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Ökonomin zur Lage in Deutschland„Ohne Wachstum geht's schneller Richtung Autoritarismus“

Dass Deutschlands Wirtschaft schwächelt, bedroht die Demokratie, sagt die Ökonomin Nicola Fuchs-Schündeln – und macht Vorschläge.

„Uns fehlt eine Zukunftsvision“, sagt Nicola Fuchs-Schündeln Foto: Maria Sturm

taz: Frau Fuchs-Schündeln, Deutschland ist seit drei Jahren in der Rezession, der Internationale Währungsfonds rechnet für 2026 mit weniger als einem Prozent Wirtschaftswachstum trotz massiver staatlicher Investitionen in Rüstung und Infrastruktur. Muss sich Deutschland auf dauerhaftes Nullwachstum einstellen?

Nicola Fuchs-Schündeln: Das können wir nicht.

taz: Vielleicht müssen wir?

Fuchs-Schündeln: Wir sollten uns lieber fragen: Wie bekommen wir wieder mehr Wachstum? Denn bleibt das aus, ist der gesellschaftliche Frieden in Gefahr. Wir wissen aus der Forschung: Demokratie ist gut für Wirtschaftswachstum, aber Wirtschaftswachstum ist auch gut für die Demokratie. Wenn wir langfristig kein Wachstum hätten, bekämen wir ein ernsthaftes Problem.

Im Interview: Nicola Fuchs-Schündeln

Die Makroökonomin leitet seit 2024 das Wissenschaftszentrum für Sozialforschung Berlin. Davor lehrte sie unter anderem an den Univer­sitäten Harvard und Stanford.

taz: Demokratie geht in der Bundesrepublik nur mit Wirtschaftswachstum?

Fuchs-Schündeln: Ich glaube, langfristig ist das so. Die Zufriedenheit mit den öffentlichen Gütern und mit dem Handeln des Staates ist wichtig für die Unterstützung der Demokratie. Das ist das Problem: Wir haben in den letzten Jahrzehnten in Deutschland die öffentlichen Güter vernachlässigt. Investitionen in Straßen, Schiene, Schulen fehlten. Auch deshalb wird der Staat als handlungsunfähig wahrgenommen.

taz: Aber stimmt dieser Zusammenhang zwischen Autoritarismus und Wirtschaftswachstum? China und die USA haben Wirtschaftswachstum.

Fuchs-Schündeln: Wir erleben im Moment weltweit eine populistische, autoritäre Welle, und der Mangel an Wachstum ist nicht der einzige Grund. Aber wenig Wachstum bedeutet härtere Verteilungskämpfe. Die Antimigrationsrhetorik gewinnt an Boden, wenn öffentliche Güter knapp sind und das Gefühl wächst, dass „die Migranten uns das Geld wegnehmen“. Wirtschaftswachstum dämpft solche Stimmungen. Ich bin felsenfest überzeugt, dass es schneller in Richtung Autoritarismus geht, wenn Wirtschaftswachstum ausbleibt.

taz: Friedrich Merz ist überzeugt, dass die Viertagewoche und Work-Life-Balance Wirtschaftswachstum und Wohlstand in Deutschland bedrohen. Hat er recht?

Fuchs-Schündeln: Je weniger gearbeitet wird, desto weniger produzieren wir. Insofern stimmt das. Für Wohlstand ist aber das Produktivitätswachstum viel entscheidender – also wie viel wir in einer Stunde herstellen. Das ist zu niedrig.

taz: Warum?

Fuchs-Schündeln: Wegen Deutschlands Rückstand bei der Digitalisierung. Der Kapitalstock von Informations- und Kommunikationstechnologien hat sich bei uns in den letzten drei Jahrzehnten verdreifacht, in den USA aber verzehnfacht. Das ist einer der Hauptgründe, warum das Produktivitätswachstum in Europa so viel niedriger ist als in den USA. Ich fürchte, das wird mit der künstlichen Intelligenz so weitergehen.

