Entscheidung des Dienstgerichts Berlin: AfD-Richterin darf weiter urteilen

Birgit Malsack-Winkemann (AfD), einst Abgeordnete, darf als Richterin arbeiten. Das Land scheitert, sie in den Ruhestand zu versetzen.​ ​

Birgit Malsack-Winkemann, Richterin und AfD-Mitglied, neben ihrem Anwalt

Birgit Malsack-Winkemann, Richterin und AfD-Mitglied, neben ihrem Anwalt Foto: Wolfgang Kumm / dpa

BERLIN taz | Die einstige AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann darf weiter als Richterin arbeiten. Das Berliner Dienstgericht hat am Donnerstag einen Antrag des Landes Berlin verworfen, sie vorzeitig in den Ruhestand zu versetzen. Eine Berufung gegen das Urteil ist möglich.

Die Berliner Justizbehörde als oberster Dienstherr hatte zur Begründung der vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand Bundestagsreden, Tweets und Fotos von Malsack-Winkemann herangezogen, auf denen sie zusammen mit rechtsextremen Flügel-Vertretern posiert. Doch zur Urteilsbegründung nach einstündiger Beratungszeit und anderthalbstündiger Verhandlung erklärte der Vorsitzende Richter des Dienstgerichts, Jens Tegtmeier, dass bei der weiteren Beschäftigung von Malsack-Winkemann keine „schwerwiegende Beeinträchtigung der Rechtspflege“ festzustellen sei.

Unberücksichtigt bei dem Urteil blieben Malsack-Winkemanns rassistische Reden im Bundestag, in denen sie unter anderem eine Verbindung zwischen Mi­gran­t*in­nen und Krankheiten hergestellt hatte. Die Äußerungen im Bundestag unterliegen laut Urteil des Gerichts eindeutig der Immunität.

Äußerungen von Abgeordneten dürften nicht dienstlich oder gerichtlich verfolgt werden, solange es keine verleumderischen Behauptungen seien, wie es in der mündlichen Urteilsbegründung hieß. Die Redefreiheit müsse vom Parlamentariern ohne Angst durch Sanktionierung von staatlichen Stellen ausgeübt werden können. Malsack-Winkemann wirkte nach dem Urteil deutlich erleichtert, wollte sich jedoch nicht äußern.

Das Land trägt die Kosten des Verfahrens. Dessen Streitwert legte das Dienstgericht auf ein Jahresgehalt der Richterin fest: 86.708 Euro. Daraus ergeben sich anwaltliche Kosten in Höhe von etwa 3.000 Euro, wie ein Gerichtssprecher mitteilte.

Die Verhandlung vor dem Dienstgericht hatte auch AfD-Prominenz angezogen. Stephan Brandner, stellvertretender Bundesvorsitzender und Bundestagsabgeordneter aus der extrem rechten AfD Thüringen, klopfte Birgit Malsack-Winkemann in der Pause vor der Urteilsverkündung auf die Schulter und sagte: „Wacker geschlagen“. Auch AfD-Vorstandsmitglied Roman Reusch war vor Ort.

Eine Bühne für die AfD

Brandner war natürlich auch gekommen, um das Verfahren propagandistisch auszuschlachten. So trat er schon vor dem Urteil vor die Kamera des RBB und sprach davon, dass die Vorwürfe an den Haaren herbei gezogen seien; es könne nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür geben, dass Malsack-Winkemann in Urteilen sich nicht neutral etwa gegenüber Menschen mit familiärer Migrationsgeschichte oder Nicht-Deutschen verhalten könnte.

Man könnte aufgrund ihrer Bundestagsreden durchaus der gegenteiligen Auffassung sein: Die waren scharf und rassistisch, ebenso wie ihre Auftritte bei Parteitagen. Die rechtliche Bewertung sei allerdings deutlich komplizierter, wie das Gericht mit Blick auf die Immunität von Abgeordneten ausführte, die sich aus dem Artikel 46 des Grundgesetzes ergibt. So seien die Vielzahl von Äußerungen Malsack-Winkemanns aus dem Bundestag bei der Bewertung durch das Dienstgericht nicht verwertbar.

Malsack-Winkemann sagte auch deswegen mit Blick auf Äußerungen außerhalb des Bundestags, dass sie nur während ihrer Abgeordnetenzeit bei der „politischen Willensbildung“ mitgewirkt habe: „Davor und danach habe ich absolut wieder Abstand genommen.“ Und tatsächlich sind seit ihrer Mandatsniederlegung keine polarisierenden öffentlichen Äußerungen mehr bekannt.

Es könne nicht sein, dass sich Angestellte des öffentlichen Dienstes wie Rich­te­r*in­nen oder Be­hör­den­mit­ar­bei­te­r*in­nen bei ihrer Mandatsausübung zurücknehmen müssten, argumentierte Malsack-Winkemann, die von Anwalt Jochen Lober vertreten wurde. Sonst habe man ja eine Schere im Kopf und müsse sich fragen, „was man eigentlich noch sagen dürfe“, so Winkemann.

