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Parole „From the River to the Sea“An­wäl­t*innen fordern Ende der Kriminalisierung

In einem Brief an Berlins Polizei und Justiz drängen Dutzende An­wäl­t*in­nen auf ein Ende der Strafverfolgung der Parole „From the River to the Sea“.

Die „Internationalist Queer Pride“ wurde von der Polizei beendet, weil die umstrittene Parole zu hören gewesen sein soll Foto: M. Golejewski/AdoraPress

Berlin taz | Mehr als 50 Rechts­an­wäl­t*in­nen fordern in einem offenen Brief an die Berliner Polizei und Staatsanwaltschaft ein sofortiges Ende der Strafverfolgung der propalästinensischen Parole „From the River to the Sea“.

Die jüngsten Freisprüche am Amtsgericht Tiergarten sowie ein wissenschaftliches Gutachten des Landeskriminalamts seien eindeutig, heißt es in dem Schreiben von Dienstag: „Die Verwendung des Slogans ist divers, seine Bedeutung ist mannigfaltig.“ Menschen, die den Spruch verwendeten, dürften deshalb nicht weiter belangt werden: „Eine entsprechende Weisung ist unverzüglich zu erteilen.“

Der Umgang mit der Parole „From the River to the Sea, Palestine will be free“ ist seit Langem umstritten. Im November 2023 erklärte das Bundesinnenministerium die erste Hälfte des Spruchs in einer Verbotsverfügung zum Kennzeichen der Terrororganisation Hamas.

In Berlin stuft die Staatsanwaltschaft den Halbsatz deshalb als strafbar ein. Die Polizei geht auf dieser Grundlage rigoros gegen Personen vor, die ihn rufen, auf Plakate schreiben oder im Internet posten. Es kommt zu Festnahmen und Wohnungsdurchsuchungen, Demos werden beendet oder verboten.

Gericht verweigert Eröffnung eines Verfahrens

Jedoch zeichnet sich seit einigen Wochen ab, dass es keine Rechtsgrundlage für dieses Handeln gibt. Zuletzt wurden mehrere Ak­ti­vis­t*in­nen freigesprochen, die wegen der Verwendung der Parole angeklagt waren. Dabei betonte das Amtsgericht Tiergarten unter anderem, dass der Slogan nicht automatisch Hamas-Propaganda sei, nur weil dies das Innenministerium so betrachtet. Vielmehr müsse das Gericht eigenständig prüfen, ob ein der Slogan als Terrorsymbol verwendet wurde. Und das habe die Beweisaufnahme nicht ergeben.

Ende Juli lehnte das Gericht dann sogar die Eröffnung eines Hauptverfahrens wegen des Vorwurfs ab: „Es besteht kein hinreichender Tatverdacht dafür, dass es sich bei der Wortfolge um eine Parole der Hamas handelt“, heißt es in dem Beschluss, der der taz vorliegt.

Hunderte Verfahren wohl noch anhängig

Angesichts dessen sei längst überfällig, dass die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung der Parole abrückt, sagt der Rechtsanwalt Benjamin Düsberg am Dienstag zur taz: „Das Gericht hat nach ausführlicher Beweisaufnahme in einer Serie an Urteilen immer wieder bestätigt: Der Slogan ist nicht strafbar.“

Düsberg ist einer der In­itia­to­r*in­nen des offenen Briefs und hat vor Gericht Personen verteidigt, die wegen der Parole angeklagt waren. „Wir verstehen nicht, warum die Kriminalisierung trotzdem ungebrochen weitergeht“, kritisiert er mit Blick auf das Vorgehen der Polizei bei Demonstrationen in den vergangenen Wochen. „Das ist nicht mehr tragbar und sorgt für ein unnötig hohes Eskalationspotenzial.“ Laut Düsbergs Schätzung sind an Berliner Gerichten noch mehrere Hundert Verfahren wegen des Slogans anhängig.

Man müsse sich fragen, ob diese Praxis nicht als Verfolgung Unschuldiger einzustufen sei, heißt es dazu im offenen Brief der Anwält*innen. Die Anklagen und Strafbefehlsanträge seien zurückzunehmen.

Die Staatsanwaltschaft wollte sich am Dienstag nicht dazu äußern, ob in Anbetracht der Rechtsprechung eine Neubewertung der Parole erfolgt. Der Brief sei eingegangen und werde nunmehr geprüft, erklärte ein Sprecher auf taz-Anfrage. Die Polizei wiederum verwies auf Nachfrage an die Staatsanwaltschaft. „Die abschließende rechtliche Bewertung, ob ein bestimmtes Verhalten den Tatbestand einer Straftat erfüllt, obliegt nicht der Polizei“, so ein Sprecher.

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26 Kommentare

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  • Nicht ein Ende der Kriminalisierung - sondern eine Gleichstellung bei der Kriminalisierung wäre angebracht. Wer aus nationalen oder religiösen Gründen für die Vertreibung von Palästinensern oder Israelis aus angestammten Gebieten einsteht gehört bestraft.

    Religiöse Gruppen, die sich hinter Kriegsverbrecher stellen, gehören nicht mehr staatlich gefördert.

  • Der fragliche Spruch steht genau so in den Gründungsstatuten des Likud, aber mit umgedrehten Vorzeichen, und daß das ernst gemeint ist, zeigt Netanjahu gerade in Gaza und im Westjordanland.

    Die grüne Linie ist im propagandistischen Lehrmaterial in Israels Schulen nicht zu sehen, ebenso wie den Kindern seit zwei Generationen von Anfang an die propagandistische Sichtweise der Nakba (die haben die Teilung abgelehnt und sind alle freiwillg gegangen) vermittelt wird.

    "Terror" und "terroristische Ideologie" ist in Israel/Palästina eben nicht nur auf einer Seite vorhanden.

  • Dürfte in der Diskussion eher darum gehen die Gerichte zu entlasten. Bei Parolen und Symbolen ist bei der Zuordnung auch entscheidend welche Assoziationen in der Gesellschaft sich damit verbinden. Die roten Dreiecke sind auch keine Erfindung der Hamas, aber wenn ein derartiges Zeichen an einer Einrichtung angebracht wird, würden wohl nur die wenigsten es mit der NS Zeit in Verbindung bringen. Selbiges gilt für die Parole, diese hat sich die Hamas zu eignen gemacht und im aktuellen Kontext wird sie ihr auch zugeschrieben und wenn diese Organisation als terroristische Vereinigung verboten wurde, gilt dieses auch für ihre Symbole und Parolen.

    Zudem wird auf Demonstrationen auch keiner dazu gezwungen diese Parole in Gänze zu verwenden und wer sich nicht auf "Palaestine will be free" beschränken möchte, sondern auch den ersten Teil mit einbezieht, der dürfte auch eine eindeutige Absicht verfolgen und die ist hierzulande nunmal nicht erwünscht.

  • Auch Rechtsanwälte haben eine politische Meinung und diese vertreten sie wie jeder andere politische Mensch. Allerdings sind 50 Anwälte nicht eine beeindruckende Zahl.

  • Gut, sehr gut. Der Text ist kein Grund jemand dafür zu bestrafen. Die Freisprüche am laufendem Band bestätigen das.

  • Warum kann man denn eigentlich nicht einfach auf die Parole verzichten?

    • @Suryo:

      Ist sie rechtfertigungsbedürftig?

    • @Suryo:

      berechtigte frage. aber eigentlich ein anderes thema, oder?

  • Also wie immer, die Linken wollen ungestraft den Genozid an Juden fordern.

    Linke werden sich nie schämen, dass sie Judenmord legitimieren. Das haben sie in der DDR auch schon nicht und haben die PLO unterstützt.

    Wie viele dieser Anwälte sind Muslime und Faschisten? Linker Faschismus richtet sich übrigens such gegen Juden.

    In DDR waren die Nazis auch immer die anderen und nie msn selbst, obwohl man Judenmördern geholfen hat. Die PLO und die heutige Hamas sind auch nur Neu Nazis, die in ihrer Charts die Tötung aller Juden und nicht Muslime inne trägt. Linke lieben ja solche Islamisten.

    Im Endeffekt gibt es für mich nicht so viel Unterschied zwischen Links- und Rechtsextremismus. Die meisten hier würden jetzt innerlich platzen, weil sie innerlich wissen, dass ich recht habe.

    Sogar betroffene Muslime sind toleranter als Linke Judenhetzter. Alles selbst erlebt seit meiner Kindheit hier im Land. Das Land hat Probleme mit Faschismus.

    • @Alexander Martynenko:

      Ein wenig harsch formuliert, aber ich kann Ihnen nicht widersprechen. Als Arbeiterkind habe ich seit meiner Ankunft in Deutschland lange mit der Linken und vor allem mit den Grünen sympathisiert, besonders bei Themen wie Umwelt und soziale Gerechtigkeit. In wirtschafts- und umweltpolitischen Fragen finde ich dort auch heute noch häufig sinnvolle Ansätze.

      Doch der mittlerweile offen zur Schau gestellte Antisemitismus und die teils verharmlosende oder sogar sympathisierende Haltung gegenüber islamistischen Gruppen sind schlicht beängstigend. Das hat für mich mit progressiver Politik nichts mehr zu tun. Macht uwählbar.

      Was besonders irritiert, ist die Doppelmoral: Israel wird bei jeder militärischen Reaktion sofort verurteilt, während es bei einem Assad, der hunderttausende Menschen ermorden ließ , kaum öffentlich wahrnehmbare Empörung gab. Und wenn Russland einen Angriffskrieg führt, wird differenziert, diskutiert und auf Verständnis für geopolitische Zusammenhänge gepocht bei Israel hingegen ist für viele sofort alles klar: der Schuldige steht fest. Das ist für mich keine Haltung der Gerechtigkeit, sondern der Heuchelei.

    • @Alexander Martynenko:

      Und in Berlin-Neukölln lädt die dortige Linke ganz offen und ohne Berührungsängste bekennende Hamas-Unterstützer ein. Der linke Antisemitismus und die gesuchte Nähe zu Islamisten sind reale Gefahren. Allerdings verstehe ich das nicht. Linkes Gedankengut und das der Islamisten haben doch eigentlich kaum wirkliche Überschneidungen.

    • @Alexander Martynenko:

      Ein wirklich sehr reflektierter erster Beitrag im taz-Forum. Glückwunsch, da hat sich das Anmelden echt gelohnt.

    • @Alexander Martynenko:

      und die aufrechten, anständigen, deutschlandliebenden Rechnten möchten die Leugnung der Shoa, Auschwitztattoos und SS Runen entkriminalisieren.

      Jaja, Huseisen, blabla. Sowas wie "Queers for Palestine" ist nicht links oder rechts, sondern einfach unfassbar dumm.

      Linke wollen (auf möglicherweise inakzepteblen Wegen, keine Frage) eine Welt, in der niemand niemanden beherrscht. Rechte wollen herrschen.

      Meinungsfreiheit heisst, dass ich auch exotische Meinungen zum Besten geben darf. Ein Staat, der einzelne Buchstaben, wirre Ideen zur Historie oder eben (aus dem Zusammenhang gerissene) Sätze unter Strafe stellt - und das auch noch relativ willkürlich (den Genozid an den Herero z. B. hat selbiger Staat bis vor ein paar Jahren sogar ganz offiziell geleugnet und du darfst das bis heute) - hat so oder so ein seltsames Verständnis von Meinungsfreiheit. Ganz egal, ob du die Meinung eines anständigen Doitschen oder Linksgrünversifften teilst.

