Radikalisierung der Klimaproteste: Klima der Entfremdung
Die Kluft zwischen Klima-Aktivist:innen und Politik wächst. Grüne machen Realpolitik. Linke sind nicht ernstzunehmen. Beiden fehlen Antworten.
S achbeschädigung ist für relevante Teile der Klimabewegung jetzt ein legitimes Protestmittel. Das ist in der Rückschau die bemerkenswerteste Nachricht von den Klimaprotesten rund um das „System Change“-Camp in Hamburg, das bis Montag läuft. Vor allem eines kommt darin zum Ausdruck: Die Klimabewegung entfremdet sich zusehends von den Parteien im Bundestag, die sie eigentlich vertreten sollten.
Denn für die Grünen gehört es als Teil der Regierungskoalition nun mal dazu, knallharte Realpolitik zu machen – Taxonomie, Tempolimit und Ausbau der Gas-Infrastruktur sind nur einige von vielen Beispielen. Und die geschrumpfte Linkspartei ist in ihrem jetzigen Zustand keine ernstzunehmende ökologische Oppositionspartei. Mit Klaus Ernst stellt sie zwar den Vorsitzenden des Ausschusses für Klimaschutz und Energie. Der sagte aber einmal: „Es kann nicht Aufgabe einer linken Partei sein, noch grüner zu sein als die Grünen“.
Gleichzeitig machen auf der ganzen Welt und auch hier in Deutschland Folgen des Klimawandels wie Hitzewellen, Waldbrände und ausgetrocknete Flüsse deutlich: Uns bleibt keine Zeit mehr übrig, unser Haus brennt. Die Aktivist:innen und ihre Unterstützer:innen haben erkannt, wie riesig die strukturellen Veränderungen sind, die notwendig wären, um noch halbwegs glimpflich aus dem Schlamassel zu kommen. Doch sie fühlen sich ohnmächtig. Der Impuls, im Protest noch weiter zu gehen und zu hoffen, damit mehr zu erreichen, ist daher nachvollziehbar. Auch Luisa Neubauer von Fridays for Future beteiligte sich übrigens an Blockadeaktionen in Hamburg am Samstag.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser sagte im Gespräch mit der Bild am Sonntag: „Wir müssen gegen mögliche Attacken auf Gas-Terminals und andere kritische Infrastruktur gerüstet sein“. Nun von einer Öko-RAF zu schwadronieren und Klimaaktivist:innen in einen Topf mit einer mörderischen Terrorgruppe zu werfen, wäre indes eine übertriebene Fehleinschätzung.
Dennoch müssen sich die Parteien ernsthafte Gedanken darüber machen, was sie einer weiteren Entfremdung von Politik und Klimabewegung entgegensetzen können. Wie wäre es zum Beispiel mit einer konsequenten Klimapolitik, die sich an der Radikalität einer drohenden Klimakatastrophe misst?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ost-Preise nur für Wessis
Nur zu Besuch
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Etgar Keret über Boykotte und Literatur
„Wir erleben gerade Dummheit, durch die Bank“
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Verzicht auf Pädagogen in Bremer Kitas
Der Gärtner und die Yogalehrerin sollen einspringen
Grüne Parteitagsbeschlüsse
Gerade noch mal abgeräumt