Presse- und Meinungsfreiheit: Hat die Gesellschaft noch Bock drauf?
Kürzlich verbot Nancy Faeser „Compact“. Das rechte Magazin selbst hat jetzt Klage dagegen eingereicht. Das ist gut so.
B isher lässt sich über den diesjährigen deutschen Sommer nicht viel meckern. Wettermäßig benimmt er sich zwar wie ein opportunistischer Wechselwähler, politisch aber liefert er ab: verweigert den befürchteten Nationalismusschub durch die Fußball-EM, versorgt US-Berater*innen im Prenzlauer Berg mit jeder Menge Stoff für falsche Prophetie („Das war’s! Diesen Mann kann niemand mehr schlagen“), und der Bundesinnenministerin gibt er den Raum, sich mit Rechtsextremist*innen, Islamist*innen und Klimaaktivist*innen anzulegen.
Ob in der Auseinandersetzung mit den Rechten die Innenministerin und die Demokratie als Gewinnerinnen vom Platz gehen oder die Truppe rund um Jürgen Elsässer und sein Magazin Compact, ist noch unentschieden.
Die einen feiern das Verbot von Compactmit den Worten Nancy Faesers als einen „Schlag gegen den Rechtsextremismus“. Die anderen warnen vor zu früher Freude und kritisieren die dünne Argumentation, mit der das BMI einen eklatanten staatlichen Eingriff in die Presse- und Meinungsfreiheit legitimiert habe.
Ich stehe in dieser Frage in der Ecke der Kritiker. Zum einen, weil ich finde, dass man da als Journalist*in sowieso immer besser aufgehoben ist. Zum anderen finde ich zwar auch, dass man besser früher als später drohendes Unheil bekämpft, aber der Eingriff des BMI wirft eine Frage auf, die kaum offen gestellt wird: Hat diese Gesellschaft noch Bock auf die bisher in der Verfassung festgehaltene, sehr weit gehende Definition von Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit in Deutschland?
Wenige Argumente, viel Härte
All die Debatten über die Macht der Sprache in den letzten Jahren – die Frage der praktischen Auswirkung von hatespeech, toxischen Wörtern und hetzerischer Rhetorik der Rechten – laufen darauf hinaus.
Ich finde es daher sehr gut, dass die rechtsextremen Kretins Klage gegen das Compact-Verbot eingereicht haben. Denn wie auch immer das Bundesverwaltungsgericht entscheidet, die Verhandlungen werden eine gute Grundlage bieten, um ausgerechnet im 75. Jubiläumsjahr der bundesrepublikanischen Verfassung darüber zu diskutieren, ob die Presse- und Meinungsfreiheit, wie sie das Grundgesetz bisher garantiert, Segen oder Fluch für eine freiheitliche Gesellschaft ist. Also darüber, wie viel Freiheit in Presse- und Meinungsfreiheit noch stecken soll.
Nancy Faeser aber setzt derzeit wenig auf Argumente, mehr auf Härte. Als wäre dieses Wochenende Einsendeschluss für die Leistungsnachweise ihrer Amtszeit, nahm sie sich am Ende auch noch die Klimaaktivist*innen vor. Flughäfen zu blockieren, so sagte sie, sei „gefährlich, dumm und kriminell“, und drohte, Flughäfen stärker gesetzlich zur Verbesserung der Sicherheit zu verpflichten.
EC-Karte geklaut
Ich hätte mir diese Woche noch eine weitere beherzte Ansage von der Innenministerin gewünscht. Meine EC-Karte wurde nämlich geklaut, und trotz sofortiger Sperrung wurden mit der Karte tagelang Waren im Wert von über 3.000 Euro gekauft. Wie das geht? Kann mir weder die Bank noch die Polizei erklären. Nur, dass Kartenzahlung ohne PIN, nur mit Unterschrift, auch dann geht, wenn die Karte gesperrt ist.
Sperrung bedeutet nicht Sperrung? Die Auskunft „Ihre Karte ist jetzt gesperrt“ bedeutet also nicht, dass die Karte jetzt gesperrt ist? Und das soll weniger gefährlich, dumm und kriminell sein?
Ich wünsche mir eine faesersche Ansage: verschärfte gesetzliche Pflichten zur Sicherheit bei EC-Karten. Geht auch in einem Tweet: „Heute habe ich Banken und Händlern verboten, gesperrte Karten nicht ganz zu sperren. Ab sofort ist die Bezahlung mit Unterschrift nicht mehr möglich.“ Sicher, die Rechten würden die nächste Debatte über die Verbotspolitik der Innenministerin vom Zaun brechen. In diesem Fall aber stünde ich komplett hinter ihr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen