Moderator Markus Lanz : Er will’s wirklich wissen
Markus Lanz gilt als schleimig und neoliberal, für manche gar als Hassfigur. Andere finden, er macht den besten Polit-Talk des Landes. Was stimmt?
A ls Boris Palmer zum ersten Mal bei Markus Lanz war, twitterte eine Bundestagsabgeordnete der Grünen: „Jetzt ist Palmer ganz unten angekommen.“ Ein reizendes Beispiel für gelebte grüne Affektkultur: Die ZDF-Gesprächssendung von Lanz definiert „ganz unten“, wo der Tübinger Parteikollege hingehört. Klatsch, klatsch. Zwei Schmeißfliegen mit einer Klappe.
Bis vor Kurzem war es in den medienkritischen Milieus grundsätzlich üblich, Markus Lanz und seine gleichnamige Sendung entweder zu ignorieren oder blöd zu finden. Das musste nicht wirklich begründet werden, weil es sich ja von selbst zu verstehen schien. Schleimiger Unterhaltungsfuzzi. Kam der nicht vom „Privatfernsehen“? Hatte der nicht mal Sahra Wagenknecht fertig gemacht? War da nicht auch eine Connection mit Bild?
Leute, die sichergehen wollten, dass da keine gefährlichen Ambivalenzen aufkamen, sagten barsch: Sehr wahrscheinlich FDP, auf jeden Fall neoliberal. Er werde immer sofort fuchsig, wenn er „linkes Gedankengut vermutet (oder was er dafür hält)“, und geriere sich dann als „Scharfrichter“, schrieb die lanzophobe Frankfurter Rundschau.
Doch was, wenn wir etwas verpasst haben und Lanz mittlerweile „ganz oben“ definiert, was politische Gespräche im Fernsehen angeht, und das nicht erst seit den Corona-Erklärungswochen? Die These lautet: Lanz und seine Redaktion haben ein Format des Politikergesprächs entwickelt, das in Deutschland seinesgleichen sucht, weil es wirklich ein Gespräch ist und weil es politische Inhalte und biografischen Hintergrund nebeneinanderstellt, sodass Querverbindungen entstehen können. Oder ist das übertrieben? „Schauen Sie bitte mal“, wie Lanz zu sagen pflegt.
An einem Junitag stehen die Gäste der Sendung im Aufenthaltsraum der Produktionsräume, als der Moderator hemdsärmelig durch die Tür tritt, um ein bisschen Warm-up zu machen. Er erzählt dem Minister Hubertus Heil, dass er mal am neben ihm stehenden Sozialpsychologen Harald Welzer an der Alster vorbeigejoggt sei, ihn aber nicht angesprochen habe. Welzer fragt Heil, wofür eigentlich das Nummernschild der direkt unter dem Balkon parkenden Ministerlimousine stehe (PE). Worauf Heil sich für seinen Heimatort Peine rechtfertigen muss und dann zurückschlägt und sagt, Welzer selbst komme doch aus Hannover?
„Wo kommst du eigentlich her?“, sagt Lanz beiläufig zur ZDF-Kollegin Jana Pareigis, von der er weiß, dass sie das als schwarze Frau ständig gefragt wird.
„Aus Hamburg“, sagt sie.
Lanz lächelnd: „Ich weiß, aber aus welchem Stadtteil?“
So überwindet er auf spielerische Art den Alltagsrassismus, über den Pareigis in der Sendung sprechen wird und macht aus der gefürchteten Herkunftsfrage eine Fachsimpelei unter Hamburgern.
Markus Lanz ist ein sehr gut aussehender Mann mittleren Alters, Jahrgang 1969. Trotz graumelierter Haare hat er die Aura eines gerade Vierzigjährigen, vielleicht wegen seines Lächelns und weil er sehr schlank und drahtig wirkt. Seine Gesprächssendung läuft seit 2009 im Spätprogramm des ZDF. Zunächst zweimal, ab 2010 dreimal pro Woche.
Lanz fing als Nachfolger von Johannes B. Kerner an, kernerig, also so, wie man damals Unterhaltung für müde Zuschauer definierte: Promis stellten ihr neues Produkt vor oder ihr Privatleben aus, und der Moderator goss freundlichst Schleim oder Mitgefühl drüber. Das war in einer Zeit, als Harald Schmidt in den letzten Zügen lag und Netflix noch nicht da war.
Auffällig wurde Lanz erstmals, als er 2014 die Politikerin Sahra Wagenknecht wegen Positionen der Linkspartei zur EU („diktatorisch“, „militaristisch“) hart befragte und danach selbst richtig was draufkriegte. Unter anderem lief eine Petition, die seine Absetzung forderte. Empörungsauslösend war, dass er mit einem Stern-Journalisten zusammen auf sie losging. Zwei Männer gegen eine Frau, „das wirkt unhöflich“, sagt er heute. Er entschuldigte sich nach der Sendung bei Wagenknecht.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Aber dass die von ihm kritisierte Passage anschließend aus dem Positionspapier der Linkspartei flog, ist ihm schon auch wichtig zu erwähnen. „Meine Redaktion hat sich einiges anhören müssen“, sagt Lanz, „und ich auch.“ Er sei „der Mann, den das ZDF regelmäßig außerhalb des Kinderprogramms über Politik diskutieren“ lasse, schrieb der Medienkritiker Stefan Niggemeier zur Wagenknecht-Sendung, „ein Mann, der dann wütend wird, wenn sich jemand nicht zu ihm in den Sandkasten knien will, um auf seinem Niveau zu diskutieren“.
Lanz’ Biografie ist eine echte Aufstiegsgeschichte. Er stammt aus Italien, genauer gesagt, aus dem Südtiroler Dorf Geiselsberg im Pustertal, genauer gesagt, aus dem Weiler Gassl östlich von Geiselsberg. Er ist ein Bergbauernkind, eines von dreien, das mithilfe eines Stipendiums in einem Klostergymnasium Abitur machen konnte. Und nebenbei mit Akkordeonmusik etwas Geld verdiente. Lanz hält sich für geprägt von „Tiroler Melancholie“, die er zum einen auf eine historisch-politische „Zerrissenheit“ zwischen dem Italienischen und Deutschen zurückführt, zum anderen auf die Dunkelheit und Enge der Täler.
Als er nach Deutschland kam, war er anfangs eingeschüchtert vom riesigen Angebot im Tengelmann und vom Selbstbewusstsein der Deutschen, jedenfalls nahm er das so wahr. Mitte der Neunziger war er Volontär bei RTL und flog raus, weil er während der französischen Atombombentests im Mururoa-Atoll an einem Song beteiligt war, der in einer Radioshow lief und den verantwortlichen Präsidenten kritisierte („Fuck Chirac“).
„Ich habe nur die Musik komponiert und den Song produziert, weil ich den Synthesizer zu Hause hatte“, sagt er. Den Text schrieben zwei Kollegen. Aber, wie das so ist: Riesenärger, die beiden profilierten Kollegen blieben, der Südtiroler Volo flog raus. Beziehungsweise zeigte dann doch jemand Zivilcourage, und Lanz konnte bei RTL Nord sein Volontariat zu Ende machen. Als Reporter. „Deshalb mache ich so gern Reportagen.“ Er macht sie nicht nur gern. Er spricht auch gern darüber. Lanz-Liebhaber warten immer schon darauf, dass er in seiner Sendung von den Reportagereisen erzählt. Er tut es womöglich sogar öfter, als den Politikjournalisten Robin Alexander zu zitieren, einen seiner Stammgäste.
Markus Lanz
Lanz machte bei RTL Hochzeitsplanungs- und Wildlife-Überlebensshows und moderierte acht Jahre das Vorabendmagazin „Explosiv“. 2008 ging er zum ZDF, wo er zunächst die Vertretung des damals populären Johannes B. Kerner in dessen Talkshow übernahm; und ab 2009 dann dessen Format und Sendeplatz – und eine Kochshow gleich mit. Zwischendurch scheiterte er, wie es immer heißt, an der Moderation von „Wetten, dass..?“ (2012 bis 2014). Allerdings war die legendäre Samstagabendshow damals schon ein strunzlangweiliges Zombieformat, weil sich die Welt einfach verändert hatte.
