Linke Orte unter Druck

Der Krieg zwischen Israel und der Hamas lässt alte Konflikte in der linken Szene wieder aufbrechen. Subkulturelle Zentren, die sich nicht eindeutig gegen Israel positionieren, beklagen Anfeindungen und Boykottaufrufe. Dabei wäre es wichtig, diese Orte für Austausch offen zu halten

Hamburg: die Rote Flora kurz nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 Foto: ABB foto/picture alliance

Aus Hamburg Katharina Schipkowski
,aus Berlin Uta Schleiermacher
und aus Leipzig Timm Kühn

Auch so kann man mit dem Jahrestag des Überfalls der Hamas auf Israel umgehen: „Diesen Oktober jährt sich der Tag, an dem unser Volk der Welt gezeigt hat, dass der Widerstand lebt und die Befreiung naht.“ So mobilisiert eine Gruppe namens Ahrar, die sich als „Hamburgs Palästinensische Bewegung“ bezeichnet, zu einer Demo am 5. Oktober. Ahrar setzt sich für eine „Einstaatenlösung“ im Nahen Osten ein – ohne einen israelischen Staat. Der Account „Flora für alle“ schreibt unter den Demoaufruf: „Wir kommen.“

„Flora für alle“ ist eine Kampagne, die dem seit 1989 besetzten autonomen Zentrum eine antideutsche Vorherrschaft vorwirft und zum Ziel hat, die Flora zu übernehmen. Aber warum? Und von wem überhaupt? Die Rote Flora gehört immer denen, die sie mit Leben füllen. Aber was hat das mit dem Nahostkonflikt zu tun?

Die Spaltung der linken Szene in auf pro Israel fokussierte antideutsche und auf pro Palästina fokussierte antiimperialistische Gruppen begann bundesweit Ende der 1980er Jahre und eskalierte an kaum an einem Ort so wie in Hamburg. Die Auseinandersetzung hinterließ von Wandbildern an der Hafenstraße über eine Schlägerei zwischen Re­dak­teu­r*in­nen des linken Radiosenders FSK bis zu einer von An­ti­im­pe­ria­lis­t*in­nen mit Gewalt verhinderten Filmvorführung tiefe Gräben zwischen Linken.

Doch irgendwann liegt auch der letzte Grabenkampf so lange zurück, dass die meisten heute Aktiven ihn unter „Opa erzählt vom Krieg“ verbuchen. Derweil wurden andere Themen wichtiger und schufen Brücken zwischen den linken Milieus: Queerfeminismus, Klimawandel und nicht zuletzt der G20-Gipfel in Hamburg sowie die Repression traten in den Vordergrund. Die Frage „Wo stehst du im Nahostkonflikt?“ wurde vom Haupt- zum Nebenwiderspruch.

Doch seit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 und der darauffolgenden vernichtenden Militäroffensive Israels in Gaza sind die Gräben wieder präsent. Die Prot­ago­nis­t*in­nen des linksinternen Konflikts sind zwar zum Teil ganz andere, zum Teil aber auch nicht. Letztere haben noch uralte Rechnungen ­offen.

In Hamburg eskalierte die Neuauflage des Szenestreits am 14. Mai, als rund 50 Ak­ti­vis­t*in­nen aus dem Umfeld des Pro-Palästina-Camps an der Hamburger Uni symbolisch die Rote Flora besetzten. Sie hängten Transparente an den Balkon des Gebäudes, auf denen sie den Flo­ris­t*in­nen weiße Vorherrschaft und Rassismus vorwarfen, und skandierten „Free Palestine“. Die Palästinaaktivist*innen drohten: „Das war erst der Anfang, wir kommen wieder und werden dieses Haus übernehmen.“

Die Flora, die vielen als antideutsch gilt, sich selbst aber als antiautoritär-autonom versteht, hatte kurz nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober eine Girlande mit den Worten „Free the world from Hamas“ über ihren Balkon gespannt. Auf ihrer Plakatwand stand: „Killing Jews is not fighting for freedom. Wir sind solidarisch mit allen Jüdinnen und Juden weltweit.“ Pa­läs­ti­na­aktivist*innen übermalten die Parole.

Die Flora verurteilte die symbolische Übernahme später als autoritär, das Übermalen der Parole offenbare zudem ein antisemitisches Weltbild. „Menschen, die diese Haltung vertreten, fühlen sich in der Roten Flora zu Recht nicht willkommen“, hieß es in einem Statement. Darüber hinaus lasse man sich keine Diskussionen von außen aufzwingen, sondern werde weiter autonom politische Auseinandersetzungen führen. „Es gibt unter den die Flora nutzenden Gruppen keine einheitliche Haltung zum Nahostkonflikt“, sagt ein Flora-Aktivist gegenüber der taz. Öffentliche Statements einzelner Gruppen zum Thema würden kontrovers, aber auf Augenhöhe diskutiert. Die Drohungen von außen würden intern als nervig, aber nicht wirklich bedrohlich wahrgenommen.

Doch der Nahostkonflikt und der aggressive Positionierungsdruck in Teilen der Szene habe durchaus zu Brüchen geführt. So sei es derzeit etwa schwer vorstellbar, gemeinsam mit antiimperialistischen Gruppen auf die Straße zu gehen – obwohl es angesichts von Rechtsruck und Repression dringend geboten wäre, sagt der Aktivist. Zum Teil hätten sich internationalistische Gruppen aus Bündnissen verabschiedet, weil sie die Flora zu nah an der Seite Israels wähnten. Aus Sicht der Autonomen sei das ungerechtfertigt und politisch falsch. „Es gäbe momentan so viel Wichtigeres, als sich mit identitären Grabenkämpfen auseinanderzusetzen“, sagt der Flora-Nutzer.

Doch die auf Palästina fokussierten Ak­ti­vis­t*in­nen von ­Ahrar und der Gruppe Thawra, die das Palästina-Camp an der Uni Hamburg veranstaltete, schießen weiter mit scharfen Worten gegen das Kulturzentrum. Nichts an dem Zentrum sei mehr links, kritisierte die ehemalige Fridays-for-Future-Aktivistin und jetzige Thawra-Sprecherin Elisa Baş auf einer Demo. Rot sei nur das Blut an den Händen der Nutzer*innen, die staatstragend den Mord an der palästinensischen Zivilbevölkerung unterstützten. Auf einer Hanau-Gedenkdemo im Februar war Thawra mit einem „Flora, halt’s Maul“-Transparent erschienen, ebenso am 1. Mai. Die Stimmungsmache ruft auch andere auf den Plan. Hinter dem Ins­ta­gram-Account „Flora für alle“ steckt nach taz-Recherchen ein kleiner Personenkreis, der 2007 wegen Täterschutzvorwürfen aus der Flora und dem linken Infoladen Schwarzmarkt rausgeflogen war.

Der Umgang mit dem Beschuldigten einer mutmaßlichen Vergewaltigung im Jahr 1997 war damals in Szene­publikationen und auf Plenen diskutiert worden. Die antiimperialistisch ausgerichtete Gruppe Tierrechtsaktion Nord war in den folgenden Jahren – so erzählt man es heute in der Szene – aggressiv gegen das Umfeld der mutmaßlich betroffenen Frau vorgegangen. Der Konflikt, zu dem auch linke Kneipen, Plattenläden und andere Treffpunkte Stellung bezogen, hinterließ Wunden, die offenbar immer noch nicht verheilt sind.

Auf dem Schanzenfest am 7. September trat „Flora für alle“ erstmals öffentlich mit einem Stand in Erscheinung und warb für die Übernahme des autonomen Zentrums. Ältere Ak­ti­vis­t*in­nen erkannten unter den dort Anwesenden die Protago­nis­t*in­nen der Tierrechtsaktion Nord. Auf Instagram hetzt „Flora für alle“ nicht nur gegen die Flora, sondern auch gegen das Leipziger Conne Island und das Berliner About Blank.

Berlin: rote Dreiecke, auf die Spitze gestellt

Berlin hat kein Zentrum, das mit einer Institution wie der Roten Flora in Hamburg zu vergleichen wäre. Doch auch hier schlägt sich der Nahostkonflikt in der linken Szene nieder – täglich und heftig. Ein Grund dafür ist, dass in Berlin die europaweit größte Di­as­po­ra von Menschen mit palästinensischem Hintergrund lebt. Geschätzt sollen es zwischen 35.000 und 45.000 Menschen sein. Das hat historische Gründe: Viele reisten in den 1970er Jahren aus dem Libanon über die DDR ein. Und: Berlin hat eine große international geprägte, sich als links und queer verstehende Community, die sich teils deutlich antiimperialistisch verortet.

Sichtbar ist der Nahostkonflikt etwa im Straßenbild: Mehr als 650 Demonstrationen mit „Bezug zur Situation in Israel und Gaza“ gab es in Berlin laut Innenverwaltung seit dem 7. Oktober 2023. Rund 320 davon ordnete die Polizei als „propalästinensisch“ ein, 170 als „proisraelisch“, weitere knapp 160 seien „nicht zuzuordnen“. Die Demonstrationen finden weiterhin im Prinzip wöchentlich durchaus mit größerem Zulauf statt. De­mons­tran­t*in­nen prangern Repressionen und Polizeigewalt an. Immer wieder meldet die Polizei, dass Teil­neh­me­r*in­nen dort Terror verherrlichten.

An viele Berliner Häuserwände sind palästinensische Fahnen gesprayt oder Slogans wie „Free Gaza“, teils ergänzt mit „from Hamas“, oder auch „Free Palestine from German bombs“. Der Slogan „Free Palestine from German guilt“ („Befreit Palästina von der deutschen Schuld“) löste im vergangenen Oktober noch öffentliche Empörung aus, inzwischen ist er ein häufiges Graffito. Teils haben andere diese Slogans übermalt, neu kommentiert oder unkenntlich gemacht.

Was auch vermehrt an Häuserwänden in der Hauptstadt auftaucht: das auf der Spitze stehende rote Dreieck, also das Zeichen, mit dem die Hamas in Videos ihre Feinde markiert. Im April sprayten Unbekannte es an die Fassade des Clubs About Blank in Berlin-Friedrichshain. Die Be­trei­be­r*in­nen ergänzten das Dreieck kurzerhand zu einem roten Herzen und äußerten sich zunächst nicht dazu. An Wänden in Neukölln tauchten erst die Dreiecke auf, dann ergänzte sie jemand mit einem weiteren Dreieck zum Davidstern und schrieb „Fuck ­Zionists“ daneben.

Doch obwohl der Konflikt allgegenwärtig zu sein scheint: Die Demonstrationen haben es bisher nicht geschafft, übergreifend zu mobilisieren, sie sind keine Orte, an denen das Leid und die Anliegen der Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen wie auch das Leid und die Anliegen der Is­raelis verhandelt würden. Räume, in denen ein Austausch stattfinden könnte, werden rar und enger. Menschen, die als Jüdinnen und Juden oder Is­raelis zu erkennen sind und sich nicht eindeutig als „antizionistisch“ positionieren, werden angefeindet und ausgeschlossen. Und auch antimuslimischer Rassismus nimmt zu.

Konkreten Angriffen ausgesetzt ist etwa die Kneipe ­Bajszel in Neukölln. Dort lädt man regelmäßig zu antisemitismuskritischen Veranstaltungen ein. Mehrmals wurde die Fassade mit dem roten Dreieck markiert, im September dann auch zusammen mit dem Schriftzug „Glory to Al Quassam“ – ein Feiern der Hamas-Brigaden, die das Massaker am 7. Oktober ausgeführt hatten.

In derselben Nacht, in der die Polizei die Schmierereien festgestellt hatte, bemerkte ein Feuerwehrmann einen brennenden Papierkorb an der Fassade, den er mit einem Eimer Wasser löschte. Die Ruß­spuren sind deutlich an der Wand und am Fensterrahmen zu sehen; das Bajszel teilt mit, dass sich zu dem Zeitpunkt noch ein Mitarbeiter in der Kneipe befunden habe. Der Staatsschutz ermittelt nun zur Frage, ob ein Zusammenhang zwischen Brand und Farbattacke besteht. Die Betreiber selbst sprechen von einem „Mordversuch“.

