Schwarz-rote Sondierungen: So einfach darf Merz nicht davonkommen
Investitionen sind dringend notwendig, aber die Finanzpläne von Union und SPD sind der falsche Weg. Die Grünen sollten sie ablehnen.

M an darf an dieser Stelle kurz innehalten und sich freuen. Endlich! Nach Jahren des ideologisch motivierten Kaputtsparens, in denen das Vertrauen in den Staat sank und das Einzige, das noch wuchs, die Zustimmung für die AfD war, soll wieder investiert werden. Das Ganze soll mit Krediten finanziert werden. Und das Beste: Christian Lindner hat bei alldem nicht mehr mitzureden.
Gerade mal zehn Tage sind die Bundestagswahlen her, schon haben sich die Sondierer von Union und SPD auf eine grundlegend andere Finanzpolitik geeinigt. Die Schuldenbremse soll für Verteidigungsausgaben ausgesetzt werden, die 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts übersteigen. Für Investitionen in die Infrastruktur soll zusätzlich ein Sondervermögen von einer halben Billion Euro für zehn Jahre bereitgestellt werden. Das Tempo, aber auch der schiere Umfang zeigen, dass die Sondierer verstanden haben, wie grundlegend die Probleme sind.
Aber so richtig das Ziel ist – die Vorschläge von Schwarz-Rot sind der falsche Weg, und die Grünen sollten sie im Bundestag ablehnen.
Zunächst einmal gibt es ein erhebliches demokratisches Problem. Friedrich Merz und die Union waren nicht ehrlich. Sie haben im Wahlkampf so getan, als bräuchte es keine Reform der Schuldenbremse, als könnte man alle Versprechen finanzieren und auf magische Weise neues Wachstum entfachen. Nur ein paar Arbeitslose und Geflüchtete sollten dafür bluten.
Der neue Bundestag muss entscheiden
Man sollte die Union mit dieser Wahlkampflüge nicht davonkommen lassen. Vor allem nicht, weil sie nun mit dem Wahlergebnis unzufrieden ist und diese grundlegende Reform der Staatsfinanzen noch schnell mit den Mehrheiten des abgewählten Bundestags beschließen will. Das allerdings hätte sie schon vor langer Zeit tun können. Die Union hat sich stets dagegen entschieden, auch aus parteitaktischen Gründen. Die Rückkehr ins Kanzleramt war ihr wichtiger.
Nun hat das Volk einen neuen Bundestag gewählt, die neuen Fraktionen haben sich bereits getroffen. Es ist nicht zu vermitteln, warum Abgeordnete, die 2021 und damit vor dem russischen Großangriff gewählt wurden, noch grundlegende Entscheidungen treffen sollen.
Aber die Pläne von Schwarz-Rot sind nicht nur demokratisch fragwürdig, sie sind auch inhaltlich falsch. Warum sollen einzig und allein die Verteidigungsausgaben dauerhaft von der Schuldenbremse ausgenommen werden? Das ebenso geplante Sondervermögen Infrastruktur ist dagegen zeitlich begrenzt und gedeckelt. Auch wenn es aktuell vergessen wird: Die Klimakrise, die Bedrohung durch den Rechtsextremismus, der kaputte Staat, all das sind genauso unmittelbare Gefahren wie der Ukrainekrieg. Es gibt keinen vernünftigen Grund, warum es zukünftig nur für Aufrüstung keine Obergrenze geben soll.
Es gäbe eine demokratisch saubere und politisch bessere Alternative. Statt immer neue Ausnahmen von der Regel zu beschließen, sollte der neue Bundestag die Schuldenbremse abschaffen. Dafür gäbe es eine Mehrheit. Die Linke hat angekündigt, bereitzustehen. Wenn die demokratischen Parteien die Schuldenbremse erst mal abgeschafft haben, könnte eine künftige schwarz-rote Koalition mit einfacher Mehrheit Investitionen beschließen, auch für die Bundeswehr.
Grünes Dilemma
Doch die Sondierer haben sich für einen anderen Weg entschieden. Dass die SPD bei diesem Manöver mitmacht, ist bitter genug. Nun kommt es auf die Grünen an, denn für eine Zweidrittelmehrheit braucht es ihre Stimmen.
Man muss nicht nachtragend sein, um noch einmal darauf hinzuweisen: Die Union hat die Grünen und Robert Habeck jahrelang verunglimpft, als Leute, die keine Ahnung von „der Wirtschaft“ hätten, mit denen man niemals koalieren dürfe. Nur um nach der Wahl die Forderungen der Grünen zu kopieren und die Partei nun zur Zustimmung zu nötigen. Auch wenn die Grünen gern ihre andere Wange hinhalten, muss man sich nicht alles gefallen lassen.
Die Partei ist in einem Dilemma: Sie hat im Wahlkampf selbst Investitionen versprochen. Lehnen die Grünen die Pläne von Union und SPD ab, werden diese ihnen vorwerfen, keine Verantwortung zu übernehmen, die Ukraine, die Nato und die Zukunft der Republik zu gefährden.
Stimmen die Grünen dem Vorschlag aber zu, wird das die Schuldenbremse für die nächsten zehn Jahre zementieren. Das Möglichkeitsfenster, die Union zu einer Abschaffung oder echten Reform zu zwingen, würde sich schließen. SPD und Union haben zwar eine „Expertenkommission“ angekündigt, um eine Reform der Schuldenbremse zu prüfen. Aber man kennt ja das Schicksal solcher Kommissionen.
Vermutlich werden die Grünen den Sondierern aber trotz allem letztlich geben, was ihnen andersherum verwehrt wurde: die finanzielle Grundlage, um gute Politik zu machen. Dabei haben sie bei der Wahl gerade erst erfahren, was es bringt, jahrelang das vermeintlich überparteiliche Staatswohl über die eigenen Überzeugungen zu stellen. Herzlich wenig. Ob sie in der Opposition schon schlauer geworden sind?
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