Von Kerner erbte Lanz auch – und damit kommen wir zur Bild-Zeitung – dessen Produzenten Markus Heidemanns. Die Heidemanns-Brüder aus Witten sind eine Größe im Unterhaltungsmediengeschäft, entdeckt von Michael Spreng, dem früheren Chefredakteur der Bild am Sonntag. Der eine, Martin, war lange Unterhaltungschef bei Bild, bis der aktuelle Chefredakteur Julian Reichelt ihn nicht mehr brauchen konnte.
Der andere Heidemanns ist anderthalb Jahre jünger, heißt Markus, und zusammen bildeten die beiden Brüder eine bisweilen synergetische Achse. Falls es so war, dann ist es lange vorbei. Zum einen interessiert sich Reichelt offenbar nicht für Promis und das Material, das man mit ihnen – zusammen oder auf ihre Kosten – kneten kann. Zum anderen steht Lanz offenbar nicht auf Bild und damit umgekehrt.
Während Kerner zu seinen Wichtig-Zeiten zum Inventar derer gehörte, von denen Bild glauben machen wollte, dass sie die zentralen Figuren der Republik sind (Beckenbauer, Bohlen, Naddel, Friedrich Merz), kommt Lanz dort kaum vor und wenn, dann tendenziell nicht positiv.
Als sich abzeichnete, dass Lanz eine feste Größe beim ZDF werden würde, gründeten er und Markus Heidemanns als gleichberechtigte 50-Prozent-Partner die Mhoch2-TV-Produktionsgesellschaft. Zusammen mit einer Firma, die Heidemanns allein gehört, produziert diese „Markus Lanz“ und andere Fernsehformate mit und ohne Lanz. Hunderte im Jahr und sehr gern was mit Kochen. Die Firma residiert in Hamburg-Ottensen auf einem ehemaligen Fabrikgelände.
Es gibt zwei Studios, ein großes für das Gekoche und ein kleines für Lanz. Letzteres hat nur sieben Zuschauerreihen, die derzeit leer bleiben. Auch die Redakteure haben gerade erst wieder angefangen, die Sendung vor Ort zu verfolgen. Die Redaktion besteht aus etwa 15 Leuten, aus Kerner-Zeiten ist fast niemand mehr dabei. „Vom Wendler zu Schäuble ist ein weiter Weg“, sagt Lanz, und das meint so viel wie: vom Trashunterhalter zum Politikdurchdringer. Der Schlagersänger Wendler würde heute nicht mehr bei Lanz sitzen.
„Den Weg haben Markus Heidemanns und ich gemeinsam zurückgelegt.“ Heidemanns und er hätten „ein blindes, gemeinsames Verständnis von Dingen“. Heidemanns habe als Ruhrpottler „eine gewisse Leichtigkeit“. Und, wie er selbst auch, „ein Gespür, was Menschen auf der Straße denken und was ihnen wichtig ist“. Der Porsche, der direkt an der Eingangstür vom Studio geparkt ist, gehört Heidemanns. Und verheiratet ist der mit der Tänzerin und Model Stefanie Küster, die als „Estefania“ Anfang des Jahrtausends einige Jahre die Lebensgefährtin des Musikers Dieter Bohlen war.
Die naheliegende Frage lautet, ob Lanz die Sendung politisiert hat oder die Sendung Lanz. „Die Sendung mich“, sagt Lanz. Und nach einer für ihn ungewöhnlich langen Sprechpause: „Ich hatte immer das Gefühl, es muss doch möglich sein, ein anderes Politikgespräch zu führen.“
Das Gefühl hat er nicht allein. Fernseh- und Hörfunkjournalisten träumen davon, richtige Gespräche mit Politikern zu führen statt in 90 Sekunden drei lahme Fragen zu stellen, auf die sie die Antworten schon kennen. Lanz hat es geschafft. Er ist der Mann des „One-on-one“, wie dieses Format genannt wird. Ein Interviewer, ein Politiker und genügend Zeit.
Zumindest ist dieses Gespräch der Kern der Sendung, faktisch sitzen bei Lanz noch drei, vier andere herum, die auch was reinrufen können und sollen. Einer ist fast immer ein Hauptstadtjournalist und kommt meist von einem Medium, das man im alten Denken zum Gegenlager des Politikers rechnete.
