Riot Days der Letzten Generation: Erst nehmen sie Berlin …
Aktivist:innen blasen zum letzten Marsch. Der Protest soll radikaler werden, weil die gesellschaftliche Akzeptanz für sie schwindet.
E inige Jahre lang konnte sich die Klimabewegung einreden, die gesellschaftliche Mehrheit auf ihrer Seite zu haben. Auf den Demos von Fridays for Future drängelten sich Hunderttausende, der bürgerliche Aufschrei selbst bei radikaleren Aktionen wie von Ende Gelände hielt sich in Grenzen, und bis auf Friedrich Merz wollte so ziemlich jede:r Klimakanzler:in werden. Doch die Illusion, dass Klimaschutz ein Mehrheitsprojekt werden könnte, eines, das die Gesellschaft eint, ist geplatzt.
In der Bundesregierung drückt die FDP mit Unterstützung der SPD und unter Selbstaufgabe der Grünen einen Kurs des fossilen Weiter-so durch, in Berlin fand sich noch nicht mal eine Mehrheit dafür, dem neuen Senat ambitionierte Klimaziele mit auf den Weg zu geben, und aus Klimaschützer:innen sind in der öffentlichen Debatte oftmals Störer:innen, wenn nicht gleich „Terrorist:innen“ geworden.
Umarmt wurde die Klimabewegung nur so lange, bis sich mehr und mehr die Erkenntnis durchsetzte, dass radikaler Klimaschutz kein reines Win-win-win-Projekt sein kann. Die Welt bewohnbar zu halten, also die Erderwärmung auf unter 2 Grad Celsius zu begrenzen, bedeutet eben mehr als ein im Green New Deal versprochener Boost für die Wirtschaft. Unweigerlich muss dafür unsere Lebensweise verändert werden: weniger Autos, weniger Flüge, weniger Fleisch. Und die Menschen ahnen, dass diese Liste noch viel länger ist.
Innerhalb kürzester Zeit ist die Gegenbewegung, in der jede Forderung nach Klimaschutz als Ideologie diffamiert wird und man sich aus Trotz lieber noch schnell eine neue Gasheizung einbauen lässt, zum ernstzunehmenden Faktor geworden – auch für Parteien, die um Mehrheiten werben. Die Klimaschützer:innen haben ihre Hegemonie verloren und müssen konstatieren, dass der Fortschritt selbst in der Zeit ihrer größten Anerkennung ausgeblieben ist. Viele hat das desillusioniert, längst kriegt Fridays for Future keine Massen mehr auf die Straße.
Für die Klimabewegung heißt das, anzuerkennen, eine Minderheitenbewegung zu sein, die nicht mehr auf das Wohlwollen der von ihnen adressierten handelnden politischen Akteur:innen hoffen kann. Offene Briefe, freundliche Proteste, Plaudereien am Tisch der Mächtigen haben nicht zu den notwendigen Maßnahmen geführt. Die Strategien, die darauf ausgelegt waren, Mehrheiten zu gewinnen, sind – zumindest vorerst – gescheitert. Die Notwendigkeit für neue Taktiken liegt auf der Hand.
Räterepublik
Begriffen hat das als Erstes die Letzte Generation. Statt Everybody’s Darling zu sein, versuchen deren Aktivist:innen durch massives Stören des Alltags den Handlungsdruck auf die Politik zu erhöhen – und halten damit bislang zumindest das Thema präsent. Gefordert wird kein Gespräch mehr mit dem Bundeskanzler, sondern die Errichtung eines Bürger:innenrats für Klimaschutz.
Bewegungsintern hat sich die Gruppe in nur anderthalb Jahren zum tonangebenden Akteur entwickelt. Wie handlungsfähig die Aktivist:innen inzwischen sind, wollen sie ab Mitte April unter Beweis stellen. Ihr überaus ambitionierter Plan: Sie wollen Berlin zum Stillstand bringen.
Nachdem zuletzt bundesweit Mitstreiter:innen gewonnen wurden, zieht die Letzte Generation nun all ihre Aktivist:innen in der Hauptstadt zusammen. Zunächst soll zwei Tage lang das Regierungsviertel lahmgelegt werden, dann, ab dem 24. April, die ganze Stadt. Tag für Tag. Mehr als 700 Klebewillige haben sich dafür angemeldet, 1.000 könnten es laut der Letzten Generation werden. Und erstmals werden auch große Teile der Klimabewegung zumindest für Unterstützungsaktionen mit einbezogen.
Sollte es gelingen, nicht nur wie bislang an drei oder fünf Autobahnzufahrten, sondern womöglich an Dutzenden Stellen gleichzeitig zu blockieren, wäre das mehr als nur ein Zeichen. Lang nicht mehr hatte eine soziale Bewegung diese Störungsmacht.
Über die dann aufbrechende Debatte muss man sich keine Illusionen machen: Sie wird neue Hysterielevel erreichen. Mit sich bringt das die große Gefahr der Selbstjustiz durch Autofahrer:innen, die einfach aufs Gaspedal drücken. Zudem wird der Ruf nach stärkerer staatlicher Repression noch lauter werden.
Doch als Antwort auf den Mut und die Opferbereitschaft der Aktivist:innen taugt weder die Wut noch die Strafe. Da hilft nur Klimaschutz.
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