Wahlen in Berlin: Der linke Lack ist ab
Die CDU sammelt Stimmen von Wähler:innen, die frustriert sind von Pleiten, Pannen und grüner Politik – vor allem jenseits der Innenstadt.
Natürlich ist das progressive Berlin nicht verschwunden, immerhin haben SPD, Grüne und Linke im Abgeordnetenhaus weiterhin genug Stimmen, um eine gemeinsame Regierung gegen den großen Wahlsieger CDU zu bilden. Und nun, da die SPD hauchdünn mit gerade mal 105 Stimmen vor den Grünen liegt, ist das auch weiterhin eine wahrscheinliche Option.
Doch der linke Lack ist ab. Die Selbstverständlichkeit, dass in Deutschlands größter Stadt gesellschaftlicher Wandel zuerst passiert, dass hier die politischen und kulturellen Debatten geführt werden, die später das ganze Land bewegen, sie ist in Frage gestellt. Tickt Berlin etwa gar nicht so fortschrittlich wie lange gedacht?
Tatsächlich zeigt ein Blick auf die politische Landkarte einen Rückfall um fast 15 Jahre in eine Zeit, als das hippe, linke, schräge Berlin ziemlich genau am S-Bahn-Ring rund um die Innenstadt endete. Alles was jenseits von (Szene-)Vierteln wie Friedrichshain, Kreuzberg, Prenzlauer Berg und Mitte lag, war jwd – „janz weit draußen“, piefig, plattenbauig, mitunter dörflich und keinesfalls ein Ort für die neue Wohnung.
Die neue Verteilung der 78 Direktmandate für das Abgeordnetenhaus zeichnet ein ähnliches Bild: In einem dicken schwarzen Kreis finden sich die – wenigen – Wahlkreise mit erfolgreichen Sozialdemokrat*innen, Linken und Grünen in der Mitte. Und auf kommunaler Ebene ist die CDU am Sonntag in neun von zwölf Bezirken stärkste Partei geworden. Zuvor hatte sie dort keinen einzigen Bürgermeister gestellt.
Was ist schief gelaufen?
Manche reden angesichts der Wahlergebnisse schon von einer Spaltung der Stadtgesellschaft. Das ist natürlich zu drastisch formuliert, aber die Frage ist berechtigt, was schief gelaufen ist in den letzten Monaten, vielleicht auch Jahren, in denen SPD, Grüne und Linke in allen Umfragen eine stabile Mehrheit hatten. Fühlen sich Menschen in den Außenbezirken zu wenig berücksichtigt? Stimmt der Vorwurf, den die SPD den Grünen mantramäßig macht, sie bediene nur ihre innerstädtische Klientel?
In diesem Kontext wird oft auf die Politik der beiden grünen Verkehrssenatorinnnen seit 2016 verwiesen. Die Verkehrswende, die jene ausgerufen hatten und die mehr Platz und Sicherheit für Radfahrer*innen, Fußgänger*innen und den ÖPNV schaffen soll, ignoriere die Bedürfnisse all jener, die mangels Anbindung allein auf Busse oder eben ihr Auto angewiesen sind, so der Vorwurf – sprich jene, die weiter weg vom Zentrum wohnen. Das stimmt, der Ausbau des ÖPNV geht langsam voran, zugleich hat das Thema Verkehr eine große Präsenz und eine hoch symbolische Bedeutung.
Denn dass Bettina Jarasch, Spitzenkandidatin der Grünen und seit 2021 eben auch Verkehrssenatorin, mitten in der heißen Wahlkampfphase zentrale Teile der Edeleinkaufsmeile Friedrichstraße für Autos erneut sperren ließ, sorgte regelrecht für Aufruhr in konservativen Kreisen und bei den dortigen Geschäftsinhabern. Allein aus ideologischen Gründen würde Jarasch handeln, die Interessen der Anlieger ignorieren.
Silvester hat der CDU in die Hände gespielt
Die Wut auf Jaraschs Ankündigung hat direkt auf das Konto der CDU eingezahlt. Den Grünen selbst wiederum hat sie kaum geschadet, wie deren Ergebnis zeigt, das nahe am Rekord von 2021 liegt. Jarasch und Co müssen auch eher aufpassen, dass der Stadtumbau von den eigenen radaffinen Wähler*innen nicht als zu langsam und verzagt kritisiert wird. Hier zeigt sich eine gesellschaftliche Schere, die offenbar weiter aufgehen wird.
Ein weiteres Thema, das im Wahlkampf befeuert von der Union lange hohe Wellen schlug, waren die Silvesterrandale und deren Täterschaft. Während die meisten Anhänger*innen der Regierungskoalition die Debatte spätestens nach zwei Tagen höchstens noch gelangweilt verfolgten, weil sie eigentlich zu jedem Jahresanfang dazu gehört, konnte die CDU mit dem Themen Sicherheit und Integration punkten: Mit Silvester begann der Höhenflug der Partei in Umfragen; zuvor hatte sie seit der Wahl 2021 meist bei 20 Prozent gelegen und damit gleichauf mit SPD und Grünen.
Doch den Sieg der CDU allein auf einen von ihr pointiert geführten Wahlkampf zurückzuführen, greift zu kurz. Vielmehr wurde in den vergangenen sechs Wochen eben auch deutlich, dass sich in der Stadt in den sechs Jahren unter der Regierung aus SPD, Grünen und Linken zu wenig verändert hat. Die Koalition hatte schlicht wenig eigene Erfolge vorzuweisen und fand sich oft argumentativ in der Defensive.
CDU kann auch nicht zaubern
Sicher, Rot-Grün-Rot hat in Sachen Integration der Geflüchteten aus der Ukraine sehr gute Arbeit geleistet; sie haben in der Energiekrise schnell und umfassend gehandelt. Und nicht für jeden Mangel ist die Koalition verantwortlich. Aber bezahlbare Mietwohnungen sind weiterhin genauso so selten wie Termine auf dem Bürgeramt, es gibt zu wenig Schulplätze, die Digitalisierung schleicht höchstens voran.
Und inzwischen sind es viele Berliner*innen leid, bundesweit als Bewohner*innen einer Pannenmetropole verunglimpft zu werden, zuletzt eben wegen des Wahlchaos, für das der damalige SPD-Innensenator politisch verantwortlich war, der inzwischen Bausenator ist.
Vor diesem Hintergrund konnte es der CDU mit ihrem relativ unscheinbaren Spitzenkandidaten gelingen, vor allem mit großen Versprechungen in der Stadt zu punkten, die sie vor gut 20 Jahren mit ihrer Verantwortung für den Bankenskandal fast in den Ruin getrieben hatte. Die dringend benötigten Zehntausende Verwaltungsmitarbeiter*innen, Lehrer*innen und (Miet-)Wohnungen wird auch sie nicht herbei zaubern können.
Gut möglich, dass die Wähler*innen, die vor allem die SPD an die CDU verloren hat, wieder zurück kommen. Dafür müssen die Sozialdemokraten aber den Mut zeigen, linke Politik auch wirklich zu wollen. Zum Beispiel, wenn es im Sommer zur Frage kommt, ob Berlin den erfolgreichen Enteignen-Volksentscheid auch umsetzen will.
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