Einwanderung und Extremismus: Offenheit, aber nicht für Intolerante
Die Linke muss lernen, die demokratische Verfassung gegen einen auch zugewanderten Extremismus zu verteidigen, speziell wenn es um Antisemitismus geht.
Flucht, Asyl, Migration. Die Lage 2025 ist unübersichtlich. Vieles, worüber wir heute innenpolitisch streiten, ist außenpolitisch verknüpft. Die globalisierte Welt ist ineinander verzahnt, tradierte Werte und Rechtssysteme stehen unter Druck und konkurrieren miteinander. Wo sich alle mit allem konfrontiert sehen, digital und medial verstärkt, zeigen sich deutliche Erschöpfungserscheinungen – ganz besonders in den Gesellschaften der liberalen Demokratien.
Den Prinzipien der westlichen Welt wurde nach 1989 ein Siegeszug über den gesamten Globus vorhergesagt. Kraft besserer Ideen und Lebenschancen für die vielen würden sie sich überall durchsetzen. Doch mit dem Rücken zur Wand stehend, gingen korrupte Autokratien, nationalistische Regime oder religiös-faschistische Bewegungen angesichts der drohenden Transformation zur Offensive über.
Diesen Sommer überzieht Russland nun schon im vierten Jahr die Ukraine mit Bombenterror und Invasionskrieg, während sich im Gazastreifen die terroristische Hamas seit bald zwei Jahren hinter der Zivilbevölkerung verschanzt. Sie gibt die aus Israel verschleppten, seit 700 Tagen gequälten letzten Geiseln nicht frei.
Antiisraelisch und antisemitisch
Zehn Jahre Flüchtlingssommer 2015: Die großen Fragen von damals sind die großen Fragen von heute – ganz egal, ob es um Grenzkontrollen, Integration oder die AfD geht. Die taz sucht in einem Sonderprojekt Antworten.
Die Bilder von Zerstörung und Hungernden in Gaza spielen den Gotteskriegern propagandistisch in die Hände. Israel ist mehr und mehr isoliert. Vergessen ist bei vielen, wer am 7. 10. 2023 mordend in Israel einfiel, den Krieg auslöste und immer noch nicht kapituliert. Die Ereignisse finden in vielen der globalisierten Metropolen des Westens in antiisraelischen und antisemitischen Manifestationen derzeit Widerhall.
Auch die Massaker an religiösen Minderheiten in Israels Nachbarland Syrien feierten jüngst Hunderte Islamisten unbehelligt vor dem Roten Rathaus in Berlin. Dabei riefen sie Ende Juli auch dazu auf, drusische Frauen zu vergewaltigen, während in Düsseldorf parallel dazu syrische Islamisten gemeinsam mit türkischen Rechtsextremisten eine kurdische Solidaritätsdemonstration für die Drusen angriffen.
Die Polizei kann häufig Sprache und Hintergrund solcher Aktionen schlecht einordnen; Türkisch oder Arabisch verstehende Intellektuelle, die aufklären, wie Güner Balci oder Ahmad Mansour, werden denunziert und bedroht.
Klare Sprache für Probleme
„Dabei führt kein Weg daran vorbei“, sagt Güner Balci, Integrationsbeauftragte von Berlin-Neukölln, „zum Beispiel auch die Probleme, die Migration mit sich bringt, mit klarer Sprache zu benennen.“ Sie will sich nicht einschüchtern lassen. Balci ist in Neukölln aufgewachsen.
Sie beschreibt, wie sich ihr Viertel mit dem Zuzug arabischer Familien aus dem Libanon seit den 1980ern verändert hat und sich eine patriarchal-chauvinistische Stimmung ausbreitete. Mit entsprechenden Moschee-Vereinen im Hintergrund. Im August erscheint ihr neues Buch „Heimatland. Zähne zeigen gegen die Feinde der Demokratie“.
Autoritär geprägte Linke neigen dazu, unangenehme Entwicklungen, wie sie Balci im Bereich der Migration anspricht, zu ignorieren. Sie passen nicht in das Weltbild eines angeblich alles prägenden Nord-Süd-Konflikts mit angeblich „weißen“ Europäern, Amerikanern und Israelis als den Verantwortlichen an der Spitze.
Doch sich häufende Vorkommnisse wie Amokfahrten oder Messerattacken mit islamistischem Hintergrund begünstigten die zuletzt sehr deutliche Verschiebung nach rechts. Zudem gehen Bedrohungen und Angriffe gegen jüdische Menschen und Institutionen in Deutschland (und dahinter abgestuft auch gegen subkulturelle Klubs der antiautoritär-antifaschistischen Linken) immer häufiger nicht mehr nur von originären deutschen Neonazis aus.
Panislamische Perspektive der Parole
Der autoritär-antiimperialistische Teil der Linken hat derzeit trotzdem nichts Besseres zu tun, als eine Parole wie „From the River to the Sea, Palestine will be free“ salonfähig zu machen. Juristisch und medial fordert man, sie straffrei skandieren zu dürfen. Aus panislamischer oder panarabischer Perspektive formuliert der Slogan das eindeutige Ziel, Israel vom Fluss Jordan bis zum Mittelmeer auszuradieren. Unter Berufung auf Abstammungsmythen und Naturrecht.

Im Sommer waren die Geflüchteten Thema an vielen Stellen in der taz. Hier eine kleine Auswahl von Texten, die heute noch eindrucksvoll zu lesen sind.
Von Aleppo über Izmir nach Bad Langensalza
Die Flucht aus Syrien bis nach Deutschland dauert für die meisten mehrere Monate. Johannes Gernert und Charlotte Stiévenard haben im März 2015 für die taz den Weg von drei Flüchtenden nachgezeichnet.
Ein Tag bei den Geflüchteten am Lageso in BerlinIm August 2015 waren tausende Geflüchtete vor dem Lageso, dem für die Registrierung zuständigen Landesamt in Berlin gestrandet. Die Stadt bekam es nicht hin, sie zu versorgen. Ohne die Freiwilligen der Initiative „Moabit hilft“ lief nichts. taz-Redakteur Gereon Asmuth schrieb damals über einen Tag als Helfer, über den Kampf der Menschen ums Essen und darüber, wie Helfer:innen sich noch spät am Abend mit einem Flüchtlingstreck durch die Stadt auf den Weg zu einer Unterkunft machten.
Rassistische Ausschreitungen in Heidenau
Nicht überall im Land war die Stimmung pro Geflüchtete. In Heidenau gibt es tagelang Auschreitungen. Ende August 2015 war taz-Reporter Tobias Schulze vor Ort. Das war eine gruselige Erfahrung und beim Lesen der Zitate aus seinem Text schüttelt es ihn wieder. Neben all dem Rührenden, das in diesem Sommer passiert ist, war eben auch alles Schlechte schon angelegt. Hier sein Bericht „In Heidenau versagt das Bürgertum“.
Eine Woche bei den Flüchtenden am Bahnhof von Budapest
Anfang September strandeten Tausende Flüchtende am Bahnhof der ungarischen Hauptstadt, weil sie von dort nicht weitergelassen wurde. taz-Reporter Martin Kaul war eine Woche vor Ort und begleitete schließlich die Flüchtenden erst zu Fuß, dann mit dem ersten bereitgestellten Bus zur Grenze nach Österreich. Hier hat er seine sehr persönlichge Bilanz der Woche aufgeschrieben.
Illegale Helfer, die Flüchtende mit dem Auto nach Deutschland bringen
Auch Mitte September 2015 sind die Grenzen alles andere als offen. Aktivisten aus Deutschland machen sich immer wieder auf dem Weg, um mit ihren PKW Flüchtenden ins Land zu bringen. Martin Kaul hat aufgeschrieben, was sie bewegt.
Die Schriftstellerin Samar Yazbek über die Lage in Syrien
Wie war eigentlich die Lage in Syrien? Was hat die Menschen zur Flucht getrieben? Die syrische Schriftstellerin Samar Yazbek ging für ihr Buch „Die gestohlene Revolution“ in die Hochburgen des Widerstands gegen Assad. taz-Kulturredakteur Andreas Fanizadeh hat sie im Oktober 2015 interviewt.
Rafik Schami zur Situation in Syrien
Ein weiteres Interview mit dem Schriftsteller Rafik Schami über das Morden in seinem Land und die Chancen der Opposition, zeigt, wie drückend die Lage im Land schon lange vor 2015 war. Es stammt aus dem Jahr 2011.
Der Hinweis, dass das Judentum älter als der Islam ist, hilft da wohl wenig. Eigenständiges jüdisches Leben soll es im Nahen Osten nicht geben. Auch laizistisch und demokratisch gesinnte Palästinenser werden von der Hamas brutal verfolgt.
Sich gegen solch hetzerische Parolen zu stellen, egal wie man zu der Kriegsführung Netanjahus im Gazastreifen steht, würde ein minimales Verständnis plural zusammengesetzter Gesellschaften voraussetzen. Im Nahen Osten genauso wie in Europa. Das linke Lager in Deutschland – die im Bundestag vertretenen Parteien SPD, Grüne und Die Linke – kritisiert zu Recht, dass das völkische Denken der AfD einen biologistischen Nationenbegriff propagiert.
Keine Zusammenarbeit mit religiös-faschistischen Ideologen
Empfohlener externer Inhalt
Mit der rassistischen AfD dürfe man von daher niemals zusammenarbeiten. Doch genau dies müsste im Umkehrschluss auch für religiös-faschistische oder völkisch-nationalistische Ideologen gelten, die sich phrasenhaft bei den Konzepten eines antiimperialistischen Dekolonialismus bedienen, um ihre antidemokratische und patriarchale Agitation voranzutreiben.
Dies nicht selten in unmittelbarer Verbindung zu extremistischen Institutionen ihrer Herkunftsländer. Wie etwa zuletzt auch Anfang August auf dem Neuköllner Sommerfest der Partei Die Linke in Berlin. Der berüchtigte Ortsverband stellte es unter das Motto „Neukölln steht zusammen – Solidarität mit den Menschen in Palästina“ und ließ Vertreter des „Vereinigten Palästinensischen Nationalkomitees“ dort auftreten, einer Vorfeldorganisation der mit der Hamas verbündeten terroristischen Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP).
Den Entwurf einer offenen Gesellschaft kann nur glaubwürdig demokratisch vertreten, wer seinerseits den Intoleranten nicht mit falscher Toleranz begegnet.
Eine fortschrittliche Asyl- und Migrationspolitik muss nach den Erfahrungen von 2015 berücksichtigen, dass die meisten Menschen, die vor Verfolgung fliehen, zwar mit guten Absichten nach Europa oder Deutschland kommen. Aber eben nicht alle. Bereits vor 2001 ließ sich ein Teil der Attentäter von 9/11 in Hamburg nieder. Terroristen des „Islamischen Staats“ (IS) bedienten sich 2015 der „Balkanroute“, um so unbemerkt nach Frankreich zu gelangen. In Paris richteten sie in der Konzerthalle Bataclan und an anderen Orten des Nachtlebens Massaker an.
Taten und Täter klar benennen
Man muss Taten und Täter klar benennen, sollen nicht ganze Bevölkerungsgruppen nach Herkunft oder Religion stigmatisiert werden. Ebenso die Defizite in der Einwanderungspolitik. Dass das extremistisch-arabische „Nakba“-Vokabular derzeit Einzug in den Alltagsdiskurs autoritärer Linker findet, ist ein alarmierendes Zeichen. Die Staatsgründung Israels 1948 war keine Katastrophe („Nakba“), genauso wenig wie die Befreiung Deutschlands vom Faschismus 1945.
Mit „Katastrophen“ wurden immer schon eigene Untaten begründet. Etwa auch die vielen arabischen Angriffskriege gegen das plurale und demokratische Israel oder die Ablehnung des UN-Teilungsplans.
Die Bundesrepublik bekennt sich seit der von der ersten rot-grünen Regierungskoalition 2000 durchgesetzten Reform des Staatsangehörigkeitsrechts dazu, eine multiethnische Nation zu sein. Das völkische Abstammungsprinzip wurde um das des Geburtsorts erweitert, Einbürgerungen von Migranten erheblich erleichtert.
Dies betraf zunächst viele „Gastarbeiter“-Familien aus der alten Bundesrepublik, auch „Vertragsarbeiter“ aus der früheren DDR. Die nationale Integration der einst Angeworbenen und zum Teil dauerhaft in Deutschland sesshaft Gewordenen war überfällig. Die Unionsparteien hatten diese jahrzehntelang verschleppt, die Wahlkämpfe der 1980er und 1990er waren entsprechend völkisch-national aufgeladen. Nur so blieb Kanzler Helmut Kohl auch über den Mauerfall hinweg von 1982 bis 1998 durchgängig mehrheitsfähig.
Rechtsterrorismus aus Einheitsnationalismus
In den Augen vieler war der Preis dafür ein im Gefolge des völkischen Einheitsnationalismus entstandener Rechtsterrorismus. Die ostdeutschen Haupttäter des nazistischen NSU verübten von 2000 bis 2006 eine beispiellose Mordserie an Migranten, erst 2011 flogen sie auf.
Unter der von 2005 bis 2021 währenden Kanzlerschaft Angela Merkels schien die neue Bundesrepublik zur Ruhe gekommen zu sein. Merkels Union verbannte das völkische Vokabular aus ihrem Wortschatz.
Doch am rechten Rand wuchs mit der AfD eine neue Kraft. Wie Friedrichs Merz’ Rede von den „kleinen Paschas“ 2023 andeutete, sich vor der Bundestagswahl durch die gemeinsame Abstimmung zur Migrationspolitik der Union mit AfD im Januar abzeichnete und sich jetzt beim Spektakel zur Verhinderung der Verfassungsrichterin Frauke Brosius-Gersdorf erneut zeigte: Die Versuchung bei Merz’ Konservativen ist riesig, an die Kulturkämpfe der verklärten Ära Kohl anzuschließen. Doch wie die Umfragen zeigen, nützt dies bislang vor allem der AfD.
Ursachen für Flucht und Asyl
Zudem: Die Welt dreht sich bekanntlich weiter. Die Ursachen für Flucht, Asyl und Migration werden auch unter Merz’ Regierung bestehen bleiben. Man kann sie nicht einfach abschaffen, zumal bei den existierenden machtpolitischen und militärischen Realitäten. Man kann aber versuchen, deren Auswirkungen so solidarisch und humanistisch wie möglich mit geschultem Personal zu gestalten.
Und nicht wie jüngst geschehen, ausgerechnet eine jesidische Familie oder andere bereits integrierte Menschen im Dobrindt’schen Abschiebeflieger in den Höllenschlund des Islamismus zu schicken. Um abgewandelt mit Jürgen Habermas zu sprechen: Zu Hause ist dort, wo dein Herz für die Verfassung schlägt.
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