Parole „From the River to the Sea“: Anwält*innen fordern Ende der Kriminalisierung
In einem Brief an Berlins Polizei und Justiz drängen Dutzende Anwält*innen auf ein Ende der Strafverfolgung der Parole „From the River to the Sea“.

Die jüngsten Freisprüche am Amtsgericht Tiergarten sowie ein wissenschaftliches Gutachten des Landeskriminalamts seien eindeutig, heißt es in dem Schreiben von Dienstag: „Die Verwendung des Slogans ist divers, seine Bedeutung ist mannigfaltig.“ Menschen, die den Spruch verwendeten, dürften deshalb nicht weiter belangt werden: „Eine entsprechende Weisung ist unverzüglich zu erteilen.“
Der Umgang mit der Parole „From the River to the Sea, Palestine will be free“ ist seit Langem umstritten. Im November 2023 erklärte das Bundesinnenministerium die erste Hälfte des Spruchs in einer Verbotsverfügung zum Kennzeichen der Terrororganisation Hamas.
In Berlin stuft die Staatsanwaltschaft den Halbsatz deshalb als strafbar ein. Die Polizei geht auf dieser Grundlage rigoros gegen Personen vor, die ihn rufen, auf Plakate schreiben oder im Internet posten. Es kommt zu Festnahmen und Wohnungsdurchsuchungen, Demos werden beendet oder verboten.
Gericht verweigert Eröffnung eines Verfahrens
Jedoch zeichnet sich seit einigen Wochen ab, dass es keine Rechtsgrundlage für dieses Handeln gibt. Zuletzt wurden mehrere Aktivist*innen freigesprochen, die wegen der Verwendung der Parole angeklagt waren. Dabei betonte das Amtsgericht Tiergarten unter anderem, dass der Slogan nicht automatisch Hamas-Propaganda sei, nur weil dies das Innenministerium so betrachtet. Vielmehr müsse das Gericht eigenständig prüfen, ob ein der Slogan als Terrorsymbol verwendet wurde. Und das habe die Beweisaufnahme nicht ergeben.
Ende Juli lehnte das Gericht dann sogar die Eröffnung eines Hauptverfahrens wegen des Vorwurfs ab: „Es besteht kein hinreichender Tatverdacht dafür, dass es sich bei der Wortfolge um eine Parole der Hamas handelt“, heißt es in dem Beschluss, der der taz vorliegt.
Hunderte Verfahren wohl noch anhängig
Angesichts dessen sei längst überfällig, dass die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung der Parole abrückt, sagt der Rechtsanwalt Benjamin Düsberg am Dienstag zur taz: „Das Gericht hat nach ausführlicher Beweisaufnahme in einer Serie an Urteilen immer wieder bestätigt: Der Slogan ist nicht strafbar.“
Düsberg ist einer der Initiator*innen des offenen Briefs und hat vor Gericht Personen verteidigt, die wegen der Parole angeklagt waren. „Wir verstehen nicht, warum die Kriminalisierung trotzdem ungebrochen weitergeht“, kritisiert er mit Blick auf das Vorgehen der Polizei bei Demonstrationen in den vergangenen Wochen. „Das ist nicht mehr tragbar und sorgt für ein unnötig hohes Eskalationspotenzial.“ Laut Düsbergs Schätzung sind an Berliner Gerichten noch mehrere Hundert Verfahren wegen des Slogans anhängig.
Man müsse sich fragen, ob diese Praxis nicht als Verfolgung Unschuldiger einzustufen sei, heißt es dazu im offenen Brief der Anwält*innen. Die Anklagen und Strafbefehlsanträge seien zurückzunehmen.
Die Staatsanwaltschaft wollte sich am Dienstag nicht dazu äußern, ob in Anbetracht der Rechtsprechung eine Neubewertung der Parole erfolgt. Der Brief sei eingegangen und werde nunmehr geprüft, erklärte ein Sprecher auf taz-Anfrage. Die Polizei wiederum verwies auf Nachfrage an die Staatsanwaltschaft. „Die abschließende rechtliche Bewertung, ob ein bestimmtes Verhalten den Tatbestand einer Straftat erfüllt, obliegt nicht der Polizei“, so ein Sprecher.
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