Razzia gegen Reichsbürger: Ziel war ein Systemwechsel
Reichsbürger sollen einen gewaltsamen Umsturz geplant haben. Acht Personen sind laut Generalbundesanwalt in Untersuchungshaft.
Generalbundesanwalt Peter Frank teilte am Mittwochmittag mit, bei 8 der Festgenommenen hätten Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof Untersuchungshaft angeordnet. Darunter sei auch Heinrich XIII R., den die Ermittler als Rädelsführer ansehen.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach am Mittwoch von einem „Abgrund terroristischer Bedrohung“. Sie sagte in Berlin: „Die heute aufgedeckte mutmaßliche terroristische Vereinigung ist – nach dem Stand der Ermittlungen – von gewaltsamen Umsturzfantasien und Verschwörungsideologien getrieben.“ Faeser erklärte weiter: „Unser Rechtsstaat ist stark. Wir wissen uns mit aller Härte gegen die Feinde der Demokratie zu wehren.“ Die Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder hätten „unter Leitung des Generalbundesanwalts hervorragend zusammengewirkt“.
Die Maßnahmen seit Mittwochmorgen leitet die Bundesanwaltschaft. Sie wirft den Beschuldigten Planungen für eine „gewaltsame Beseitigung“ der Regierung vor, nach der eine „neue staatliche Ordnung“ errichtet werden sollte. Als Anführer gelten der Thüringer Adlige „Prinz“ Heinrich XIII. R., der sich schon länger in der Reichsbürgerszene bewegte und als neues „Staatsoberhaupt“ vorgesehen war, und der frühere Fallschirmjägerkommandeur Rüdiger von P., der den militärischen Arm der Vereinigung leiten sollte.
Das Ziel: „Systemwechsel auf allen Ebenen“
Spätestens seit Ende November 2021 sollen die Männer Gleichgesinnte aus der Reichsbürger- und Coronaleugnerszene um sich geschart haben. Gezielt seien aktive oder frühere Bundeswehr- und Polizeiangehörige angesprochen worden, die sich in „Heimatschutzkompanien“ organisieren sollten. Statt die Umsturzpläne zu melden, ließen sich die Beschuldigten darauf ein.
Dafür sollen mehrere geheime Treffen stattgefunden haben, vier davon allein im Sommer in Baden-Württemberg, unter Leitung von Rüdiger von P. Noch im Oktober soll der „militärische Arm“ Bundeswehrkasernen in Hessen, Baden-Württemberg und Bayern ausgekundschaftet haben, um zu prüfen, ob dort nach einem Umsturz „Truppen“ untergebracht werden könnten.
Dass ihre Umsturzpläne auch Tötungsdelikte beinhaltet hätten, hätten die Beschuldigten „billigend in Kauf genommen“, erklärte die Bundesanwaltschaft. Die Beschuldigten verbinde eine „tiefe Ablehnung der staatlichen Institutionen“ in Deutschland. Sie seien der festen Überzeugung, dass die Bundesrepublik eigentlich von Angehörigen eines „Deep State“ regiert werde. Ihr Ziel sei ein „Systemwechsel auf allen Ebenen“ gewesen.
Zum militärischen Arm unter Rüdiger von P. soll auch der pensionierte KSK-Oberst Maximilian E. gehören. Für den Umsturz sei bereits die Beschaffung von Ausrüstung geplant gewesen, ebenso Schießtrainings. In der Gruppe soll auch diskutiert worden sein, mit einer kleinen bewaffneten Gruppe in den Bundestag einzudringen. Unmittelbare Angriffe sollen nach taz-Informationen aber nicht bevorgestanden haben.
AfD-Richterin als Justizministerin vorgesehen
Unter den Festgenommenen ist auch die frühere AfD-Bundestagsabgeordnete und Richterin Malsack-Winkemann aus Berlin. Nach taz-Informationen war sie als künftige „Justizministerin“ vorgesehen. Auch sie wurde am Morgen verhaftet. Von der AfD gab es dazu zunächst keine Stellungnahme. Der 58-Jährigen war erst im Oktober nach einem Rechtsstreit wieder erlaubt worden, in Berlin als Richterin zu arbeiten.
Als zentralen politischen Partner sahen die Umstürzler offenbar Russland an. So soll die Partnerin von „Prinz“ Heinrich XIII. R., die Deutschrussin Vitalia B., Kontakte nach Russland vermittelt haben. Der „Prinz“ selbst soll nach taz-Informationen auch einmal das russische Generalkonsulat in Leipzig besucht haben. Die Bundesanwaltschaft aber hält fest, dass es keine Anzeichen gebe, dass russische Ansprechpartner „auf sein Ansinnen positiv reagiert haben“.
Nach taz-Informationen waren die Ermittler im Frühjahr auf das Netzwerk gestoßen, als sie mit einer ersten Razzia bereits gegen vier Männer aus dem Coronaprotest-Spektrum vorgingen, die sich in Telegramgruppen wie „Vereinte Patrioten“ organisiert hatten. Auch ihnen wurden Umsturzpläne vorgeworfen und die geplante Entführung von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Im Zuge der Ermittlungen sei dann das jetzige Netzwerk entdeckt worden.
Die Festnahmen erfolgten in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen, Niedersachsen, Sachsen, Thüringen, im österreichischen Kitzbühel und im italienischen Perugia. Insgesamt wurden mehr als 130 Objekte durchsucht. Im Visier sind auch 27 weitere Beschuldigte.
Die Linken-Abgeordnete Martina Renner lobte den Schlag der Bundesanwaltschaft, kritisierte aber, dass die Razzia seit Tagen „ein offenes Geheimnis“ gewesen sei. Es sei kaum vorstellbar, dass niemand der Durchsuchten im Vorfeld Bescheid wusste. Ein solches Vorgehen gefährde den ganzen Erfolg der Ermittlungen, so Renner.
Aktualisiert und ergänzt am 07.12.2022 um 14:40 Uhr. d. R.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren