommenden Wahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen ist es wichtiger denn je, dass ordentlicher Journalismus und Fakten den Diskurs dominieren. Das wird die AfD nicht verschwinden lassen, aber die Wahrheit allein wird sie schon schwächen. Wir müssen extrem schnell dazulernen. Sonst haben wir vielleicht wirklich keine Gelegenheit mehr dazu.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Aufregung um Star des FC Liverpool
Ene, mene, Ökumene