Razzia gegen Letzte Generation: Radikal gegen Klimaaktivisten
Bei einer Razzia in sieben Bundesländern wurden 15 Objekte durchsucht. Gegen sieben Personen wird ermittelt. Auch die Website wurde gesperrt.
Ermittelt wird gegen sieben Beschuldigte im Alter von 22 bis 38 Jahren. Konkret wirft die Generalstaatsanwaltschaft München den Aktivist:innen vor, mindestens 1,4 Millionen Euro Spenden gesammelt zu haben, die überwiegend für die Begehung weiterer Straftaten eingesetzt worden sein sollen. Die sieben Aktivist:innen, darunter Sprecherin Carla Hinrichs, werden der Bildung oder Unterstützung einer kriminellen Vereinigung verdächtigt. Zwei der Beschuldigten wird zudem vorgeworfen, im April 2022 versucht zu haben, die Ölpipeline von Triest nach Ingolstadt zu „sabotieren“. Festnahmen erfolgten bislang keine.
Laut dem Bayerischen Landeskriminalamt war das Ziel der Aktion, Vermögenswerte zu beschlagnahmen, sowie Informationen über die Finanzierung und Mitgliederstruktur zu beschaffen. Im Zuge dessen wurden zwei Konten beschlagnahmt und Vermögenswerte sichergestellt. Wie viel Geld bereits konfisziert wurde, gab die Polizei nicht bekannt. Auch die Webseite der Protestbewegung wurde am Mittwoch gesperrt. In Bayern tauchte bei dem Versuch, die Seite aufzurufen, ein Hinweis des Landeskriminalamts auf, dass Spenden an die Organisation „ein strafbares Unterstützen der kriminellen Vereinigung“ sind.
In ihrer Pressekonferenz kritisierte die Letzte Generation die Durchsuchungen als unverhältnismäßig. In Anlehnung an eine Äußerung des Bundeskanzlers bezeichnete Sprecherin Aimeé van Baalen die Aktion als „völlig bekloppt“. Auch andere Klimaschutzorganisationen zeigten sich solidarisch mit den Kleber:innen. Die Gruppe Ende Gelände beklagte, Razzien gebe es bei denen, „die vor der Klimakrise warnen, und nicht bei denen, die dafür verantwortlich sind“.
Die rechtspolitischen Sprecher:innen der Partei Die Linke veröffentlichten ein Statement, in dem sie zur Wahrung des Versammlungsrechts auffordern. Der stellvertretende Vorsitzende der Partei, Lorenz Gösta Beutin, bezeichnete die Razzia als „völlig überzogen“.
Drastische Töne von der Polizei
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) unterstützte hingegen die Durchsuchungen: „Die heutigen Maßnahmen zeigen, dass der Rechtsstaat sich nicht auf der Nase herumtanzen lässt“, sagte sie der Funke-Mediengruppe. In drastischerem Ton verteidigte der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, die Aktion: „Die Bevölkerung, die unter dem Straßenterror dieser selbsternannten Klimaretter täglich tausendfach leidet, wird endlich als das tatsächliche Opfer dieser Kriminellen wahrgenommen.“
Der Protestforscher Simon Teune kritisiert, es werde „übermäßig viel Energie aufgewendet, um die Blockierer:innen von der Straße zu bringen, anstatt die Ursachen zu beseitigen, die sie auf die Straße treiben“. Mit Blick auf die Zukunft hält er die Repressionen für keinen guten Schachzug des Staats. Bislang zeichne sich die Klimabewegung dadurch aus, dass sie ein großes Vertrauen in die demokratischen Institutionen habe. „Aber wenn die Institutionen den Aktivist:innen zunehmend feindselig gegenüberstehen, kann sich das auch ändern.“
Aus Ermittlungskreisen hieß es, die Aktionen der Gruppe seien als fortgesetzte Nötigungen zu sehen. Zudem seien es immer die gleichen Personen, die Straftaten begingen oder dazu aufriefen – auch mit der Ankündigung, dafür ins Gefängnis zu gehen. All das begründe den Verdacht einer übergeordneten Organisation und damit der Bildung einer kriminellen Vereinigung.
Seit Monaten ermittelt die Staatsanwaltschaft Neuruppin in Brandenburg bereits gegen die Klimaaktivist:innen wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Auch hier wird der Gruppe etwa das Abdrehen von Ventilen in der Raffinerie in Schwedt vorgeworfen sowie eine Besetzungsaktion auf dem Berliner Flughafen. Im Dezember 2022 gab es deshalb bereits ebenfalls bundesweit Durchsuchungen. Als Reaktion darauf hatten sich Hunderte Unterstützerinnen der Gruppe selbst angezeigt.
Das Landgericht Potsdam hatte zuletzt den Anfangsverdacht einer kriminellen Vereinigung bestätigt. In Berlin oder Sachsen hatten Staatsanwaltschaften erst kürzlich erklärt, für sie liege dieser Anfangsverdacht bisher nicht vor. So befand die Berliner Generalstaatsanwaltschaft, dass die Aktionen der Gruppe „nicht auf die Begehung hinreichend gewichtiger Straftaten gerichtet ist“. Die Berliner Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos) will den Vorwurf aber noch mal prüfen zu lassen.
Die Aktion diene vor allem der Einschüchterung, betonte van Baalen bei der Pressekonferenz. „Sie machen uns Angst“, sagte sie, „aber wir dürfen nicht in dieser Angst verharren.“ Die Letzte Generation hat deshalb zu bundesweiten Protestmärschen aufgerufen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten