Prügelattacke auf Studenten in Berlin: Hände weg von der Wanne

Schnell mal auf Verdacht exmatrikulieren? Die Debatte, die vom Angriff auf einen Studenten der Freien Universität ausgelöst wurde, hat ein groteskes Maß angenommen.

Fassade mit Aufschrift "Freie Universität"

Sollen die Unis künftig politisch entscheiden können, wer an ihnen studieren darf? Foto: IMAGO / Schöning

Die Prügelattacke auf den Studenten Lahav Shapira ist – was sonst – ein Verbrechen. Niemand hat das Recht, einen anderen gewaltsam anzugreifen, zu schlagen, zu treten, seine Gesundheit zu schädigen oder sein Leben zu gefährden. Das ist ein Fakt. Es gibt Gesetze, aufgrund derer so etwas bestraft wird. Und das ist gut so.

Die politische Debatte, die der Vorfall in den vergangenen Tagen ausgelöst hat, ist dagegen grotesk. Auf einmal überstürzen sich PolitikerInnen von AfD bis Grünen und Medien dies- und jenseits der Rudi-Dutschke-Straße mit Forderungen, der mutmaßliche Täter müsse nicht nur juristisch zur Verantwortung gezogen, sondern gleich auch noch von der Freien Universität geworfen werden – weil er ebenso wie sein Opfer dort studiert.

So etwas ist, nüchtern betrachtet, nichts anderes als Stammtischgerede à la „Wegsperren für immer“, eine von einem früheren Bundeskanzler in einem anderen Zusammenhang popularisierte Parole. So verurteilenswert der Angriff ist, um den es hier geht, so dünn scheint bei vielen plötzlich die Verwurzelung in rechtsstaatlichem Denken zu sein.

Es fängt damit an, dass man sich nach Ansicht all der prominent Meinenden gar nicht mehr die Mühe machen muss, etwaige Ermittlungen der zuständigen Behörden abzuwarten. Schlug der Täter tatsächlich einfach zu, weil der Kommilitone Jude ist, wie Zentralratspräsident Joseph Schuster zu wissen glaubt? Vielmehr spricht dafür, dass der aufgeheizte politische Streit über den Gaza-Krieg der Hintergrund ist.

Das legitimiert die Attacke nicht, und eine antisemitische Einstellung des Täters ist im Übrigen auch nicht ausgeschlossen. Aber das zu beurteilen, ist jetzt die Aufgabe von niemand anderem als der Staatsanwaltschaft.

Politische Feigheit?

Viel schwerer wiegen in der aktuellen Diskussion die Attacken auf die FU-Leitung, der jetzt leichtfertig politische Feigheit vorgeworfen wird, und die im Grunde aufgefordert wird, in einem Akt politischer Selbstermächtigung den Schläger freihändig zu exmaktrikulieren. Wobei sich die Tat nicht einmal in Campusnähe zugetragen hat.

Die Forderung ist schlicht haarsträubend. Täte die Uni das, beginge sie den reinsten Willkürakt. Zumal, und das ist der bedenklichste Aspekt des Ganzen, selbst das nun wieder (als erstes übrigens von AfD) ausgegrabene Hochschul-Ordnungsrecht aus gutem Grund eingestampft wurde. Gerade in Zeiten eines massiven Abgleitens nach Rechts wäre fraglich, wie weit die Möglichkeit von Exmatrikulationen aufgrund politisch motivierter Gewalt, an der Uni oder irgendwo anders, einmal ausgedehnt werden könnte.

Man muss der SPD-Wissenschaftssenatorin für ihre eigentlich selbstverständliche Haltung dankbar sein, hier zu bremsen und auch auf das Grundrecht der freien Berufswahl hinzuweisen. Ebenso der FU-Leitung, die im Zusammenhang des größeren Konflikts auf andere Selbstverständlichkeiten hinweist, etwa dass die Universität auch ein Ort der Auseinandersetzung ist, wo politische Meinungsäußerungen oder Demonstrationen nicht umgehend mit polizeilicher Hilfe erstickt werden.

Dass die Universität eine aktive Rolle spielen muss, wenn es um die Verhinderung eindeutig antisemitischer oder anderer menschenfeindlicher Äußerungen und Handlungen auf dem Campus geht: völlig klar. Dass sie ein – zeitlich beschränktes – Hausverbot gegen den Täter im vorliegenden Fall ausspricht, wenn der Sachverhalt aufgeklärt ist: ebenso klar. Alles Weitere wäre das berühmte Ausschütten des Kindes mit dem Bade, wobei aktuell schon viel zu viele die Hand an der Wanne haben.

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Jahrgang 1969, lebt seit 1991 in Berlin. Seit 2001 arbeitet er mit Unterbrechungen bei der taz Berlin, mittlerweile als Redakteur für die Themen Umwelt, Mobilität, Natur- und Klimaschutz.

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