      Und, um dich noch etwas zu verwirren, ich als Linker bin zwar der Meinung, das (militärische) Gewalt ein no go ist, aber die Hamas und ihre Unterstützer in Gaza wussten genau, wie Israel reagieren wird. Selbstgewähltes Schicksal, deal with it.

    • @Alexander Martynenko:

      Trotzdem gibt es große Unterschiede zwischen Linksextremen und Rechtsextremen. Dass Hass auf Juden bei beiden existiert, negiert die Unterschiede nicht, sondern schafft eine sehr gefährliche Andockstelle trotz massiver Differenzen.

    • @Alexander Martynenko:

      Es gibt viele Linke, die sich für andere Linke schämen, die Leute verteidigen, die die Vernichtung Israels fordern. Hass auf Juden ist leider auch bei Linken verbreitet. Das ist eine Kontinuität aus der RAF -- auch wenn viele andere Kontinuitäten gebrochen werden konnten (⇒ Verzicht auf Gewalt gegen Personen).

    • @Alexander Martynenko:

      Zustimmung 100 Prozent.

      Gut analysiert bei der Bundeszentrale für Politische Bildung:

      „Islam-Linke“ – analytische Kategorie oder politisches Schlagwort?"

      www.bpb.de/themen/...isches-schlagwort/

  • Den Gerichten sollte man eine Übersetzung des Grundsatzprogrammes von Likud vorlegen. Darin findet sich inhaltlich das Gleiche wie in dem Liedtext. Vermutlich auch bei den anderen rechten Parteien in Israel. Ein einheitlicher Standard wäre für die Glaubwürdigkeit sicher hilfreich.

    • @Thomas Müller:

      Hier demonstriert aber keiner für den Likkud.

      Die Staatsräson ist Solidarität mit Israel, nicht Solidarität mit dem Likkud.

      Da ist schon ein einheitlicher Standard.

  • Strafbarkeit ist sicherlich das eine, dass der jüdische Staat damit aber in jedem Fall negiert wird, das andere. Definitiv also nicht verteidigungswürdig

  • Das Problem ist ja nicht die Parole, sondern Personen wie Frau Acar mit ihrem rabiaten aggresiven Auftritten. Die "Demonstranten" mit dem Aggressionsproblem suchen sich dann andere Parolen um so dir Grenzen des Sagbaren wie die Faschisten weiter zu verschieben. Der Pflock sollte genau dort eingeschlagen bleiben und im Einzelfall gerichtlich geprüft werden.



    Was sagen eigentlich die Anwält*innen zum Auftreten der "Demonstranten", die Menschen mit anderer Meinung und einer Religion die ihnen nicht passt, bedrohen und verprügeln? Das ist auf dem Niveau gewalttätiger Nazis und gehört ebenso bekämpft.

    • @Axel Schäfer:

      Aggressives Auftreten ist vom Versammlungsrecht gedeckt.

      • @Francesco:

        Nur in gewissen Grenzen. Wenn aggressives Auftreten in Bedrohung oder Einschüchterung mündet, ist es nicht mehr von der Meinungsfreiheit gedeckt, weil es dann die Meinungsfreiheit anderer beeinträchtigt.

      • @Francesco:

        Körperliche Angriffe und Besetzung von Räumlichkeiten von Universitäten sind kaum vom Versammlungsrecht gedeckt, da geht es um friedliche Versammlungen im öffentlichen Raum.

      • @Francesco:

        Stimmt Pegida ist ja auch gerechtfertigt…

  • "From the river to the sea" - die Parole hat die Hamas zumindest nicht exklusiv. Sinngemäß ist sie auch das Motto der israelischen Riegierung und der Siedler im Westjordanland. Immerhin dem Internationalen Gerichtshof scheint das aufgefallen zu sein.

    • @Wondraschek:

      Und? Marschieren Zionisten mit vor Wut verzerrten Gesichtern durch Berlin, brüllen diese Parole und rasten aus, wenn sie am Straßenrand jemanden mit Palituch sehen?

      Kontext.