Neue Welle von Klimaprotesten: Berlin kann was erkleben
Extinction Rebellion kündigt Aktionen ab Mittwoch an. Danach will die Letzte Generation alle Aktivist*innen nach Berlin holen und die Stadt „stilllegen“.
Nachdem die Letzte Generation in den ersten Monaten dieses Jahres den Fokus darauf gelegt hat, sich bundesweit aufzustellen und auch in Städten wie Dresden oder Bonn den Verkehr blockierte, sollen nun sämtliche Aktivist:innen in Berlin zusammengezogen werden. Die Sprecherin der Letzten Generation, Lilly Schubert, sagt der taz: „Wir gehen davon aus, dass mindestens 1.000 Menschen zusammenkommen werden, um zu zeigen, dass die Stadt stillgelegt werden kann.“
Erstmals bemüht sich die Gruppe dabei auch aktiv um die Unterstützung und Einbindung weiterer Akteure der Klimabewegung, von XR über Ende Gelände bis hin zu verschiedenen Future-Gruppen. Diese können die Aktionsformen der Letzten Generation übernehmen oder diese auch solidarisch begleiten, indem sie eigene Demos, Fahrradkorsos oder Blockaden organisieren. „Die Vernetzung mit anderen wird deutlich sichtbarer werden“, kündigt Schubert an.
Festkleben und Slow Walks
Nach einem öffentlich Auftaktbrunch am 19. April soll in den darauffolgenden zwei Tagen zunächst das Regierungsviertel lahmgelegt werden. Zu den möglichen Aktionsformen gehört dabei nicht nur das Festkleben auf Straßen, sondern auch so genannte Slow Walks: sich langsam bewegende Blockaden, die im Falle des Eintreffens von Polizei auch schnell wieder aufgelöst werden können.
Startschuss für Aktionen in der gesamten Stadt mit womöglich Dutzenden parallelen Blockaden ist der 24. April. Laut Schubert soll die Störung des öffentlichen Lebens danach unbegrenzt fortgesetzt werden. Betroffen sein könnte damit auch der 27. April: Jener Tag, an dem CDU und SPD im Abgeordnetenhaus Berlins neue Regierung wählen wollen.
Ziel der Letzten Generation, die in den vergangenen Wochen die Unterstützung mehrerer Oberbürgermeister:innen erhalten hat, ist es, die Bundesregierung zum Handeln gegen die Klimakrise zu bringen. Konkret fordert sie dabei – ebenso wie Extinction Rebellion – die Einberufung eines Gesellschaftsrates: Da Bürger:innengremium soll Maßnahmen erarbeiten, um Deutschland bis 2030 klimaneutral zu machen.
Bewegungsexperte Tadzio Müller spricht gegenüber der taz von einem nie dagewesen, „im besten Sinne des Wortes wahnsinnigen Plan“ – auch angesichts des nicht einzuschätzenden Gegenwinds durch Autofahrer:innen und repressiver Gegenmaßnahmen. Dennoch lösen die Pläne bei ihm Euphorie aus. Die Letzte Generation sei anderthalb Jahre nach ihrer Gründung „der absolute dominante Bewegungsakteur“ und stehe für die „Fähigkeit der Bewegung, der Politik und Wirtschaft Kosten und Schmerzen zuzufügen“. Dies sei richtig nach all der Zeit, in der die Politik „Klimaschützer:innen umarmt hat, ohne das Klima zu schützen“.
Resignation in der Bewegung
All das treffe jedoch auf eine „exponentiell größere Gegenbewegung“. Nach Jahren, in denen die „Klimaschutzbewegung eine ausgeprägte gesellschaftliche Hegemonie“ gehabt habe, so Müller, habe sich die Perspektive vieler Menschen geändert. Müller sieht als Grund dafür insbesondere die Erkenntnis in breiten Teilen der Gesellschaft, dass Klimaschutz nicht ohne den Verlust eigener Privilegien funktionieren werde.
XR-Aktivistin Judith Pape, die seit Anbeginn der Gruppe 2019 dabei ist, sagt: „Die Institutionen sind entsetzlich starr.“ Bei vielen Klimaaktivist:innen sei die politische Energie angesichts des Nicht-Handelns der Politik, von Inflation und sich überschlagener Krisen „einer Resignation gewichen“. Staatliche Repression tue ihr übriges.
Das Ergebnis: „Der Bewegungszyklus ist langsam gestorben“, so Judith Pape. Darunter leide nicht nur XR, sondern auch Fridays For Future, die zuletzt keine Massen mehr mobilisieren konnten. Müller spricht davon, dass die Klimabewegung sich darauf einstellen muss, eine „Minderheitenbewegung“ zu sein.
Fünf Tage Spring Rebellion
Für Extinction Rebellion, die ab Mittwoch fünf Tage lang im Rahmen ihrer Spring Rebellion mit angemeldeten Protesten und Aktionen des Zivilen Ungehorsams die Politik aufrütteln wollen, bedeutet das, nicht mehr Tausende zu Massenblockaden zu mobilisieren. Und dennoch: Wie bei den letzten Protesttagen im September werden dem Aufruf von XR einige hundert Aktivist:innen folgen. In einem Camp im Invalidenpark gibt es Workshops und die Möglichkeit sich zu vernetzen.
Auf der Suche ist man dabei auch nach neuen Aktionsformen. Denn die bisherige Strategie des massenhaften zivilen Ungehorsams, kombiniert mit aufwändigen Aufbauten, taugt zwar immer noch für ausdrucksstarke Bilder. Sie ist in ihrer Effizienz aber infrage gestellt, seit die Letzte Generation mit einer Handvoll Teilnehmer:innen denselben Effekt erzielt.
Als mögliches Vorbild für Kleingruppenaktionen dient dabei zudem die Gruppe Tyre Extinguishers. Die international agierenden, autonom handelnden Aktivist:innen haben zuletzt auch in Berlin in nächtlichen Touren durch die Reichenviertel immer wieder Luft aus den Reifen von SUV gelassen. In eine ähnliche Kategorie von Aktionen fällt das von XR zuletzt praktizierte Abschrauben von Verkehrsschildern, die temporeduzierte Bereiche beenden.
Florian Zander vom Extinction Rebellion-Presseteam kündigt an, dass der Fokus „mehr in Richtung Kleingruppenaktionen gehen wird, weil die Polizei aufmerksamer geworden ist und in der Vergangenheit Groß-Aktionen verhindert hat“. Dennoch würden wieder große Aufbauten gebastelt. Für Donnerstag ist eine Demo geplant, die die Klimaschädlichkeit der Super-Reichen thematisiert – mit dabei „eine Rakete, mit der Reiche sich vor dem von ihnen zerstörten Planeten ins Weltall retten können“. Am Samstag folgt eine Demonstration zum Thema Biodiversität ab der Bayer-Zentrale. Wenige Tage danach folgt die Letzte Generation: „Wir schließen nahtlos an XR an“, so Lilly Schubert.
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