Man kann die Funktion des Journalisten in der Lanzsendung entfernt mit der eines Hundes bei einer Treibjagd vergleichen. Er muss hecheln und kläffen, um den Politiker aufzuschrecken und in Richtung von Lanz’ Fangfrage zu treiben. Der Moderator sieht das selbstverständlich anders und sagt, die Journalisten seien für Berliner Insiderwissen zuständig. Tatsächlich enthüllte die FAZ-Journalistin Helene Bubrowski mal die Anzahl von Faxen, die der baden-württembergische Ministerpräsident schon in die Grünen-Zentrale gesendet habe, um sich für irgendetwas zu entschuldigen. So was kann kein normaler Mensch wissen.
Das Entscheidende sei, sagt ein regelmäßig eingeladener Politiker: Man habe bei Lanz 15, 20 oder sogar mehr Minuten Zeit, um Gedanken wirklich auszuformulieren und werde nicht ständig unterbrochen wie von den Talkmoderatorinnen Will und Illner, dürfe dafür aber auch nicht „rumschwadronieren“ oder „Erklärungen des Zentralkomitees“ der jeweiligen Partei herunterbeten. Da gehe er sofort dazwischen. Wenn Lanz es aber wirklich interessant finde, dann frage er genau zu dem nach, was man gerade gesagt habe. Eine Praxis, die offenbar unüblich in Talkshows ist.
Übersprungshandlung oder Ritual?
Jede Sendung beginnt mit dem Song „Nur ein Wort“ von Judith Holofernes’ Band Wir sind Helden. Darin heißt es: „Zu deinen Füßen red’ ich mich um Kopf und Kragen.“ Programmatisch? „Einfach nur ein guter Song.“ Danach greift Lanz als Erstes mit der Hand nach seiner Krawatte, als müsse er prüfen, ob noch alles da ist. Übersprungshandlung oder Ritual? „Ist mir noch nie aufgefallen“, sagt er.
Alte Parodien der Comedysendung „Switch“ zeigen die schönsten von Lanz’ Ritualen und Gewohnheiten, etwa den Zeigefinger an den Lippen, das leicht abgehackte Sprechen, die Sendung-mit-der-Maus-Fragen („Wann war Ihnen klar, dass …?“), und sie zeigen einen Lanz, der an Moderationskarten klebt, was längst überholt ist. Er liest die Dossiers seiner Redaktion, er memoriert, bis er alle Formulierungen kennt, mit denen der Gast sich Fragen zu entwinden pflegt.
Dann macht er beim Joggen einen Matchplan. Er schreibt die Vorstellungen der Gäste selbst, „um einen gewissen Grundton vorzugeben“. Die liest er von den Karten ab, doch dann legt er sie auf das Tischchen neben sich. Er greift allenfalls danach, wenn er ein Zitat korrekt vorlesen will.
In der Regel wechselt er zwischen dem zugewandten Ich-bin-dein-Freund-Blick, dem interessierten Rede-mal-weiter-Blick und dem Augenbrauen-involvierenden Komm-zur-Sache-Blick. Manchmal beugt er sich weit vor, der Körper gerät in Bewegung. Dann ist er mit sich unzufrieden, weil er nicht an den Politiker herankommt.
Ein Gespräch freihändig in der geplanten Orchestrierung auf den Punkt hinzuführen, auf den man hinaus will: Das bedarf hoher Professionalität, wie jeder weiß, der schon selbst als Moderationsdilettant agiert hat. Lanz sagt, hier zahle sich seine hohe Sendungsfrequenz aus.
Er macht 135 Sendungen im Jahr, viermal so viele wie etwa die Kollegin Will.
„Anne Will“ am Sonntagabend in der ARD ist gefühlt eine gehobenere Kategorie, und das Prestige einer Einladung ist höher als bei Lanz. Dennoch kann man bei Lanz mehr gewinnen. Die Chance für Politiker besteht durch die längere Strecke und persönliche Fragen darin, dass sie bei Lanz auch mal erzählen können, wie sie Kartoffelsuppe kochen, und so das grundsätzliche Gefühl erzeugen, sie seien eigentlich ganz okay – als Politiker und als Kartoffelsuppenkoch.
