Neue WDR-Moderatorin: Debatte um „Quarks“-Frau
Nemi El-Hassan distanziert sich von der Teilnahme an einer antisemitischen Demo im Jahr 2014. Moderatorin bei „Quarks“ wird sie dennoch vorerst nicht.
El-Hassan wird in den sozialen Netzwerken und unter anderem in den Zeitungen des Springer-Verlags Extremismus und Antisemitismus vorgeworfen, weil sie 2014 am Al-Quds-Marsch in Berlin teilnahm. El-Hassan bezeichnet dies in einem Statement vom Montag als „Fehler“. Bei der Demo sei sie 19 gewesen.
„Ich distanziere mich daher klar und ausdrücklich von den Al-Quds-Demos, sowie weiteren Demonstrationen in einem ähnlichen Kontext“, schrieb El-Hassan am Montagabend auf Instagram. Sie habe damals Solidarität mit Palästinenser*innen ausdrücken wollen. „Die Mittel, die ich für dieses Anliegen gewählt habe, waren die falschen, das sage ich heute mit Nachdruck.“ Sie verurteile jegliche antisemitischen Äußerungen und Aktionen, sämtliche Arten von Gewalt und „insbesondere die Gewalt, die auf diesen Demos stattgefunden hat“.
Nemi El-Hassan ist Journalistin, Poetryslammerin und Medizinerin. Im Videoformat „Datteltäter“ des öffentlich-rechtlichen Webkanals „funk“ behandelt sie satirisch Rassismus. Zuletzt befragte sie AfD-Spitzenkandidat Tino Chrupalla im Interviewformat „kreuzverhör“ (ebenfalls „funk“). Früher trat El-Hassan in Videos stets mit der islamischen Kopfbedeckung Hidschab auf, inzwischen trägt sie diese nicht mehr.
Vergangene Woche wurde bekannt, dass El-Hassan die Moderation der Wissenschaftssendung „Quarks“ übernimmt. „Quarks“ wird vom Westdeutschen Rundfunk (WDR) produziert und läuft Samstagvormittag im Ersten. El-Hassan soll zusammen mit der Medizinerin Florence Randrianarisoa die Nachfolge der Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim antreten. Nguyen-Kim wechselt zum ZDF.
2020 und 2021 wurde die Demo untersagt
Der WDR hatte am Montag zunächst erklärt: „Wir sind mit Nemi El-Hassan weiter im Austausch. Bitte haben Sie Verständnis, dass wir uns zu weiteren Fragen erst äußern, wenn diese Gespräche abgeschlossen sind.“ Die Gespräche haben offenbar am Dienstagnachmittag stattgefunden, bis auf Weiteres wird El-Hassan „Quarks“ nicht moderieren. Der Sender schreibt jedoch, Nemi El-Hassan habe „versichert, ihre Teilnahme an den in Frage stehenden Demonstrationen in der Vergangenheit zu bereuen und sich davon komplett abgewendet zu haben.“ Wenn es zu einer abschließenden Entscheidung kommt, ob El-Hassan die Sendung moderieren wird, sagte der WDR nicht.
Seit Montag kursiert vermehrt ein Foto von El-Hassan auf dem Al-Quds-Marsch im Jahr 2014. Diese Demonstration fand bis 2019 jährlich in Berlin statt. Unter anderem traten dort regelmäßig Anhänger*innen der radikalislamischen und israelfeindlichen Bewegung und Miliz Hisbollah auf. Diese ist seit 2020 in Deutschland verboten. In den Jahren 2020 und 2021 wurde die Demo jeweils untersagt.
Die „Quds-Arbeitsgemeinschaft“, die sie für gewöhnlich angemeldet hatte, wird wegen ihrer mutmaßlichen Nähe zur Hisbollah vom Verfassungsschutz beobachtet. 2014, als El-Hassan an der Demo teilnahm, gab es zeitgleich kriegerische Auseinandersetzungen im Gaza-Streifen. Bild griff das Thema am Montag als „Islamismus-Skandal beim WDR“ auf. Die Schwesterzeitung Welt wirft dem WDR vor, er hole „extreme Milieus“ ins Fernsehen.
Auch extrem rechte Medien griffen den Fall auf. Antimuslimischer Rassismus motivierte einige Nutzer*innen, sich zu äußern, ebenso wie populistische Vorbehalte gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Querdenker-Abneigung gegen die Wissenschaftssendung „Quarks“ und gegen El-Hassans Vorgängerin Nguyen-Kim.
„Erst später damit befasst“
Eine Anfrage der taz an El-Hassans Agentur blieb am Dienstag unbeantwortet. Auf Instagram schreibt El-Hassan über den Al-Quds-Tag 2014 weiter: „Keinesfalls habe ich während der Demo antisemitische Parolen von mir gegeben.“ Dass dort Menschen jüdischen Glaubens körperlich attackiert wurden, habe sie erst im Nachhinein erfahren. Mit den Hintergründen der Demo habe sie sich „leider“ erst später befasst. „Mir ist es wichtig, mich gegen jeden Hass und Gewalt jeglicher Art zu positionieren.“
Die Springer-Zeitungen bezogen sich zudem auf einen Videobeitrag der Bundeszentrale für politische Bildung von 2015, der derzeit ebenfalls kursiert, in dem El-Hassan eine friedliche Auslegung des Wortes „Dschihad“ vorträgt. Diese Auslegung von „Dschihad“ als persönliche Selbstverwirklichung von Muslim*innen anstatt als „Heiliger Krieg“ existiert. Sie kann schwerlich als Relativierung bezeichnet werden, vor allem, da El-Hassan in dem Video erkennbar für diese Auslegung wirbt und keineswegs behauptet, sie sei die einzige.
Verschiedene Nutzer*innen teilten zudem einen Screenshot, laut dem El-Hassan auf Twitter ein Like unter einem Tweet von 2014 gesetzt haben soll, wo Palästinenser als „indirekte Opfer des Holocaust“ bezeichnet werden. Ob der Screenshot echt ist, konnte die taz nicht ermitteln. El-Hassan schreibt dazu auf Instagram: „Es gibt keinen (!) Holocaust gegen Palästinenser und Palästinenserinnen.“ Den Begriff „Holocaust“ auf etwas anderes als die politische und industrielle Auslöschung jüdischen Lebens in Europa anzuwenden, gilt als antisemitisch, weil es deren Einzigartigkeit infrage stellt.
Transparenzhinweis: Von Februar bis Oktober 2016 schrieb Nemi El-Hassan eine regelmäßige Kolumne für die taz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Pro und Contra
US-Präsident Biden hat seinen Sohn begnadigt – richtig so?
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld