Steigender Druck auf Ungeimpfte: Mobbing ist der falsche Weg
Ausschluss von Veranstaltungen, keine Lohnfortzahlung: Die Regierung will Ungeimpften das Leben schwer machen. Das ist gehässig und bringt wenig.

E s sollte die große Impfoffensive werden, stattdessen wurde die „Aktionswoche“ von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vergangene Woche ein Reinfall. Nennenswerte Steigerungen gab es bei den Impfzahlen nicht. Wie bei diesem Tempo ein breiter Schutz der Bevölkerung erreicht werden soll, weiß wohl niemand. Die Angebote ziehen nicht, deshalb müssen nun Drohungen her – denken sich offenbar Spahn und die Landesgesundheitsminister. Spätestens ab dem 1. November soll es keine Lohnfortzahlung mehr für Ungeimpfte im Quarantänefall geben – eine kurzsichtige und gehässige Entscheidung.
Zunächst einmal ist die Regelung nicht zielführend. Laut einer aktuellen Yougov-Umfrage würden sich nur 11 Prozent der ungeimpften Befragten aufgrund etwaiger Lohneinbußen umstimmen lassen. Damit nicht genug, es droht die Gefahr, dass sich Arbeitnehmer bei Verdachtsfällen gar nicht erst testen lassen, um einer etwaigen Quarantäne zu entgehen. Mit Blick auf die Pandemieeindämmung wäre das komplett kontraproduktiv.
Dass laut Yougov fast die Hälfte der Befragten trotzdem der Meinung ist, man solle die Lohnfortzahlung für Ungeimpfte abschaffen, zeigt eine ungesunde Lust an der Bestrafung Abtrünniger, die für ihre Haltung büßen sollen. Hamburg hat wieder Großveranstaltungen bei voller Kapazität zugelassen. Zutritt gibt es künftig aber nur für Geimpfte und Genesene. Ungeimpfte unerwünscht. Ungeimpfte sollen aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen werden.
Als richtungsweisend für die Pandemiebekämpfung taugt dieser Ansatz wenig. Eine weitere Spaltung der Gesellschaft ist zu befürchten. Wer nicht mehr am öffentlichen Leben teilnehmen darf, zieht sich noch mehr aus der Gesellschaft zurück – oder trifft sich eben privat mit anderen Ungeimpften. Das kann weder epidemiologisch noch sozial ein Dauerzustand sein.
Für die Bundesregierung heißt das: Entweder man setzt eine Impfpflicht durch oder man lässt es eben bleiben. Durch Mobbing von Impfverweigerern Fügsamkeit zu erpressen ist der falsche Weg.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Jugend im Wahlkampf
Schluss mit dem Generationengelaber!
Wahlentscheidung
Mit dem Wahl-O-Mat auf Weltrettung
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Russland und USA beharren auf Kriegsschuld des Westens