Krise des Kapitalismus: Radikale Veränderung oder Untergang
Kapitalismus und Demokratie stecken in einer Krise. Der Kapitalismus ist auf Wachstum angewiesen. Das kann es nicht geben, aber das sagt niemand.
H atten wir nicht, über die Jahrzehnte nach dem Weltkrieg hinweg, die nicht perfekte, aber alles in allem doch beste aller möglichen Ordnungen von Politik, Kultur und Ökonomie? Wir hatten die parlamentarische Demokratie in einer liberal grundierten Gesellschaft, in der alle Basisfreiheiten garantiert waren: Wahl, Versammlung, Presse, Kunst, Mobilität und Beruf – alles als Freiheiten nach eigenem Willen und eigenem Vermögen organisiert.
Und wir hatten den Kapitalismus, den wir lieber „freie Marktwirtschaft“ nannten und der vielleicht nicht ein Paradies der Gerechtigkeit erzeugte, aber immerhin Entwicklung von Produktivität und Kreativität. Gewiss gab es Menschen, die das eine oder das andere, die Demokratie oder den Kapitalismus, aus moralischen oder ideologischen Gründen kategorisch ablehnten.
Aber die Mehrzahl der Menschen verlangte nicht nach einer Abschaffung von Demokratie und/oder Kapitalismus, sondern, wenn überhaupt, nach Verbesserungen und Erneuerungen innerhalb dieses Doppelsystems. Ein paar Krisen gehören offensichtlich zu beidem, und ebenfalls dazu schienen bislang die Selbstheilungskräfte und die Anpassungsfähigkeiten des einen wie des anderen zu gehören.
Doch nun deutet alles darauf hin, dass die beiden Systeme, in denen wir uns eingerichtet haben, in Krisen geraten sind, die ihre Selbstheilungs- und Anpassungsfähigkeiten überfordern. Jedes System steckt für sich in einer Krise, und dann stecken sie auch noch in der Krise der Gemeinsamkeit, so als könnte eines der beiden Systeme nur überleben, wenn es sich vom anderen trennt: der Kapitalismus von der Demokratie oder die Demokratie vom Kapitalismus. Beispiele dafür gibt es ja mittlerweile genug.
Trügerische Lösungsmodelle
Die Krise des Kapitalismus ist dramatisch und universal: Der Kapitalismus ist in seinem innersten Wesen auf Wachstum und Verbrauch angewiesen. Die sich abzeichnende Klimakatastrophe und vor allem die Unfähigkeit des Systems, diese Gefahr auch nur abzumildern, von Abwendung kann schon keine Rede mehr sein, ist das dramatischste Zeichen dafür, dass es in naher Zukunft nur zwei Möglichkeiten gibt: radikale Veränderung oder Untergang.
ist freier Autor und hat über 20 Bücher zum Thema Film veröffentlicht. Zuletzt erschien von ihm „Coronakontrolle. Oder nach der Krise ist vor der Katastrophe“ bei bahoe books.
Eine Mehrheit der Gesellschaft aber scheint zu verharren in der Hoffnung auf eine technische Lösung, auf das eigene Überleben oder auf ein bisschen „grünes Wachstum“, selbst wenn es augenscheinlich dafür schon rechnerisch keine Chance gibt. Trotz Untergangsstimmung macht man weiter wie bisher, denn die Furcht vor dem Ende des Kapitalismus und seiner Wohlstandsversprechungen ist offenbar größer als die Furcht vor dem Ende der Welt.
Das führt in das Dilemma der Demokratie-&-Kapitalismus-Einheit: Wer die Wahrheit über den ökologischen Stand der Dinge und die Rolle, die der Kapitalismus dabei spielt, aussprechen würde, der oder die würde einfach nicht mehr gewählt. Es gibt keine Partei, die sich zu einer solch einfachen wie unangenehmen Wahrheit durchringen würde.
Stellen wir uns eine Gesellschaft vor, in der ein Drittel (wir sind ja Optimisten) moralisch und intellektuell in der Lage ist, die Suche nach Möglichkeiten aufzunehmen, den Planeten und die auf ihm lebende Menschheit doch noch zu retten. Aber ein weiteres Drittel verfällt einem bösartigen Leugnungsfaschismus, der lieber Kriege und Bürgerkriege anzettelt, als an gemeinsamen Konzepten von ökologischer Vernunft zu arbeiten.
Das demokratische Modell schrumpft
Und das letzte Drittel muss oder will einfach so weitermachen wie bisher, weil sowohl Verzichten als auch Teilen Kategorien des Verlustes wären. Wie entscheiden dann unsere Politikerinnen und Politiker? Als würden wir in einem Auto sitzen, bei dem die einen Gas geben, weil sonst die Finanz-und Sozialsysteme zerbrechen, und die anderen bremsen wollen, weil sonst die ökologische und klimatische Katastrophe unaufhaltsam ist.
Während also der Kapitalismus seine Kräfte so weit überdehnt, dass sie lebensbedrohlich für den Planeten werden, schrumpft das demokratische Modell in sich zusammen, erstickt in gewisser Weise an sich selbst, und selbst die „Restdemokratie“ ist gekennzeichnet von Korruption, Zerfall und Erschöpfung. Beide Systeme haben eine innere Struktur geschaffen, die sie gegen Erneuerungen und Revisionen weitgehend immun macht.
Der Kapitalismus etwa hat sich im Neoliberalismus (in der entsprechenden „Wissenschaft“ Neoklassik genannt) radikalisiert, statt sich den ökologischen und sozialen Herausforderungen zu stellen. Und die Demokratien des Westens haben sich mit ihren Arrangements mit autoritären Regimes, mit ihrer Angst vor allem „Linken“ und dem Augenzwinkern nach rechts, mit einer Kultur der politischen Kaste, die sich lebensweltlich von der des „Wahlvolkes“ entfernt, mit der Entertainment-Medialisierung usw. ihrer positiven Kräfte beraubt.
Während es immer mehr an Legitimation und Glaubwürdigkeit mangelt, wird die Sprache und die Öffentlichkeit der Demokratie immer leerer und unwahrer. In dieses Vakuum brechen mit Beharrlichkeit und Skrupellosigkeit die rechtspopulistischen und neofaschistischen Kräfte ein. Für diese Situation gäbe es nur zwei nachhaltige Rettungsversuche: den Kapitalismus überwinden und die Demokratie fundamental erneuern.
Aber nicht nur in den autoritären Teilen des Weltwirtschaftssystems (das bekanntlich selbst gerade seine große Krise erlebt) sind diese beiden Forderungen schon mehr oder weniger im Rang des Staatsverrats und der Sabotage gelandet. Auch hierzulande wird die unangenehme Wahrheit, dass die Nicht-Überwindung des Kapitalismus das Ende des Menschen-Planeten und die Nicht-Erneuerung der Demokratie das Ende dieses Projekts der politischen Zivilisation bedeutet, nach Kräften bekämpft.
Solidarisch sein hieße derzeit, sich dieser (letzten) Zumutung gemeinsam stellen. Uns wegen jedem Scheiß erbittert streiten können wir dann bitte nachher wieder.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Sport und Krieg in der Ukraine
Helden am Ball
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
Bodycams bei Polizei und Feuerwehr
Ungeliebte Spielzeuge