Allerdings kann man bei Lanz auch verlieren, weil das Prinzip dieses „One-on-one“ die Herstellung von Nähe ist, was eben auch die Herstellung von persönlicher Verletzbarkeit beinhaltet. Der Spindoktor eines Spitzenpolitikers sagt, die Lanz-Redaktion finde Dinge über seinen Mann heraus, die er selbst nicht wusste, aber er schickt ihn dennoch gerne hin, weil er sich dort entfalten könne und nicht wie ein Gladiator eingesetzt werde. Er schickt ihn, weil man es „bei Lanz leichter hat als bei den Frauen“, sagen die anderen.
Die politischen Talkshowformate im öffentlich-rechtlichen Fernsehen – Will, Plasberg, Maischberger in der ARD, Illner im ZDF – funktionieren eher wie eine Boulevardzeitung, spitzen ein komplexes Thema sehr verkürzt zu und hüpfen dann zwischen den Diskutanten hin und her. Der Politiker wird aus deren Sicht funktional und sachbezogen eingesetzt. Keine Gefühlsfragen. Kartoffelsuppen-Statements nur, wenn die Kartoffelsuppe in der nationalen Krise sein sollte. Es ist nicht die Idee, einen Politiker „kennenzulernen“. Aber es findet eben auch kein Gespräch statt.
Ab und zu macht Marietta Slomka ein richtig gutes und scharfes Gespräch über mehrere Minuten im „heute-journal“. Die besten und tiefsten Politiker-Interviews dürfte Armin Wolf in den österreichischen Tagesthemen namens ZIB führen, aber da ist für Deutsche das Problem, dass man die Interviewten nicht kennt.
Thomas Gottschalk über Lanz
Die Älteren seufzen an dieser Stelle, dass Günter Gaus große Politikgespräche im Fernsehen geführt habe, hinter Rauchschwaden, aber intellektuell glasklar. Aber der Begründer des modernen Politikergesprächs dürfte Friedrich Küppersbusch gewesen sein, der Mitte der 80er in seiner WDR- und irgendwann ARD-Sendung „Zak“ mit Politikern so redete, dass man am nächsten Tag in der Schule darüber diskutierte. Zak galt als superlinke Sendung, aber seine wirkliche Qualität bestand darin, dass der Moderator sehr gut vorbereitet, politisch streitbereit und unfassbar schlagfertig war.
Das ging in der ARD nicht lange gut. Anfang der Neunziger definierte Roger Willemsen in „Premiere“ das „One-on-one“ mit seiner Mischung aus Empathie, Intelligenz und Informiertheit. Anfang der nuller Jahre war es Sandra Maischberger bei n-tv, in einem Format, das Küppersbusch entwickelt hatte. Alles jenseits öffentlich-rechtlicher Politik und ihrer angeschlossenen Gremien.
Sein „Wetten, dass..?“-Vorgänger Thomas Gottschalk sagte mal zu Lanz: „Du hast einen gewissen Grundernst, der mir fehlt, du willst wirklich etwas von den Leuten wissen.“ Lanz sei ein guter Interviewer, sagt Küppersbusch, der heute Fernsehproduzent ist und seit vielen Jahren taz-Kolumnist. „Er kann good cop und bad cop in einer Person sein.“ Ein anderer Medienexperte formuliert es bildhafter. Lanz kündige seinen Gast „superschleimig“ an und werde dann „zum Mastino, der ihm ein Stück Fleisch aus der Wade beißen will“.
Tatsächlich hat er einen Biss, den man als Journalist selbst gern hätte. Dann wird es für den Politiker ernst, und er muss höllisch aufpassen, dass er nicht als Verlierer das Studio verlässt. Wer selbst Interviews führt, weiß, dass es nicht so einfach ist, mehr als dreimal nachzufragen, wenn nur Blabla kommt. Dann wird es frostig, aber dann wird es auch interessant, wie man bei Lanz, der zur Not sechsmal die gleiche Frage stellt, sieht. Wenn trotzdem nichts kommt, kann es rausgeschnitten werden, denn die Sendung wird aufgezeichnet. Aber manchmal kommt ja was.
Lanz schneidet Fluchtwege ab
Der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken etwa merkte man ihre Unerfahrenheit mit der kommunikativen Situation des Lanz-Verhörs an, sie wirkte weder charmant noch pointiert noch entschlossen, und am Ende sagte sie, sie könne „nicht beurteilen“, ob Vizekanzler Olaf Scholz „ein standhafter Sozialdemokrat“ sei. Die Frage kann man auch boulevardesk finden, aber in der Antwort schwingt die ganze Illusionstragödie der SPD-Basis mit.
Lanz kann Politikern mit einer Zwischenfrage den Fluchtweg abschneiden. So versuchte er dem Grünen-Bundesvorsitzenden Robert Habeck zu unterstellen, seine Partei sei im Abstieg begriffen. Als Habeck das argumentativ zu widerlegen trachtete, sagte Lanz einfach: „Aber die Leute haben das Gefühl!“ Das mag populistisch sein, aber es ist rhetorisch raffiniert, denn damit hatte er Habeck in der Zwickmühle, entweder klein beizugeben oder sich gegen das „Gefühl der Leute“ zu positionieren. Der Grüne tat Letzteres, aber richtig glücklich wirkte er nicht dabei.
FDP-Chef Christian Lindner wurde bei Lanz mal von Luisa Neubauer und dem Entertainer David Hasselhoff wegen seiner Twitter-Kritik am Klima-Engagement von Schülern richtig schön rundgemacht – unter Orchestrierung des Moderators.
Neubauer kritisierte Lindner inhaltlich, Hasselhoff lieferte die Empörung, und der FDP-Politiker war für einmal ungewöhnlich still. Ein Lanz-Fan dürfte Lindner heute genauso wenig sein wie Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), der mal bei der Verteidigung seiner Pkw-Maut immer tiefer ins Märchenerzählen abglitt. Die schönste Pointe dieser Geschichte: Als Lanz dem Minister „das Niveau albanischer Hütchenspieler“ attestierte, hetzte ihm die Bild-Zeitung in ihrem Kampf gegen rassistische Ressentiments den albanischen Ministerpräsidenten auf den Hals.
Wenn man viele Sendungen ernsthaft interessiert an- und auch mal weggeschaut hat, dann ist das Irritierende an Lanz, auf das man sich erst mal einlassen können muss: dass er wirklich politisch informiert und interessiert ist, aber weitgehend unideologisch. „Er fragt ohne eigene Agenda“, sagt der Schriftsteller Maxim Biller, der zu den Ersten gehörte, die ihn öffentlich gut fanden.
Mir selbst wurde das bei der Analyse früherer Reaktionen klar, die unterschiedlich ausfielen, je nach Gast. Bei einer mir unsympathischen linkskonservativen Politikerin war ich begeistert, wie scharf Lanz fragte, und dachte: Sooo muss man es machen. Bei einer mir sympathischen Klimapolitikaktivistin war ich empört, wie scharf Lanz fragte, und dachte: Sooo geht es ja gar nicht. Der Ideologe war also ich.
Was man als Argument gegen Lanz hört: Er „polarisiere“. Was ja in Deutschland nicht als Tugend gilt, sondern als Problem. Ihm fehle die „Wärme“, er wirke „unsympathisch“, weil er zwischen dem Superfreundlichen und dem Superscharfen hin- und herswitsche. Es ist aber durchaus angemessen, Menschen das Gefühl zu vermitteln, dass man sich über ihr Kommen freut – und sie dann trotzdem kritisch zu befragen.
Manche Gäste beschweren sich neuerdings auch, dass ihnen gesagt werde, sie sollten sich erst mal kritisch in das Hauptgespräch einbringen und könnten dann am Ende schön ihr neues Produkt bewerben. Aber dann komme es nicht mehr dazu. Was für einen Autor blöd ist, denn Lanz hat die Kraft, viele Tausend Bücher zu verkaufen. Weshalb der Gast trotzdem wiederkommt.
Durchgehend hohe Einschaltquoten
Die Gesamtkonstellation bei Lanz ist oder war zumindest bis Mitte März so, dass neben dem Politiker und dem zugeordneten Journalisten noch ein Schauspieler, Comedian oder unterhaltender Buchautor sitzen. Und am Ende kommt eine Ameisenbärforscherin oder jedenfalls was mit Tieren. Oder mit Nordpol. Der Mix funktioniert, die Einschaltquoten bleiben auch nach Mitternacht durchgehend hoch.