Im Juli zierten rote, auf der Spitze stehende Dreiecke den Instagram-Post, mit dem der Dyke* March zu einer Soli­veranstaltung in der queeren Kreuzberger Szenekneipe ­Möbel Olfe mobilisierte. Be­su­che­r*in­nen verteilten an dem Abend nach eigenen Angaben auf ihrem Tisch Zettel mit dem Hinweis, dass dies ein sicherer Platz für Jüdinnen und Juden und Israelis sein solle („Safe ­table for Jews and Is­raelis“), daneben auch Regenbogenflaggen und einen Davidstern. Eine Beteiligte berichtete, wie sie daraufhin eingekesselt und als „Zionistenschweine“ beschimpft worden seien. Man forderte sie auf zu gehen, draußen habe „ein Mob gewartet“. Die Veranstalter hatten offenbar kein Konzept, um die Szene zu befrieden oder zu vermitteln, denn sie forderten die Be­su­che­r*in­nen des Tischs auf zu gehen. Und sie brachen den gesamten Soliabend vorzeitig ab.

Das About Blank wandte sich Ende September mit einem Statement an die Öffentlichkeit: Seit Monaten sähen sie sich Angriffen ausgesetzt, mit Schmierereien, Fäkalien und Buttersäure hätten Unbekannte ihren Laden physisch attackiert, außerdem in den sozialen Medien gegen sie gehetzt. Für Veranstaltungen, die sich kritisch mit Antisemitismus auseinandersetzten, bräuchte es erhöhte Sicherheitsbedingungen. Der Vorwurf: Der Club würde sich im Israel-Palästina-Konflikt vermeintlich falsch positionieren. Das About Blank lande seit Jahren auf Feindes- und Boykottlisten etwa der antiisraelischen Kampagne „DJs Against Apartheid“.

Mit­ar­bei­te­r*in­nen und Be­su­che­r*in­nen würden bedroht und beschimpft, unter Druck gesetzt und angefeindet. „In der Erkenntnis, dass dieser Konflikt und seine Geschichte zu komplex sind, um eindeutig und plakativ Partei zu ergreifen, haben wir es stets auch unterlassen, Israel einseitig zu verurteilen“, schreibt das About-Blank-Kollektiv in dem Statement. Sie würden deshalb als „proisraelisch“ oder als „zionistisch“ gelabelt, ihnen würde eine Nähe zur Netanjahu-Regierung unterstellt. „Diese Zuschreibungen sind falsch und entbehren jeglicher Grundlage“, schreibt das Kollektiv. Auch innerhalb ihrer Gruppe herrsche keine einheitliche Haltung zum Konflikt vor. Sie weisen darauf hin, dass der Ort Club- und subkulturelle Szenen zusammenbringen wollte.

Doch der Druck wachse – und sie sehen ihn konkret gegen ihr Konzept gerichtet. „Vielfach scheint eine gleichzeitige Zurückweisung und Bekämpfung von antisemitischen und rassistischen Positionen undenkbar zu werden – obwohl gerade das Kernbestandteil linker Politik sein müsste“, schreibt das Kollektiv. „Handlungsfähige Linke und zivilgesellschaftliche Bündnisse“ bräuchten Auseinandersetzungen und Diskussionen – und dazu eben auch die entsprechenden Orte. Das Kollektiv lädt in seinem Statement dazu ein, gemeinsam „nach Wegen aus der derzeitigen Dürftigkeit“ zu suchen.

Denn die Unversöhnlichkeit, die sich da inzwischen verfestigt, hat bereits konkrete Auswirkungen. Jüdinnen, Juden und Israelis werden vielfach direkt für die Politik und den Krieg der israelischen Regierung verantwortlich gemacht. Dass sie sich an bestimmten Orten und in bestimmten Si­tua­tionen dann bedroht oder unwohl fühlen, wird abgetan, die Ansicht scheint verbreitet, dass sie das „mal aushalten“ müssten. Wohnungssuchende stoßen in Berlin inzwischen häufiger auf Angebote mit dem Zusatz „No Zionists“.

Der Außen­bereich des About Blank, Berlin Foto: Ben Kriemann/ Pic One/ picture alliance

So agiert eine angebliche Linke, die die zersetzenden Wirkungsweisen von Rassismus gut verstanden hat, die es allerdings bisher nicht schafft, sich auch mit den Verheerungen und Konsequenzen von Antisemitismus auseinanderzusetzen.

Leipzig: Kufijaverbote und fliegende Steine

In Leipzig ist die antideutsche Szene noch stärker als in anderen Großstädten Deutschlands. Gehört im linken Milieu Berlins ein antiimperialistischer Gestus irgendwie dazu, geht die Tendenz in Leipzig in die andere Richtung. An den ­Häuserwänden im Stadtteil Connewitz prangen kaum propalästinensische Schriftzüge. Kufija zu tragen gilt hier nicht als chic – sondern wird eher misstrauisch beäugt.

Auch in Leipzig sah es lange so aus, als würde sich der alte Streit über An­ti­im­pe­ria­lis­ti*in­nen und Antideutsche beruhigen. Doch nun sei er wieder voll da, sagt Jule Nagel, Linke-Politikerin aus ­Connewitz, der taz. „Seit etwa drei Jahren gibt es ein Wiedererstarken autoritärer kommunistischer Gruppen, die das Thema stärker in den Fokus rücken“, sagt sie. Der 7. Oktober habe das nur noch beschleunigt.

Wie in anderen Städten versuchen Palästinaaktivist*innen seither, der Szene eine Komplizenschaft mit israelischen Kriegsverbrechern anzukreiden – und Antideutsche versuchen, die hinter jeder Israelkritik vermuteten antisemitischen Motive zu entlarven. Der Gegenseite zugeschriebene Veranstaltungen werden gestört, ihre Hausprojekte mit Parolen beschmiert. Laut dem ­Hausprojekt B12, das sich als ­israelsolidarisch beschreibt, tauchten dort kürzlich Briefe mit Propagandamaterial auf, addressiert an Klar­namen von Be­woh­ner:in­nen – was das Hausprojekt als Feindmarkierung wertet.

Auf der anderen Seite flogen im Oktober 2023 Steine auf die Fensterscheiben des Ladenprojekts Ganze Bäckerei im mi­gran­tisch geprägten Hausprojekt La Casa, wo viele antiimperialistische Gruppen Plenen abhalten. Im Inneren wurde ein Behälter gefunden, der vermutlich Schweinefett enthält – klar eine islamfeindliche Message. Auf Indymedia tauchte ein inzwischen wieder gelöschtes Bekennerschreiben einer sich Antifa nennenden Gruppe auf. Ob das Schreiben authentisch ist, lässt sich nicht sagen.

Völlig unrealistisch ist es aber leider wohl nicht. Es wäre nicht der erste islamfeindliche Ausrutscher der Szene. Bereits 2021 wurde aus einer polizeifeindlichen Demo heraus eine Moschee des Erdoğan-nahen Moscheedachverband Ditib mit Steinen beworfen. Was wohl als mit Kurdistan solidarische Islamismuskritik gedacht war, löste eine Debatte darüber aus, wie wenig Teile der Szene offenbar für antimuslimischen Rassismus sensibilisiert sind.

Auch Jule Nagel sagt: „Wir haben das Problem, dass sich linke Ak­ti­vis­t:in­nen mit Flucht- oder Migrationshintergrund in linken Räumen manchmal nicht zugehörig fühlen.“ Ihre Beobachtung: Aus dem antiimpe­ria­listischen Spektrum seien es überwiegend weiße Menschen, die die Debatte vergifteten – und auf der anderen Seite gebe es in Teilen der antideutschen Szene ein Problem mit islamfeindlichen Tendenzen.

