AfD ist gesichert rechtsextrem: Entnormalisiert diese Partei!
Der Verfassungsschutz hat die gesamte AfD als gesichert rechtsextrem eingestuft. Im Kampf für die Demokratie ist jetzt die Zivilgesellschaft gefragt.

N un hält auch der Verfassungsschutz die AfD für rechtsextrem. Wer in den vergangenen zehn Jahren den Weg der AfD verfolgt hat, weiß, welchen Prozess der Radikalisierung die Partei durchlief – und dass deren wachsende Wählerschaft jeden Schritt der Radikalisierung mitgegangen ist. Dies widerlegt die für die alte Bundesrepublik gültige Erkenntnis der westdeutschen Parteienforschung, wonach eine rechte Partei Wähler verliert, je radikaler sie auftritt. Bei der AfD ist es genau andersrum: Die Wählerschaft hat jede rhetorische und programmatische Radikalisierung der Partei belohnt.
Die vielbeschworene Mitte der Gesellschaft wirkte und wirkt zeitweise an diesem Belohnungssystem mit, in dem sie die Wähler- und Anhängerschaft der AfD seit dem Aufstieg von Pegida so lange in die Watte des verständnisvollen politischen Entgegenkommens packte, dass ihre politische Normalisierung jedenfalls in Ostdeutschland als abgeschlossen betrachtet werden muss. Genützt hat dieses inhaltliche Zurückweichen in dem Sinne, dass dadurch Wähler oder Anhänger der Partei zurückgewonnen wurden, nichts. Und nun soll es der Verfassungsschutz sein, der die AfD stoppt?
Die entscheidende Frage wird nun sein, ob das Gutachten des Verfassungsschutzes eine konkrete Wirkung in der Auseinandersetzung mit der Partei entfaltet. Zweifel sind angebracht. Denn im Grunde müsste das Gutachten eine politische Rückabwicklung der Normalisierung der Partei und ihrer Positionen in Gang setzen. Dies würde viel mehr bedeuten, als nur die Einladungen von AfD-Politikern in die Talkshows des Landes auszusetzen. Es würde bedeuten, dass die Vertreter der Partei von Veranstaltungen zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus ausgeschlossen sind und bleiben.

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Dies würde bedeuten, dass die Partei aus den Beiräten, Aufsichtsgremien und Kuratorien von Fernsehsendern, Kultur- und Bildungseinrichtungen in die ihre Vertreter durch die parlamentarischen Erfolge des vergangenen Jahrzehnts gekommen sind, mit dem Hinweis auf ihre Verfassungsfeindlichkeit hinaus zu komplementieren. Es würde bedeuten, die in den Kommunen, aber auch in einigen ostdeutschen Landtagen exemplarische Kooperation mit der Partei zu beenden und einen klaren Kurs der inhaltlichen Abgrenzung zu dieser rechtsextremen Partei einzuschlagen. Keine Ausschussvorsitze für die AfD, keine Zustimmung zu ihren Anträgen, weder im Gemeinderat noch im Bundestag. Kurz, es würde bedeuten, mit der AfD so umzugehen, wie mit anderen rechtsextremen Parteien wie der NPD auch umgegangen wurde: ausgrenzen und als rechtsextrem brandmarken.
David Begrich
ist Theologe, Sozialwissenschaftler und Mitarbeiter der Arbeitsstelle Rechtsextremismus bei „Miteinander“ in Magdeburg.
Ist es wahrscheinlich, dass dies genauso kommt, nachdem die AfD über Jahre hinweg beharrlich daran gearbeitet hat, ihre rechtsextremen Inhalte im Gewand des „gesunden Menschenverstandes“ zu präsentieren? Wohl kaum. In Teilen Ostdeutschlands ist die AfD eine Partei mit einer Zustimmung von 30 Prozent plus x – und damit ein Machtfaktor. Dass die AfD vor Ort eine Partei wie jede andere sei, weil man es im Gemeinderat oder im Kreistag nicht mit Björn Höcke oder Alice Weidel zu tun habe, sondern mit Menschen, die man von vor Ort als Mitbürger seit Jahren kenne, ist ein Argument, das oft zu hören ist, wenn es um die Abgrenzung zur AfD geht.
Radikalisierung und Normalisierung zugleich
Ein Gutachten einer geheimnisvollen Behörde aus dem fernen Köln ändert in Ostdeutschland nichts an der habituellen, lebensweltlichen und damit irgendwann auch politischen Nähe zwischen der AfD und Teilen der CDU, den Freien Wählern oder im Zweifelsfall auch Vertretern von SPD, Linken und Grünen vor Ort, soweit diese noch vorhanden sind. In Ostdeutschland bringt die AfD das Kunststück fertig, eine radikal rechte Agenda zu vertreten und zugleich permanent erfolgreich an ihrer Selbstverharmlosung zu arbeiten. Es funktioniert: Radikalisierung und Normalisierung gehen bei der AfD nicht mehr nur im Osten Hand in Hand.
Ein Gutachten, das im Wesentlichen aufführt, was jeder in der Zeitung lesen kann, nämlich dass sich die AfD rassistisch und rechtsextrem einlässt, quittieren zu viele Wähler in den ostdeutschen Ländern mit dem Satz: Gut, aber das gehört doch zur Meinungsfreiheit.
Was gilt das Wort des Verfassungsschutzes? In Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen ist die Partei schon länger als rechtsextrem eingestuft. Bisher hat dies eine Kooperation allerdings nicht verhindert. Nun spekuliert die AfD darauf, dass ihr das Votum des Verfassungsschutzes gerade im Osten noch einmal weitere Anhänger zuführt. Das Gutachten, so schallt es aus dem AfD-Milieu, sei die letzte Karte, die die Regierung im Angesicht der hohen Zustimmungswerte für die Partei noch im Ärmel habe. Man muss das rechte Geraune von einem sich angeblich am Horizont abzeichnenden Systemsturz nicht teilen, um zu verstehen, dass eine Mehrheit der Ostdeutschen den Institutionen der alten Bundesrepublik und ihrer symbolischen Kommunikation fernstehen.
Ein Gutachten des Verfassungsschutzes mag die bürokratische Mechanik der wehrhaften Demokratie in den Institutionen der alten Bundesrepublik in Gang setzen sollen. Aber im Osten wird die politisch symbolische Wirkung des Gutachtens verpuffen, wenn der weitere Aufstieg der AfD in den Regionen nicht aktiv aufgehalten wird. Die Verteidigung der Demokratie, mithin auch der Handlungsfreiheit von Minderheiten, die von der AfD verachtet und diskreditiert werden, kann man nicht allein dem Verfassungsschutz überlassen.
Wer in den kommenden Jahren demokratische Kerne in Ostdeutschland erhalten will, darf sich nicht auf die Wirksamkeit der ehrwürdigen Erzählung von der Erfolgsgeschichte der westdeutschen Demokratie verlassen. Stattdessen braucht es Solidarität und Konzepte, die die Demokraten vor Ort darin unterstützt, vor der AfD nicht weiter zurückzuweichen oder zu kapitulieren. Nicht ein Nachrichtendienst wird die Demokratie verteidigen, sondern die Menschen, die sie vor Ort mit Leben erfüllen.
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