Islamkritik: Die andere Freiheit
Rücksichtnahme auf religiöse Empfindlichkeit ist keine Selbstzensur und Macrons Variante von Laizismus kein universeller Wert.
L ange bevor Prophetenkarikaturen ein globales Thema wurden, hörte ich mir in Malaysia die Freitagsansprache eines Predigers an, dessen Scharfzüngigkeit gerühmt wurde. Es war Ramadan und ich bat meine Dolmetscherin, mir aus dem Malaiischen nur politische Aussagen zu übersetzen. Lange sagt sie nichts. Ich wurde ungeduldig: Wovon spricht er denn? Sie antwortete: Wie der Prophet duftete. Nach einer Weile fragte ich erneut: Und jetzt? Sie sagte: Wie gepflegt sein Bart war. Und beim dritten Versuch: Wie zart seine Haut war.
Vielleicht ist die Liebe zu Mohammed, sogar seine Körperlichkeit umfassend, eine Möglichkeit, dem transzendenten, fernen, nicht abbildbaren Gott des Islams ein wenig näher zu kommen. Jedenfalls ist dieses ganz besondere Verhältnis eine Voraussetzung dafür, dass die Herabsetzung des Propheten von vielen Muslimen – nicht von allen – als Stich ins eigene Herz empfunden wird.
An Religionen wirkt vieles bizarr – umso mehr an einer, in die man selbst nicht von Kind an hineingewachsen ist. Die Frage ist vielmehr, ob das eigene Nichtverstehen ausgehalten wird. In Deutschland, wo bald 40 Prozent konfessionslos sind, hat sich eher das Dogma durchgesetzt, alles müsse in medialer Kürze verständlich sein und für Unverstandenes brauche die Mühe der Toleranz eigentlich nicht aufgebracht zu werden.
Nein, ich verkehre hier nicht die Fronten; niemand muss mich über Terror aufklären. Aber ich definiere Freiheit anders als Emmanuel Macron. Zurückhaltung und Respekt für die Sensibilität anderer ist weder ein Einknicken vor Islamismus noch Selbstzensur. Seit vor anderthalb Jahrzehnten eine dänische Zeitung den jüngeren Reigen der Mohammedkarikaturen eröffnete, hat diese Auseinandersetzung nichts Gutes hervorgebracht, nur vermehrten Hass. Ist etwas deshalb wertvoll, weil es angegriffen wird? Die sexualisierte Häme, wie sie im Stil von Charlie Hebdo gepflegt wird, berührt mich unangenehm. Die Ermordung der Zeichner war entsetzlich, so wie jüngst die von Samuel Paty. Aber ist es deswegen untersagt, für den Verzicht auf diese Art von Karikaturen zu plädieren?
Tagtäglich wird vieles nicht kritisiert, nicht verspottet, aus Rücksicht auf die Interessen anderer, oft die von Mächtigen. Und wenn die Verletzung religiöser Gefühle ein Lackmustest auf die Meinungsfreiheit ist, wo sind dann vor Weihnachten die gehässigen Karikaturen der Jungfrau Maria? Tatsächlich wird die Freiheit des Spotts unterschiedlich dosiert. Frauenfeindliche Karikaturen sind seltener geworden, weil viele sie nicht mehr als Meinungsfreiheit, sondern als Diskriminierung empfinden.
Beim Thema Antisemitismus bleibt hingegen, wie der Fall Lisa Eckhart zeigt, hoch umstritten, was Satire ist und was sie darf. Im antirassistischen Milieu, sonst sensibel gegenüber Beleidigungen, wird kaum über eine fortschrittliche Haltung gegenüber religiösen Schmähungen debattiert. Wenn wir es falsch finden, die Verwendung des N-Wortes mit Redefreiheit zu legitimieren, sollten uns anders gelagerte Verletzungen nicht gleichgültig lassen. Von links werden Muslime gern abstrakt umarmt, soweit sie als Opfer von antimuslimischem Rassismus gelten können, doch mit ihrer Religiosität will man lieber nichts zu tun haben.
Tätergemeinschaft?
Die überwiegende Zahl der Opfer von islamistischem Terror sind Muslime, meistens Nichtweiße. Was in Europa geschieht, ist ein sehr kleiner Ausschnitt des weltweiten Terrorgeschehens. Dennoch bilden Muslime aus Sicht der Mehrheitsgesellschaft stets eine Tätergemeinschaft, nie eine Opfergemeinschaft. Als parallel zu dem Anschlag in Wien die Universität Kabul angegriffen wurde, ging niemand zu den österreichischen Muslimen, um zu kondolieren.
Gewiss, nahes Leid berührt mehr als fernes. Aber das allein ist es nicht. Was ein Menschenleben wiegt, bemisst sich weiter nach kolonial geprägten Maßstäben; außereuropäische Tote zählen weniger. Ihre Missachtung hat gerade der War on Terror erhärtet: Unschuldige für einen höheren Zweck zu töten wurde unausgesprochen legitim. In einem seltenen Fall von Ahndung wird nun eine australische Eliteeinheit der Kriegsverbrechen in Afghanistan angeklagt.
Nach einer verbreiteten Annahme sind Attentate in Westeuropa ein „Angriff auf Werte“, während der Terror in muslimischen Ländern einfach nur eine beliebige Zahl von Menschen umbringt. Die Studenten und Dozenten von Kabul waren indes kein beliebiges Ziel. Sie starben bei einem Angriff auf säkulare Bildung, auf Wissenschaft. Oder können nur weiße Karikaturisten und ein weißer Lehrer einen überpersönlichen gesellschaftlichen Wert verkörpern?
Politischer Missbrauch
Sechs Wochen nach dem Tod von Samuel Paty, der als Individuum meine größte Achtung hat, ist deutlich geworden, wie sehr dieser Hingerichtete politisch missbraucht wurde. Er diente der französischen Regierung nach den Worten von Amnesty International dazu, ihren eigenen Angriff auf die Meinungsfreiheit zu starten, mit Sicherheitsgesetzen und Verboten. Halal-Food im Supermarkt steht nun ebenso im Verdacht, den vielzitierten Nährboden für Extremismus zu bereiten, wie Kritik am Kolonialismus. Ein rechtsnationaler Antiislamismus, im Wettstreit mit Marine Le Pen.
Aber da ist noch etwas anderes: europäische Selbstüberschätzung. Glaubt Macron wirklich, er könne die Welt auf das französische Verständnis von Laizismus und die französische Wertschätzung von Blasphemie verpflichten? In die Erregung der vergangenen Wochen fiel maulid, der Geburtstag des Propheten, ein Fest, das radikale Muslime ablehnen und friedliebende, besonders Sufis, mit großer Hingabe feiern. In Mali war zu sehen, wie Tausende von ihnen ihre Entrüstung über Macron zum Ausdruck brachten.
Das weiße Europa hat noch die Macht zu provozieren, doch längst nicht mehr das Vermögen zu überzeugen.
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