Repressionen in Bayern: Klima-Aktivistin darf nicht Lehrerin werden
Der Freistaat Bayern verweigert einer Lehramtsstudentin einen entscheidenden Schritt ihrer Berufsausbildung. Die Begründung: ihr Anti-Kapitalismus.
Die Lehramtsstudentin und Klima-Aktivistin Lisa Poettinger darf ihr Referendariat nicht antreten. Das hat das von den Freien Wählern geführte bayerische Bildungsministerium entschieden. Das steht in einem Schreiben, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, die zuerst berichtete. Ohne Referendariat kann Poettinger nicht Lehrerin werden.
Poettinger organisierte im vergangenen Jahr die Demos gegen Rechts in München mit. Außerdem protestierte sie gegen die Automesse IAA und beteiligte sich an der Besetzung des Dorfes Lützerath, als es für den Braunkohleabbau von der Polizei geräumt wurde.
Das bayerische Ministerium begründet seine Entscheidung damit, Poettingers Tätigkeit und Mitgliedschaft in extremistischen Organisationen vertrage sich nicht mit den Pflichten einer Beamtin.
Laut SZ ist damit das „Offene Antikapitalistische Klimatreffen München“ gemeint, das legal ist. Die Juristin Laura Kuttler von der Gesellschaft für Freiheitsrechte GFF sagte der taz, das Ministerium könne trotzdem „in der Gesamtschau“ aus der Mitgliedschaft, ihrem öffentlichen Auftreten und öffentlichen Äußerungen die Nicht-Eignung für den Lehrerberuf ableiten.
Dazu gehört dem Ministerium zufolge, dass Poettinger die Automesse IAA in einem Interview als ein „Symbol für Profitmaximierung auf Kosten von Mensch, Umwelt und Klima“ bezeichnet hatte. „Profitmaximierung“, schreibt das Ministerium der SZ zufolge, „ist eine den Begrifflichkeiten der kommunistischen Ideologie zuzuordnende Wendung. Die kommunistische Ideologie ist mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar.“
Allerdings definiert „Gaeblers Wirtschaftslexikon“ – dem Extremismus unverdächtig – Profitmaximierung als „Verhaltensannahme der Wirtschaftswissenschaft, nach der das Ziel der Unternehmung die Maximierung des Gewinns ist.“ Auch der Papst verkündete 2015, die Prinzipien der Profitmaximierung dienten einem „System, das dazu neigt, jeglichen Kontext und Auswirkung auf die Menschenwürde und die Umwelt zu ignorieren“. Juristin Kuttler bezweifelt deswegen, dass es mit der Meinungsfreiheit vereinbar ist, Poettinger wegen ihrer Kritik an „Profitmaximierung“ vom Referendariat auszuschließen.
Der SZ sagte Poettinger, sie sei zwar Marxistin, aber gleichzeitig überzeugte Verfechterin von Grundgesetz und Bayerischer Verfassung. Dabei beruft sich die 28-Jährige auf das Bundesverfassungsgericht. Einem Urteil von 1979 zufolge nimmt das Grundgesetz „keine unmittelbare Festlegung und Gewährleistung einer bestimmten Wirtschaftsordnung“ vor.
Das Bildungsministerium sehe aber zum Beispiel im Slogan „System Change not Climate Change“, den Poettinger verwendet, nicht bloß einen Aufruf zu Klimaneutralität, sondern zum politischen Umsturz, berichtet die SZ.
Juristin Laura Kuttler zufolge stellt sich grundsätzlich die Frage, ob ein faktisches Berufsverbot für Poettinger angemessen ist. Schließlich müsse das Ministerium abwägen zwischen seinem legitimen Interesse, Schulen von Extremismus freizuhalten, und der Berufsfreiheit. Das gelte besonders, wenn Poettingers Verhalten „ihre zukünftige Amtsführung nicht beeinflusst“, wenn sie also ihre Rolle als Lehrerin und Aktivistin auseinanderhalte.
Denn das Ministerium wirft Poettinger außerdem vor, durch ihre Äußerungen und Aktivitäten das Ansehen des Berufsstands sowie das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Führung des Amts zu beeinträchtigen. „Wenn Frau Poettinger als Aktivistin keinen Bezug zu ihrer Arbeit herstellt, halte ich es nicht für möglich, das herzuleiten“, sagte Kuttler. Auch wenn an einer Schule einzelne Eltern Poettingers politische Haltung missbilligen sollten, reicht das Kuttler zufolge nicht aus, um sie vom Referendariat auszuschließen.
Neben Poettingers Aktivismus will das Bildungsministerium sie wegen mehrerer Gerichtsverfahren nicht zum Referendariat zulassen. Poettinger wird darin der SZ zufolge vorgeworfen, bei der Räumung von Lützerath Widerstand gegen einen Vollstreckungsbeamten geleistet zu haben sowie einen Vollstreckungsbeamten tätlich angegriffen zu haben.
In einer offiziellen Stellungnahme dazu soll Poettinger an das Ministerium geschrieben haben: „Ich sehe es als meine Pflicht, unsere Lebensgrundlagen zu schützen. So gehören auch Verantwortungsbewusstsein für Natur und Umwelt zu den obersten Bildungszielen Bayerns.“
Juristin Kuttler sagte, mit den Verfahren gegen Poettinger sei die Entscheidung des Ministeriums noch am ehesten zu begründen – aber zunächst gelte die Unschuldsvermutung, schließlich laufen die Verfahren noch.
Poettinger hat auf X angekündigt, gegen die Entscheidung des Ministeriums zu klagen. Das Ministerium wollte sich auf Anfrage der taz nicht zu Poettinger äußern.
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