Wenn Friedrich Merz den Mangel an Arbeits­kräften kurzfristig beheben will, sollte er sich auf die Frauen konzen­trieren

taz: Was empfehlen Sie also?

Fuchs-Schündeln: Uns fehlt eine Zukunftsvision: Was kann uns in zwei Jahrzehnten tragen? Das wird nicht die Automobilindustrie sein. Wir brauchen mehr Risikofreude bei den Unternehmen, Arbeitnehmern und in der Regierung. Deutschland muss deregulieren und die überbordende Bürokratie herunterfahren. Die Gesetze und Maßnahmen haben für sich meist gute Ziele, das macht Deregulierung so schwierig. Aber die Regelungsdichte insgesamt hat enorme Kosten.

taz: Die deutsche Wirtschaft leidet auch an Arbeitskräftemangel.

Fuchs-Schündeln: Wenn Friedrich Merz den Mangel an Arbeitskräften kurzfristig beheben will, sollte er sich auf die Frauen konzentrieren.

taz: Weil Frauen weniger arbeiten als Männer?

Fuchs-Schündeln: Die Erwerbstätigenquote von Frauen ist in Deutschland hoch, da sind wir nicht schlechter als andere europäische Länder. Aber die Arbeitsstunden sind niedrig. Zwei entscheidende Faktoren für die Frauenerwerbstätigkeit sind Mutterschaft und Normen. Es gibt immer noch die sogenannte Motherhood-Penalty. Das heißt: Frauen verdienen nach der Mutterschaft deutlich weniger als vorher. Nicht nur in den ersten Jahren, sondern langfristig. In Deutschland verdienen Mütter zehn Jahre nach der Geburt des ersten Kindes im Durchschnitt 60 Prozent weniger als im Jahr vor dieser Geburt.

taz: Weil sie Teilzeit arbeiten?

Fuchs-Schündeln: Das ist der Hauptgrund. Diese Motherhood-Penalty ist in Deutschland und Österreich sehr groß, weniger groß in den angelsächsischen und am niedrigsten in skandinavischen Ländern.

taz: Liegt das an fehlender Kinderbetreuung?

Fuchs-Schündeln: Nicht ausschließlich, dann würden die USA nicht deutlich besser dastehen als Deutschland und Österreich. Entscheidend sind Gendernormen. Die müssen wir verändern.

taz: Was heißt das konkret?

Fuchs-Schündeln: Es ist immer noch die Norm, dass der Mann voll arbeitet und das Gehalt nach Hause bringt. Und von der Frau wird erwartet, dass sie hauptverantwortlich für die Kindererziehung ist. Das schlägt sich im Verhalten nieder, weil Normen zu brechen mit konkreten Kosten verbunden ist. Es gibt zum Beispiel Forschungen, die zeigen, dass beruflicher Erfolg für Frauen die Scheidungswahrscheinlichkeit erhöht. Und für Männer eben nicht.

taz: Wie erklären Sie das?

Fuchs-Schündeln: Da wird mit den Normen gebrochen. Und das erhöht Konflikte in der Außenwelt und in den Ehen.

taz: Weil Männer es immer noch nicht ertragen können, wenn Frauen erfolgreicher sind als sie?

Fuchs-Schündeln: Es ist halt nicht die Norm. Und Frauen verinnerlichen das. Wenn Frauen anfangen, mehr zu verdienen als ihre Männer, dann machen sie wieder mehr Hausarbeit, um das zu kompensieren. Sie wissen um die Kosten und reagieren darauf. Das findet man in den USA und in Westdeutschland. In Ostdeutschland trifft es nicht zu. Das ist auch ein Grund, warum viel mehr Frauen als Männer Beförderungen ablehnen. Sie wissen, dass das für sie risikoreicher und mit mehr Kosten verbunden ist. Es gibt sehr viele talentierte Frauen, die ihre Fähigkeiten nicht entsprechend in den Arbeitsmarkt einbringen. Das ist schlecht für das Wirtschaftswachstum und sollte der Regierung nicht egal sein.

taz: Kann man das ändern?