Samira Sonnenschein hat diese bereits erleben müssen. Die Aktivistin, die ihren echten Namen nicht in der Zeitung lesen will, ist Mitglied von ­Palestine Campus, einer Gruppe, die im Frühling die Uni Leipzig besetzt hat. Sonnenschein sagt, sie habe sich lange nicht getraut, in Connewitz mit Kufija herumzulaufen. „Ich hatte Angst, verprügelt zu werden“, sagt sie. Es sei schon passiert, dass Leuten das Tuch auf der Straße vom Kopf gerissen wurde.

Das ­Conne ­Island in Leipzig-­Connewitz Foto: Schoening/imago

Ihr selbst sei einmal der Einlass zu einer Szeneveranstaltung verwehrt worden, bis sie die Kufija abgenommen habe. „Leute wie dich wollen wir nicht ­haben, verpiss dich“, habe man ihr gesagt. Inzwischen trage sie die Kufija offen – trotz böser Blicke und Kommentare. In Szeneorte wie das Conne Island gehe sie aber nicht. „Ich fühle mich an diesen Orten einfach unwohl, weil ich dort sehr stark meinen Migra­tionshintergrund spüre“, sagt sie.

Zweifellos ist das Conne ­Island ein wichtiger Sozialisierungsort für linke Menschen, die aus dem braun geprägten sächsischen Umland nach Leipzig fliehen. Doch es sind eben auch solche Erfahrungen, derentwegen Pa­läs­ti­na­aktivist*innen zum Boykott des Conne Islands aufrufen. Und das offenbar nicht ohne Erfolg: Das Kulturzentrum vermeldete kürzlich, der Boykott habe zu zahlreichen Künst­le­r*in­nen­ab­sa­gen geführt, sodass man inzwischen „nicht nur in finan­ziel­le Schwierigkeiten“ geraten sei.

Die Vorwürfe des Rassismus wehrt das Zentrum ab. Minimalkonsens sei lediglich die Anerkennung des Existenzrechts Israels, ansonsten wolle man Ort für Diskussionen sein. Praktisch scheitert der Meinungsaustausch aber schon an der Tür, wenn Menschen Kufija tragen. Wie auch andere Szeneorte verbietet das Conne Island die „Pali-Tücher“, weil das Tuch für Jü­d:in­nen mit „Ausgrenzung, Gewalt und Diskriminierung“ verbunden sei. Nur so könne das Conne Island ein Safe Space für jüdische Menschen sein.

Samira Sonnenschein entgegnet: „Die Kufija ist ein kulturelles Symbol des Widerstands gegen die israelische Besatzung – aber doch nicht gegen das jüdische Volk.“ Sie verstehe nicht, warum die Gefühle zweier stigmatisierter Gruppen gegeneinander ausgespielt werden.

Im Oktober vergangenen Jahres hat der Technoclub Institut für Zukunft (IfZ), der ebenfalls aus der antideutschen Szene stammt und sich als Schwesterprojekt des Berliner About Blank sieht, das auch dort jahrelang gültige Verbot gekippt. Die Kufija werde „auch von Menschen mit antisemitischer Agenda getragen, aber Kufija tragende Menschen sind nicht per se antisemitisch“, heißt es in einem Statement. Eine undifferenzierte Türpolitik sei da fehl am Platz. Der Club entschuldigt sich schließlich, spricht davon, „ganze Personenkreise ausgeschlossen und pauschal politisch verurteilt“ zu haben.

Zu einem neuen Ort des Austauschs wird aber auch das IfZ nicht werden. Der Club muss Ende des Jahres seine Pforten schließen, vorrangig aus finanziellen Gründen, nicht wegen eines Boykotts. Sonnenschein sagt, sie würde auch trotz Kufija-Erlaubnis nicht wieder anfangen, ins IfZ zu gehen. „­Allein dass es dieses Verbot einmal gab, heißt ja, dass es nie ein Safe Space für Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen sein sollte“, sagt sie. Auch sie sei für eine geeinte Linke gegen den Faschismus. Doch an ihrem Sich-­unwohl-Fühlen ändere das nichts. „Wenn diese Orte verschwinden, weil auch viele andere sich dort nicht wohlfühlen – dann freue ich mich trotzdem.“