Die Immunität gilt uneingeschränkt

Der Vorsitzende Richter Tegtmeier sah es ähnlich. Jeder könne die Reden in den Plenarprotokollen lesen und bewerten – aber sie seien „rechtlich in diesem Rahmen unverwertbar“, so der Richter. Der Artikel 46 Grundgesetz gelte uneingeschränkt.

Die Justizverwaltung von Senatorin Lena Kreck (Linkspartei) hatte argumentiert, dass der Artikel 46 nicht uneingeschränkt gelten könne, weil andere Grundsätze der Verfassung berührt seien. Zu berücksichtigen seien etwa die Grundrechte von Rechtsschutzsuchenden. Man könne sich beispielsweise im Bundestag nicht gegen Religionsfreiheit einsetzen und danach ganz normal auf die Richterbank zurückkehren, argumentierte die Vertreterin der Behörde. Das stehe im Konflikt mit dem Gebot an alle Beamt*innen, sich für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzusetzen.

Das Land Berlin begründete den Antrag auf Versetzung in den Ruhestand damit, dass Malsack-Winkemann „sich während ihres Bundestagsmandats in Plenardebatten und über Social-Media-Plattformen in ausgrenzender Weise und mit konstruierten, offensichtlich falschen Behauptungen zu Flüchtlingen geäußert“ habe. Weil das auch in der Öffentlichkeit als Sympathie für rassistisch-diskriminierende Konzepte wahrgenommen würde, könne sie nicht mehr glaubwürdig Recht sprechen.

Das Gericht bejahte zwar, dass außerparlamentarische Äußerungen verwertet werden dürften. Es sah jedoch in von der Behörde vorgelegten Social-Media-Beiträgen „nicht im Ansatz“ einen Anlass, Malsack-Winkemann aus dem Dienst zu entfernen. Ebenso reiche dafür nicht die bloße Mitgliedschaft in der als rechtsextremen Verdachtsfall eingestuften AfD.

Berlin soll Richteranklage ermöglichen

In anderen Bundesländern gibt es das Instrument der Richteranklage, die ein Parlament bemühen kann, um vom Bundesverfassungsgericht feststellen zu lassen, dass Rich­te­r*in­nen ungeeignet sind. In Berlin fehlt eine entsprechende Regelung; auch wegen des Falls von Malsack-Winkemann kam die Diskussion auf, das Instrument nun in Berlin einzuführen. Dies forderte etwa Sebastian Schlüsselburg, rechtspolitischer Sprecher der Linksfraktion.

In einem ähnlich gelagerten Fall – der allerdings politisch weniger strittig ist – um den klaren Rechtsextremisten und AfD-Richter Jens Maier gab es im März bereits ein Eil-Urteil. Hier hatte das sächsische Dienstgericht in einem Eilantrag Maier im März in den Ruhestand versetzt, parallel läuft seitens des Landgerichts Dresdens ein Disziplinarverfahren gegen Maier.

Auch Maier war wieder nicht in den Bundestag gewählt worden und hatte seine Rückkehr in die Justiz beantragt. Er hatte sich im Vergleich zu Malsack-Winkemann allerdings deutlich extremer geäußert und sich selbst etwa als „kleiner Höcke“ bezeichnet und von „Mischvölkern“ und „Schuldkult“ geredet. Eine Verhandlung in der Sache Maier ist für den 1. Dezember angesetzt.

Der Staatsrechtler Andreas Fischer-Lescano, der für die Entfernung beider AfD-Richter*innen argumentiert hatte, kritisierte das Urteil des Berliner Dienstgerichts scharf: Es sei zwar richtig, dass Aussagen aus dem Bundestag nicht verwertet werden könnten; das Urteil sei aber „in Gänze unrichtig“. Er ist der Überzeugung, dass Malsack-Winkemann sehr wohl ihre rechtsextreme Gesinnung durch ihre Beiträge auf Social Media und andernorts zum Ausdruck gebracht habe.

„Was soll eine Funktionärin einer rechtsextremen Partei denn bitte sonst für eine Gesinnung haben?“, fragte Fischer-Lescano. Malsack-Winkemann sei insofern „kein ‚milder Fall‘ einer rechtsextremen Richterin, sondern eine Person, die sich rechtsextrem geäußert und betätigt hat“. Sie dürfe als Mandatsträgerin der AfD keine Richterin sein. Fischer-Lescano sagte: „Der Justizsenatorin ist zu raten, Rechtsmittel einzulegen und zudem dringlichst auch disziplinarrechtliche Schritte, die zur Entfernung der Richterin aus dem Beamtenverhältnis und zum Verlust des Ruhegehalts führen müssen.“

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