Fuchs-Schündeln: Die soziologische Forschung zeigt, dass Politikmaßnahmen nicht nur finanzielle Anreize setzen, sondern auch Normen verändern können. Das Elterngeld etwa wird ein Jahr bezahlt. Damit signalisiert der Staat, es ist okay, wenn man ein einjähriges Kind in die Krippe gibt. Es ist also nicht nur ein finanzieller Anreiz, sondern auch ein Signal, was gesellschaftlich akzeptabel ist. Ich habe Forschung zum Ehegattensplitting gemacht. Das ist ein deutsches Spezifikum, das es in anderen Ländern nicht oder nicht in diesem Maße gibt. Es stärkt die alte Norm. Ich würde empfehlen, es abzuschaffen.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

taz: Die Diskussion über das Ehegattensplitting gibt es seit Jahrzehnten. Warum tut sich da nichts?

Fuchs-Schündeln: Es wäre eine relativ komplizierte Reform. Wenn man das Ehegattensplitting einfach abschafft und alle so besteuert wie Ledige, müsste ein sehr großer Teil der Bevölkerung mehr Steuern zahlen. Es gäbe einen öffentlichen Aufschrei. Man müsste diese Abschaffung also in eine größere Steuerreform verpacken, in der man die Arbeitsanreize verändert, aber die Steuereinnahmen nicht erhöht. Das ist kompliziert, aber möglich. Hinzu kommt, dass auch viele Politiker und Parlamentarier vom Ehegattensplitting profitieren. Großbritannien hat das Ehegattensplitting abgeschafft, langsam und schrittweise zwischen 1990 und 2000. Das hat ohne große politische Proteste funktioniert.

taz: Es ist also eine Frage des Wollens?

Fuchs-Schündeln: Auch vielen Politikern ist inzwischen klar, dass dies ein Hebel wäre, um den Arbeitskräftemangel zu mildern. Aber der politische Wille, dies anzugehen, ist noch nicht da.

taz: Ein anderes Problem ist die starke Ungleichheit bei Vermögen. Sollte man die Erbschaftssteuer erhöhen?

Fuchs-Schündeln: Wir brauchen keine höhere Erbschaftssteuer, aber eine breitere Bemessungsgrundlage. Sehr große Vermögen werden zu oft verschont. Die Erbschaftssteuer zahlt hauptsächlich die obere Mittelschicht. Die sehr Reichen vermeiden dies oft mit raffinierten Konstrukten.

taz: Familienunternehmen argumentieren, dass Erbschaftssteuern ihre Firmen ruinieren würden. Ist da was dran?

Fuchs-Schündeln: Das Problem lässt sich lösen, indem man die Erbschaftssteuer für Unternehmen über zehn Jahre streckt.

taz: Warum ist es dann so schwierig, eine effektivere Erbschaftssteuer durchzusetzen?

Fuchs-Schündeln: Das hat wahrscheinlich mit Lobbyarbeit zu tun.

taz: Es gibt beim Vermögen eine krasse Teilung zwischen Ost und West.

Fuchs-Schündeln: Ja. Vereinfacht gesagt: Ostdeutschland hatte 1990 faktisch kein Vermögen. Vermögensunterschiede lassen sich, anders als Einkommensunterschiede, nur sehr langsam abbauen. Sie akkumulieren sich eher. Reichtum und auch Erfahrungen mit Vermögen werden über die Generationen vererbt. Im Westen investiert man zum Beispiel mehr in Aktien als im Osten.

taz: Welche politischen Auswirkungen hat das?

Fuchs-Schündeln: Es gab zuletzt viele Krisen, von der Finanzkrise über Corona bis zum Ukrainekrieg und der Inflation. Im Osten werden Krisen stärker als fundamentale Verunsicherung begriffen. Das hat auch damit zu tun, dass Vermögen gerade in Krisenzeiten ein Sicherheitsnetz bedeutet. Dieses Netz ist im Westen viel dichter als im Osten. Wahrscheinlich ist die größere Attraktivität der AfD im Osten auch eine Folge der geringeren Vermögen.

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28 Kommentare

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  • Stimmt die Annahme, was heisst das dann fuer Degrowth? Blaupause fuer Diktaturen?

  • Ich bin nicht überzeugt, dass ein ewiges Wachstum überhaupt notwendig ist. Vielleicht würde es auch genügen, wenn man umweltbelastende Technologien durch umweltfreundliche ersetzen würde. So würden dann Klima und Artenvielfalt immerhin geschont. Viele meiner Freunde besitzen eine mechanische Spiegelreflex, eine elektronische, eine Kleinstbildkamera, mindestens 2-3 Fahrräder (1 Stadtrad, 1 Trekkingrad und 1 Rennrad). Muss das alles wirklich sein?

  • Fuchs-Schündeln: *Wir sollten uns lieber fragen: Wie bekommen wir wieder mehr Wachstum?*

    Aus dieser Idiotie kommen 'wir' nicht mehr heraus. Mit 'Wir' ist auch nicht nur Deutschland gemeint, denn der Wirtschaftswachstumswahnsinn hat schon alle Länder dieser Welt befallen. Aus dem Grund wird es auch nichts werden mit Umwelt- und Klimaschutz; und mit sozialer Gerechtigkeit schon gar nicht.

    Menschen können eben nur das, was sie mal gelernt haben. Und Ökonomen können anscheinend nur noch von Wirtschaftswachstum reden und es mantraartig ständig wiederholen. Jetzt wird es sogar schon als "Demokratie-Retter" hingestellt, damit man auch ja nichts ändern muss. Es wäre aber endlich mal Zeit über 'ein neues Wirtschaftssystem' nachzudenken, das weder den Planeten noch Menschen ausbeutet. Aber man möchte lieber in der Denkweise des 20. Jahrhunderts bleiben. Und ein in der Vergangenheit lebender "Kanzler" Merz, der seine BlackRock-Wurzeln immer noch nicht abgeschüttelt hat, möchte in diesem 'Gestern' auch gerne verharren.

    Übrigens kann die Wirtschaft nicht ewig wachsen, wie alles andere ja auch nicht ewig wachsen kann. Das ist einfache Logik, die aber viele Menschen immer noch nicht begreifen.

  • Btr. Zitat:

    "Die Erbschaftssteuer zahlt hauptsächlich die obere Mittelschicht. Die sehr Reichen vermeiden dies oft mit raffinierten Konstrukten."

    Nennen wir mal Zahlen und Fakten.

    Die höher der Erbschaften pro Jahr wird auf ca. 400 Milliarden Euro geschätzt, wohlgemerkt geschätzt es gibt nicht-einmal eine präzise amtliche Statistik.

    Das Aufkommen aus Erbschaftsstuer liegt bei gut 8 Milliarden Euro.

    Fakt ist: Die "reale" Erbschaftssteuer liegt bei gut 2%

    --> Faktisch hat Deutschland gar keine Erbschafststeuer.



    (Abgesehen von einer "Dummen-Steuer" für kleinere Erbschaften bei Normalverdienern)

    Die Tabaksteuer bringt fast 2x so viel Aufkommen (gut 15 Milliarden Euro pro Anno) wie die Erbschaftssteuer.

    • @Jörg Heinrich:

      Nein, die Erbschaften werden nicht auf 400 Mrd. pro Jahr geschätzt. Es wurden 2024 nur 113 Mrd. inklusive Schenkungen veranlagt, dem ein Steueraufkommen von 13,3 Mrd. gegenübersteht, macht 12% Durchschnittsteuer. Der Grund dafür ist, dass die meisten Erbschaften innerhalb der Freibeträge ablaufen und steuerfrei sind.



      Die 400Mrd. sind eine Fantasiezahl der Hans-Böckler-Stiftung, wieviel es in Zukunft einmal sein könnten.

    • @Jörg Heinrich:

      Wie gesagt, effektive Lobbyarbeit, hören Sie mal Markus Söder zu, der zufällig mit einer reichen Erbin verheiratet ist.

  • Wer denkt Wachstum sei unbeschränkt möglich ist entweder verrückt, oder eben Ökonom .

    • @Peter Stroink:

      Oder Biologe, Landwirt, … Das Problem liegt doch nicht im „Wachstum“ als solchem, sondern eher in der Frage, was, wie zu welchen tatsächlichen „Kosten“ wächst. Wobei „Kosten“ nicht nur als betriebswirtschaftliche Zurechnungsgröße zu sehen sind. Insgesamt gesehen, gibt es eben nicht eine absolute Grenze des „Wachstums“, sondern gewollte, oder ungewollte Grenzen bestimmter Segmente.

    • @Peter Stroink:

      In den nächsten Jahrzehnten wird die Raumfahrt andere Raumkörper zur wirtschaftlichen Nutzung eröffnen. Als rein erdengebundene Spezies ja., Aber allein die Ressourcen unseres Sonnensystems ermögliche nahezu unbeschränktes Wachstum.

  • Frau Fuchs-Schündeln hat keine Visionen, weil sie sie nicht zulässt.



    Ihr Vorschlag, in derselben Zeit mehr zu produzieren, mag das Wirtschaftswachstum steigern, aber sicher nicht die Zufriedenheit der Menschen.



    Diese Gleichsetzung von Zufriedenheit mit Wirtschaftswachstum ist eine zentrale Fehleinschätzung der Modern Monetary Theory, der vorherrschenden makroökonomischen Doktrin.

    Stattdessen hält sie an der MMT fest, dem Traum vom ewigen Wirtschaftswachstum.



    Die nämlich ist die Ursache für Umverteilung, Unzufriedenheit und zunehmendem Autoritarismus.



    Hier wird also der Bock zum Gärtner gemacht.

    Die Vision gegen die MMT hat dieser Tage ihren 17 Geburtstag gefeiert.



    Man muss sie nur zulassen können.



    Es ist die Trennung von Staat und Geld.



    Bitcoin kann man verdrängen, es wird sich aber unaufhaltsam durchsetzen, da alles andere dagegen inflationiert.



    Bitcoin hat die MMT bereits invalidiert, die Zeit wird ihr übriges tun.



    Frau Fuchs-Schündeln wäre nicht die einzige Ökonomin, die an dieser Erkenntnis scheitert.



    Das sind tragische Schicksale.

  • Ein gerade unter Linken weitverbreiteter Denkfehler ist, Wirtschaftswachstum gleichzusetzen mit Überstunden und Umweltzerstörung. In den letzten Jahrzehnten war in Europa und USA das Gegenteil der Fall: Die Wirtschaft wuchs, Wohlstand nahm zu, während CO2 Ausstoß und Umweltzerstörung zurückgingen. Das BIP ist eben kein Maß für Ressourcenverbrauch, sondern für Arbeitsteilung, Produktivität durch Bildung und Automatisierung, Effizienz im Ressourceneinsatz, Interaktionsintensität zwischen Marktteilnehmern.



    Auch wenn die dt. Grünen in ihren Zukunftsvorstellungen in vielen einzelnen Aspekten irren, ist hoher Wohlstand in einer nachhaltig wachsenden klimaneutralen Wirtschaft der Zukunft durchaus möglich.

    • @Descartes:

      Ganz so einfach ist es nicht. CO2-Ausstoss und Umweltzerstoerung wurde und wird ausgelagert. Fracking-LNG aus den USA, Kohlestrom aus Polen, Atomstrom aus Frankreich. Rohstoffe aus Suedamerika, Afrika oder China.

      Aber langfristig werden wir die Rohstoffe vom Mond und aus dem Asteroidenguertel beziehen, Uebergangsweise vom Tiefseeboden. Aus meiner Sicht auf jeden Fall besser als der Istzustand.

    • @Descartes:

      Ja. Einen anderen überzeugenden Ansatz als das Wirtschaftswachstum habe ich noch nicht gehört, wenn es um das Ziel des Wirtschaftens und der Wirtschaftspolitik geht. Natürlich muss der Begriff von rauchenden Schloten und riesigen Müllbergen entkoppelt werden.



      Ökologisch verträgliches Wachstum muss möglich sein und ist es auch. Der Staat muss hierfür die Rahmenbedingungen setzen, dann sind auch hier Geschäfte möglich.

  • Die Geschichte verläuft nicht geradlinig, sondern spiralförmig in sich wiederholenden Zyklen aus Wachstum, Wohlstand und Freiheit einerseits sowie Krise, Unruhen, Erstarrung und Krieg andererseits. Die Vorstellung, dass Wachstum notwendig sei, um Frieden zu wahren, ist eine liberale Ideologie, die die Menschen in Geiselhaft nimmt. Es gibt kein Wachstum ohne Krieg. Krieg ist das Mittel der Umverteilung schlechthin. So wachsen Imperien, Staaten und Ökonomien seit jeher. Der moralische Konsens sollte sein: Die Menschen sollten niemals mehr haben, als sie brauchen. Was sie brauchen, ist in unseren Kulturen jedoch fraglich. Wie alle Liberalen behandelt auch Fuchs-Schündeln ihre eigene ideologische Grundlage als die conditio humana, was sie jedoch nicht ist.

  • Klar, Arbeitslosen-und andere Armutsquoten können bis zum Verenden der "Bezugsgröße" (Mensch) stets weiter und wieder weiter nach Unten streben. Ohne das Gesamtbild zuverlässig bestimmen zu können, wozu gleichfalls die Ressourcen- und Umweltgrenzen, sowie gesetzliche Verteilungsregularien gehören, handelt es sich um Totschlagsrethorik. Daher ist es jetzt jedoch, Stichwort aus dem Artikel "Verteilungskämpfe", die Zeit, dass die Super- und Überreichen ihre Vermögen (weiterhin oder erstmals) etwa auch ausgleichend einsetzen, denn aus dem Ermöglichen eines tödlich irrsinnigen Vermögensaufbaus durch Demokratie und den Rechtsstaat ist der Vermögenseinsatz gerecht(-fertigt).

  • In weiten Teilen stimme ich Frau Fuchs-Schündeln zu. Wirtschaftswachstum bedeutet für viele Menschen Arbeitsplatzsicherheit und steigende Einkommen. Das steigert dann auch die Zufriedenheit. Umgekehrt bedeutet Stagnation oder gar Rezession Kurzarbeit und steigende Arbeitslosigkeit. Das führt zu Zukunftsängsten und zum Zweifeln der Bevölkerung an der Regierung und auch an der jeweiligen Regierungsform.



    Hier jetzt mein teilweiser Widerspruch zu Frau Fuchs-Schündeln: "Demokratie ist gut für Wirtschaftswachstum, aber Wirtschaftswachstum ist auch gut für die Demokratie."



    Das gilt für Demokratien. Für autokratische Staaten bedeutet dauerhaftes Wirtschaftswachstum aber auch Arbeitsplätze und gute Löhne für die dortige Bevölkerung und damit (zumindest in diesen Punkten) Zufriedenheit mit der autokratischen Regierung.



    Was die USA angeht: das Wirtschaftswachstum war in den verschiedenen Regionen diese Landes sehr unterschiedlich. Das ging dann auch stark in die letzten Wahlergebnisse ein: Trump steht als erfolgreicher Geschäftsmann für wirtschaftlichen Aufschwung, und das kam gerade in den Gebieten an, in denen es in den letzten Jahren oder gar Jahrzehnten wirtschaftlich bergab ging,

  • Besser und Nachhaltiger wäre es, den Glauben an ständiges Wachstum endlich ad absurdum zu führen.



    Wo soll das hinführen?



    Aber die Leute sind zu doof oder bequem um sich eine schöne Alternative überlegen zu wollen, so wie das aussieht.

  • < 1% Wi.-Wachtum, dauerhaftes 0-Wachstum: Ja, das wäre die natürlich-logische Normalität!



    Denn wohin bitte soll »die Wirtschaft« auf ewig wachsen? Sie tut das seit Jahrhunderten IMMER nur auf Kosten anderer!



    Der gesellsch. Frieden wird ebenfalls seit Jahrhunderten durch die zerstört, die übermäßig viel an sich reißen! Nur das will keiner einsehen, weil man dann reichen mächtigen gewaltig auf die Füße treten muss!



    Und Demokratie hat nichts mit Wirtschaftswachstum zu tun. Bislang hat der NICHT real existierende Sozialismus dank der herrschenden autokratischen Strukturen für negative Wirtschaftsbedingungen gesorgt. In den Demokratien dagegen hat man dem galoppierenden entarteten Kapitalismus vollkommen freie Hand gelassen. Und solange man auf Kosten anderer »wachsen« konnte, war es selbstverständlich gut!



    Nur zerstören wir auf diese Weise mittlerweile SOWOHL den demokratisch-sozialen Frieden, als auch unseren Lebensraum!



    Die Globalisierung hat einigen wenigen zunächst Erfolge beschert, nämlich freie Spielräume für ihren Eroberungs- und Verdrängungswettkampf. Nur auch damit erreichen wir derzeit Grenzen, weil ALLES Grenzen hat!



    Es wird keine Lösung geben, die Zerstörung läuft global!

    • @Wiesel:

      "Denn wohin bitte soll »die Wirtschaft« auf ewig wachsen? Sie tut das seit Jahrhunderten IMMER nur auf Kosten anderer!"



      Das war früher so. Seit vielen Jahrhunderten vermag es der Mensch längst durch Effizienz in der Produktion statt bloßer Eroberung Mehrwerte zu generieren.



      Bei der Nahrungsmittelproduktion wurde diese Schwelle - jetzt mal mit Fokus auf Europa gesehen - schon vor 1000 Jahren mit der Einführung der Fruchtfolge und der Verbreitung des Ochsenjochs durchbrochen. Die Bevölkerungsexplosion in Europa zwischen dem 11. Jahrhundert bis zum Beginn der Pest fußt genau auf diesem zwei Quantensprüngen.



      Früher waren 'alle' arm außer dem Adel und dem Klerus. Mittlerweile sind die wenigsten von uns 'arm'.



      Das ist freilich eine Definitionssache wie man Armut definiert und es ist auch kein Gegenargument zu der Aussage, das Reichtum falsch verteilt ist, aber noch nie haben prozentual gesehen weltweit weniger Menschen gehungert, waren von Seuchen oder Krankheiten bedroht.



      All das wurde einzig durch Wirtschaftswachstum möglich.



      Wirtschaftswachstum ist die beste Friedensicherung überhaupt, da es absolut notwendige Bedürfnisse und 'unnötige' Verlangen/Gelüste von Menschen befriedigt.

      • @Saskia Brehn:

        Fruchtfolge und Ochsenjoch? Beides wurde vor langer Zeit durch Industrie und Bauernverband abgeschafft, um die Bauern in eine neue Abhängigkeit zu bringen. So zerstört die Nahrungsmittelproduktion den Regenwald, unser Land und Grundwasser. Zudem vergiften wir uns schleichend durch die chemischen Dünge- und Pflanzen"schutz"mittel.

        Wachstum also wieder auf Kosten anderer und unserer Lebensgrundlage. Wer dies als Grundlage unserer Wirtschaft postuliert, schaufelt sich sein eigenes Grab. Daher kann die Lösung nur auf einem anderen Weg möglich sein.

      • @Saskia Brehn:

        Wirtschaftswachstum ist in der MMT die Illusion, die Inflation ausgleichen zu können.



        Wirtschaftswachstum durch technischen Fortschritt ist aber nicht auf Inflation angewiesen.



        Das eigentliche Problem ist die Inflation.

    • @Wiesel:

      Absolut. Man könnte meinen, die Dame lebt im Jahr 1996. Einer Zeit, in der es noch normal war zu glauben, dass uns das kapitalistische System nicht ins Verderben führt

      • @Marlon22:

        Kein System vor dem Kapitalismus hat derartig vielen Menschen weltweit Wohlstand gebracht.



        Zu keiner Zeit der Menschenheitsgeschichte hungerten weniger.



        Niemals waren weniger Menschen von Krankheiten und Epidemien bedroht.



        Das auch der Kapitalismus ausgenutzt werden kann, dass sich einige wenige ungehörig daran fettfressen, ist nicht von der Hand zu weisen - aber nochmal, es gab kein System jemals zuvor, wo die Vorteile für die große Mehrheit überwogen haben.

        • @Saskia Brehn:

          Ihre Argumentation folgt einem einfachen Fortschrittsnarrativ, das komplexe historische Entwicklungen auf die vermeintliche Überlegenheit einer einzigen Wirtschaftsordnung reduziert.

          Sie schreiben dem Kapitalismus Errungenschaften zu, die zuallererst auf nicht-kapitalistischen Faktoren (Wissenschaft, staatliches Handeln) beruhen.



          Sie blenden von Negativfolgen aus tun die gewaltigen ökologischen und sozialen Schäden des kapitalistischen Systems als nebensächlich ab.



          Die prozentuale Betrachtung beim Hunger verdeckt die anhaltende absolute Not. Ihre Spielerei ist nur eine statistische Verzerrung.



          Und der Vergleich mit früheren Systemen ist zu pauschal und undifferenziert.

          Ihre Argumentation mag rhetorisch wirksam sein, ist aber inhaltlich schwach. Sie dient eher der Rechtfertigung des Status quo, als dass sie eine differenzierte Analyse der Vor- und Nachteile des Kapitalismus im historischen Kontext liefert.

          • @Nansen:

            "Sie blenden von Negativfolgen aus tun die gewaltigen ökologischen und sozialen Schäden des kapitalistischen Systems als nebensächlich ab."



            Tatsächlich sehe ich den Kapitalismus bisher als das System an, dass in Bezug auf ökologische und soziale Schäden am effizientesten bisher versucht, diese Folgen abzumildern und gar rückgängig zu machen.



            Natürlich geht das auch immer Hand in Hand mit technischem Fortschritt und den sich daraus ergebenden neuen Möglichkeiten.



            Der Kapitalismus braucht wie keine andere Wirtschaftsform gesunde, kaufkräftige und kauffreudige Kunden.



            Es mag für Naturfreunde zu wenig Enthusiasmus sein, da kommts wie überall auf den Blickwinkel an

            • @Saskia Brehn:

              Manch Blickwinkel ist mitunter unterkomplex.



              Der Kapitalismus "versucht" nicht ökologische Schäden abzumildern - er reagiert unter Druck.



              Die ökologische Wende findet nicht statt,weil der Kapitalismus sie so effizient plant, sondern weil Regulierungen und Gesetze ihn dazu zwingen (oft gegen wirtschaftliche Interessen)



              Wenn Sie wen loben wollen, dann höchstens die demokratische Staatsform.

              Die "Marktkräfte" allein haben jahrzehntelang gegen Umweltschutz gearbeitet, weil Verschmutzung externalisierte Kosten sind - also billiger als Prävention.

              Oder loben Sie auch einen Brandstifter, weil er besonders effizient Feuer löscht.

              Die grundlegende Frage lautet:



              Ist ein System,das ökologische und soziale Probleme primär dann löst, wenn sie profitabel werden oder durch Regulierung erzwungen werden, wirklich "effizient" - oder beweist es damit nicht eher seine strukturelle Unfähigkeit, nachhaltig zu wirtschaften?

              Ein System, das ständig Reparaturbetrieb für seine eigenen Schäden fahren muss, sollte vielleicht grundsätzlicher hinterfragt werden.

    • @Wiesel:

      Es wird keine Lösung geben, die Zerstörung läuft global!

      Tja nennt sich Bevölkerungswachstum. Solange wir das haben, können sie absolute Gleichheit haben, und die Menschen werden immer ärmer ohne Wirtschaftswachstum.

  • Zitat : und das Gefühl wächst

    jetzt wäre eine Begründung gut, dass das so nicht ist. Oder ist das auch nur ein Gefühl?