„Ende Gelände“ protestiert in Hamburg: Gegen den fossilen Kapitalismus

Die Klimaak­ti­vis­t*in­nen blockieren diesmal Orte der Infrastruktur und Logistik: Das LNG-Terminal und den Hamburger Hafen.

Aktivist:innen sitzen auf Bahngleisen

400 Ak­ti­vis­t*in­nen haben den Hamburger Hafen lahmgelegt Foto: Markus Scholz/ dpa

HAMBURG taz | Am Samstagmorgen brennt die Sonne auf den Hamburger Stadtteil Hausbruch nieder. Die Luft flimmert vor Hitze. Es sind sengende 30 – gefühlte 40 Grad Celsius. Etwa 400 Aktivist*innen, in den für „Ende Gelände“ typischen Malanzügen, laufen mit einer großen Rettungsdecke als Fahne vorneweg die Neuwiedenthaler Straße entlang. Auf ihren Köpfen tragen die Ak­ti­vis­t*in­nen goldene Kappen. Fast alle haben goldene FFP2-Masken vor dem Gesicht, halten Sonnenschirme und tragen Sonnenbrillen. Begleitet werden sie von etwa 200 Polizist*innen. Denen schmeckt das Outfit der Ak­ti­vis­t*in­nen nicht. Immer wieder muss die Gruppe anhalten, weil der Einsatzleiter Vermummung wittert. Dann darf sie doch weiterziehen.

Als die Demonstration gegen 12 Uhr auf die Waltershofer Straße in Richtung Hafen einbiegt, rufen Einzelne auf einmal „Stick together“. Dann sprinten die Ak­ti­vis­t*in­nen los. Es geht einen durch die Polizei völlig ungeschützten Bahndamm hinauf. Po­li­zis­t*in­nen versuchen dies mit roher Gewalt zu verhindern. Sie werfen Leute die Böschung hinab und schlagen auch zu. Einige Ak­ti­vis­t*in­nen stürzen und kauern sich am Boden zusammen. Der Großteil schafft es trotzdem auf die Schienen. Während ein Rauchtopf abbrennt, macht eine Aktivistin eine Durchsage durch ein Megafon: „Wir sind hier genau richtig. Es handelt sich um einen der Hauptverkehrsachsen für den Güterverkehr. Alle 10 Minuten fährt hier ein Zug. Es ist eine der Hauptversorgungslinien des Hamburger Hafens.“ Die Ak­ti­vis­t*in­nen jubeln.

Liv Roth, Pressesprecherin des kommunistischen „ums Ganze!“-Bündnis, das den goldenen „Finger“, wie die Ak­ti­vis­t*in­nen die einzelnen Demozüge nennen, mitorganisiert hat, sagt: „Mit der Blockade hier im Gleisbett ist ein neuralgischer Punkt unterbrochen.“ Laut Roth fließe hier über die Schienen ein Großteil der Container, die den Hamburger Hafen erreichten, ab. Ob der Hafenbetrieb tatsächlich durch die Aktion gestört wird, ist unklar. Vorerst geht auf den Schienen nichts mehr.

In diesem Jahr hatte das Aktionsbündnis „Ende Gelände“ beschlossen, neben der im Bau befindlichen Infrastruktur für Erdgas, auch den Hafen als Symbol für die Logistik des fossilen Kapitalismus ins Visier zu nehmen. Außerdem fordert „Ende Gelände“ einen sofortigen Gasausstieg.

Sachbeschädigung als Aktionsform ein Novum

Am Freitag hatten Ak­ti­vis­t*in­nen bereits die Baustelle eines LNG-Terminals in Wilhelmshaven blockiert und teilweise Baumaschinen beschädigt. Dass bei den Aktionen Sachbeschädigung als Aktionsform vom Bündnis selbst erlaubt ist und nach außen getragen wird, ist ein Novum. An verschiedenen Stellen wird zumindest bei der goldenen Blockade „geschottert“ – also die Gleise unterhöhlt und Steine entfernt. Eine Technik bekannt von den Castor Protesten.

Früh am Samstagmorgen starteten etwa 1.500 Personen in drei Protestgruppen gemeinsam am Camp im Altonaer Volkspark. Zunächst führte eine angemeldete Demonstration in Richtung Bahnhof Altona. „Unser primäres Ziel ist es, fossile Infrastruktur lahmzulegen“, sagte Lou Winters, Pressesprecherin von „Ende Gelände“. Vom Lautsprecherwagen wummerten Techno-Beats. Ein älterer Herr beobachtete oberkörperfrei von seinem Fenster aus mit gerümpfter Nase den vorbeiziehenden Demozug. Andere An­woh­ne­r*in­nen applaudieren.

Rudi Mertz etwa, 85, beobachtete die Proteste vom Gehsteig auf seinem Rollator sitzend. Er findet gut, dass die Ak­ti­vis­t*in­nen für Klimaschutz und gegen den Kapitalismus auf die Straße gehen und sagte in breitem Hamburger Akzent: „Wenn keiner was macht, dann geht das bergab alles.“ In die Politik habe er kein Vertrauen mehr und sei enttäuscht davon, dass die sich von Putin abhängig gemacht hat.

Ganz anders sieht das Marko Schomann. Der breit gebaute 40-Jährige steht rauchend vor einem Friseursalon und hält die Proteste für „Schwachsinn“. „Wenn die dagegen demonstrieren würden, dass wir alle zu viel für unser Gas und Strom bezahlen, würde ich das verstehen.“ Er wohnt direkt neben dem System Change Camp und ist genervt von den Aktivist*innen. „Seit heute morgen um fünf kreisen Hubschrauber“, so Schomann.

Kein Wasser für Ak­ti­vis­t*in­nen

Ohne große Zwischenfälle zogen die Ak­ti­vis­t*in­nen zum Bahnhof Altona. Während einer Zwischenkundgebung strömte der goldene Finger in die S-Bahn ab. Auf der Kundgebung vor dem Bahnhof Altona sprach währenddessen eine New Yorker Aktivistin und sagte, sie spüre die Folgen des Klimawandels auch bei sich zu Hause und rief: „Ratet mal, wer sich mit den größten Problemen konfrontiert sieht? People of Color mit niedrigem Einkommen“. S-Bahn-Fahrer*innen und Ki­osk­be­sit­ze­r*in­nen blickten teils ungläubig, während auch die restlichen Ak­ti­vis­t*in­nen sich in Richtung Gleis schlängelten und schließlich in die S3 Richtung Hammerbrook stiegen.

Während die Ak­ti­vis­t*in­nen des goldenen Finger gegen 13 Uhr bereits mit Schmerzgriffen von den Schienen geräumt werden, schafft der pinke Ende-Gelände-Demozug im etwa 6 Kilometer entfernten Wilhelmsburg ebenfalls einen Durchbruch auf Gleise. Die Pressestelle der Polizei Hamburg sagt gegen 14 Uhr gegenüber der taz, die Blo­ckie­re­r*in­nen würden nun gelöst und gegebenenfalls einer Identitätsfeststellung unterzogen. Es würden mögliche Straftaten geprüft. Mehr will man im laufenden Einsatz nicht herausgeben. Es könnte aber sein, dass der Gruppe etwa ein gefährlicher Eingriff in den Schienenverkehr vorgeworfen wird.

Während der Räumungsaktion dürfen die Ak­ti­vis­t*in­nen zunächst nicht von Un­ter­stüt­ze­r*in­nen mit Wasser versorgt werden. Knapp eine Stunde stehen vier Kanister Trinkwasser bereit, werden aber nicht – wie von der Polizei zugesagt – von Be­am­t*in­nen zu den in der Sonne Sitzenden gebracht. Es gäbe angeblich keinen Platz, sagt eine Kontaktbeamtin. An­wäl­t*in­nen werden zeitgleich daran gehindert, zu den in Gewahrsam genommenen Ak­ti­vis­t*in­nen zu gelangen. Sa­ni­tä­te­r*in­nen müssen immer wieder Verletzte versorgen. Ein Krankenwagen fährt vor. „Einmal Hitzschlag“, ruft ein Polizist. Erst dann fordert ein Bereitschaftspolizist die taz-Jour­na­lis­t*in­nen vor Ort auf, das Wasser doch zu den Menschen auf den Gleisen zu tragen.

Internationale Protestgruppen

Die internationale lila Protestgruppe läuft derweil an den Anlagen der Holborn Europa Raffinerie vorbei. Ihr Ziel ist das Kraftwerk Moorburg, ein seit 2021 stillgelegtes Steinkohlekraftwerk. „Die Konzerne fordern, dass es wieder ans Netz gehen soll. Wir können ein starkes Zeichen setzen, dass wir für den Ausstieg aus der Kohle sind“, sagt die Ende-Gelände-Sprecherin Charly Dietz, die vor Ort ist. Hier wird auch ein LNG-Terminal geprüft.

Eine Person ruft auf Englisch in ein Megafon: „A- anti- anticolonalista!“ Die Masse antwortet: „Who shuts Moorburg down? We shut Moorburg down!“. Viele international angereiste Ak­ti­vis­t*in­nen beteiligen sich an diesem Teil der Aktion. Mit dabei sind Menschen aus Kolumbien, Italien, Finnland und Schweden. Es ist eines der großen Ziele der Klimabewegung, globaler und diskriminierungssensibler zu werden. Denn betroffen sind von der Erdgas-Förderung und auch den unmittelbaren Auswirkungen des Klimawandels vor allem Menschen im globalen Süden.

Als letzte der drei Protestgruppen erreicht lila schließlich ihr Ziel und blockiert die Kattwyck-Hubbrücke. Während die Ak­ti­vis­t*in­nen versuchen, auf die Schienen auf dem linken Brückenteil zu kommen, schlagen Po­li­zis­t*in­nen brutal mit Schlagstöcken auf die vorderen Reihen ein und setzen Pfefferspray ein. Einige wenige schaffen es trotz allem auf die Schienen. Auf die Straße auf dem anderen Brückenteil haben es 60 Ak­ti­vis­t*in­nen geschafft. Die Polizei löst die Versammlung auf der Straße auf, setzt dabei Wasserwerfer ein und nimmt den Klimabewegten ihre Regenschirme weg. Doch die bleiben, wo sie sind.

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