Berlin Klimaneutral 2030: Schau mir in den Auspuff, Baby!

Berlin 2030 klimaneutral? Das Volk hat gesprochen, der Klimaentscheid ist klar gescheitert. Zukunft ist kein Konzept, das bei Wahlen verfängt.

Illustration: Familie hat Vorräte angelegt und schaut aus einem Zelt

Ob es so gemütlich wird, wenn draußen die Wälder brennen? Illustration: imago

Gute Nachrichten aus Berlin! Trotz „Monsterstreik“ machen die prima Berliner Verkehrsbetriebe ihren Job, kündigen im Laufband an den Stationen stolz sogar in einer Fremdsprache an, dass das Fahr-Business bei U-Bahn, Bus und Tram „as usual“ laufe.

Natürlich war es am Montagmorgen wegen der S-Bahn-Flüchtlinge etwas voller als sonst in meiner U7 – aber so ist eben: Menschen suchen Lösungen für ihre Probleme, weichen aus, sind clever, kreativ und im Extremfall sogar mutig. Schön, wenn ein modernes Gemeinwesen ihnen relativ gefahrlose Alternativen zur Bedürfniserfüllung zur Verfügung stellt.

Über 3.000 Menschen sind am vergangenen Freitag und Samstag auf der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa gelandet. Auch sie suchen eine Lösung für ihre Probleme, so wie Marta Fascina im erweiterten Rahmen ihrer Möglichkeit nach Auswegen sucht: Wie die Tageszeitung La Stampa am Montag berichtete, sei die Partnerin des italienischen Medien- und Politmoguls Silvio Berlusconi auf der Suche nach einer Immobilie mit Atomschutzbunker. Auch eine Liste ihrer Liebsten, denen in einem solchen Schutzraum Zuflucht gewährt würde, sei schon erstellt.

Die Armen dieser Welt also riskieren alles, was ihnen noch geblieben ist, ihr eigenes Leben und das ihrer Kinder, um dem Elend zu entkommen. Die Superreichen scheißen schon länger auf den Pöbel und konkretisieren nun ihre Fluchtfantasien angesichts der kommenden Apokalypse und Aufstände – der US-Autor Douglas Rushkoff hat das gerade in seinem Buch „Survival of the Richest“ noch mal für alle nachlesbar zusammengefasst.

Klimakatastrophe und Artensterben

Und wir so? Der westliche Mensch, Abteilung Berlin? Wir sagen, anlässlich des Volksentscheids „Berlin 2030 klimaneutral“ „nein“ zum Versuch, der repräsentativ gewählten Politik ein bisschen Beine zu machen, bei der möglicherweise eh schon vergeblichen Anstrengung, Klimakatastrophe und Artensterben noch abzuwenden. Wir sagen, um genau zu sein, sogar in der Mehrzahl nicht mal mit mehr oder weniger guten Gründen „nein“ (nach dem Motto: „Du bist am Verdursten? Oh, tut mir leid, da gibt es rechtliche Hürden, ich kann dir leider nichts zu trinken geben, nee, echt jetzt“).

Wir sagen: Das geht uns nichts an, das interessiert uns nicht. Wir nutzen das Privileg, frei über unsere Zukunft abstimmen zu können, dazu, dem Konzept Zukunft eine Absage zu erteilen.

Das ist eine Ansage, die ernst zu nehmen ist, und zwar jenseits von moralisch-ästhetischem oder sozial-politischem Gejammer: Ob die Leute nun einfach weiter dumpf in ihrem SUV zum Einkaufen um die Ecke fahren wollen oder arm und ausgepowert von 50 Jahren neoliberalem Kahlschlag vollkommen apathisch vor sich hin dämmern – das Volk hat gesprochen.

Wer mit den geschichtlichen Erfahrungen hierzulande im Rücken zu dieser Diagnose kommt, tut gut daran, eine individuelle Lösung in Betracht zu ziehen. Sich eine Prepperexistenz aufzubauen, ist da eine naheliegende Idee.

Dankbar für Schlepper

Allerdings haben schon die oben erwähnten Superreichen das Problem, dass sie sich nicht auf das Personal verlassen können, das ihre Bunker bewachen soll. Einen Notvorrat im Keller zu haben ist so lange eine schlüssige Idee, wie draußen eine öffentliche Ordnung existiert, die hungrige und durstige Menschen davon abhält, den Keller einfach zu plündern; möglicherweise ist es sinnvoller, sich im Fall der Fälle dieser Menge anzuschließen, als auf Privateigentum zu setzen und dieses dann aber auch verteidigen zu müssen – beim herrschenden liberalen Waffenrecht vor allem eine Frage der individuellen Skrupellosigkeit.

Die Antwort für alle, die im Gegensatz zur Mehrheit noch am Konzept Zukunft festhalten, die nicht superreich oder verzweifelt arm sind, kann deshalb wohl nur sein, eine letzte Hoffnung auf die Macht des Faktischen zu setzen, auf die Logik des Notstands.

Erst wenn Ahrtal und Brandenburger Monsterwaldbrände nicht mehr als Ausnahmen abgeheftet werden können, sondern als neue Normalität ins allgemeine Bewusstsein eingesickert und eingebrannt sind, werden Maßnahmen mehrheitsfähig sein, die der Lage entsprechen.

Sollte es damit zu spät sein, werden wir vor Dankbarkeit weinen, wenn irgendein sogenannter Schlepper uns einen Platz in einem überfüllten Schlauchboot verkauft.

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Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.

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