Nach über 1.000 Sendungen sehen heute dreimal die Woche regelmäßig um die 1,5 Millionen zu, auch wenn es erst um 23.30 Uhr losgeht. Zu Corona-Hochzeiten auch mal 2,5 Millionen. Das ist erstaunlich, weil man früher dachte, diese ZDF-Zuschauer seien halbsediert und ihnen sei nur ganz Leichtes zuzumuten. Nö. Offenbar hat Lanz seine Zuschauer so entwickelt, dass sie heute sogar dranbleiben, wenn 75 Minuten über Arbeitspolitik und Rassismus geredet wird.
Nach der Sendung redet Lanz weiter mit seinen Gästen. Will das Gespräch der Sendung vertiefen. Die politische Großlage besprechen. Oder etwas ganz anderes wissen. Wer zum ersten Mal da ist, den fotografiert er vielleicht sogar in seiner Umkleidekabine für eine SchwarzWeiß-Porträt-Galerie.
Lanz sagt, er wolle auch deshalb mehr vom Gast wissen, weil er ihn dann beim nächsten Mal besser oder in einem neuen Kontext einsetzen könne. Nach der Sendung im Juni rennt er einem bis fast zur Ausgangstür hinterher, wo der Fahrdienst wartet.
Der Fahrdienst für Lauterbach
In den ersten Wochen der Pandemie war alles anders. Der Fahrdienst war permanent zwischen Berlin und Hamburg unterwegs, um den Epidemiologen Karl Lauterbach hin- und herzutransportieren. Der Virologe war jetzt die zentrale Figur. Die verantwortlichen Politiker mussten sich – gern aus der Bayerischen Staatskanzlei zugeschaltet – dazu verhalten. Dafür keine Comedians, keine Ameisenbären.
Im Angesicht der allgemeinen Angst wurden alle politischen Talks zu im Ton heruntergedimmten Servicesendungen, die um einen Virologen kreisten. Weil aber Lanz und seine Redaktion dreimal die Woche sendeten, lieferten sie ganz nah an Politik und Wissenschaft das tägliche Update der Lage.
Wenn das jetzt alles ein bisschen sehr positiv klingt, dann ist der richtige Zeitpunkt, um die grundsätzliche Frage zu stellen, ob und inwiefern Lanz widerspiegelt, dass Politik die neue Unterhaltung geworden ist. Inwiefern der Politiker ein Unterhaltungskünstler ist, der seine zehn Minuten vor der Kamera genauso professionell und schmerzfrei absolviert wie Howard Carpendale seine bei Carmen Nebel. Ein Typ wie Ludwig Erhard (in den 60ern Bundeskanzler) könnte heute mangels Medienkompetenz nicht mal Kassenwart bei der FDP Wermelskirchen werden.
Was intensiv gespürt wird, was Emotionen bringt, am besten negative, ist der Stoff, aus dem wir alle, Qualitätsmedien wie soziale Netzwerke, ihre „Geschichten“ und Umsätze machen. Diese Emotionen sind heute weniger in der Kultur, der Musik, den Königs- und/oder Trashhäusern, sondern sie sind im Politischen, genauer im Vorpolitischen.
Die üblichen Promistorys sind öde, die alten Künstlerheldenfiguren des Widerständigen und der gesellschaftlichen Liberalisierung funktionieren nur noch begrenzt. Der Kultur fehlt der direkte Bezug zu der wirklichen Frage der Zeit: Ob und wie man nach dem Ende der unbeschwerten Jahre im Westen mit liberaler Demokratie den diversen globalen und individuellen Krisen beikommt.
Gremien voller Gremlins
Auf dieser – meist unausgesprochenen – Grundlage vollzieht sich eine Politisierung von neuen Teilen der Gesellschaft, aber halt nicht mehrheitlich im Sinne einer Sprecherin der Grünen Jugend, die denkt, alle werden durch Politisierung so wie sie. Und nicht auf einem Marktplatz, sondern zersplittert. Die Politisierung wird von sozialen Netzwerken, von Bild, von Lanz, von Fridays for Future auf jeweils andere Art und Weise aufgegriffen. Im schlechtesten Fall weicht sie den Problemen radikal aus und setzt konsequent auf Spaltung.
Der König dieser Form von Politik-Unterhaltung ist der Präsident der Vereinigten Staaten. Klassische Politikberichterstattung kommt ihm nicht bei. Empörung und Anklage seiner Wähler lässt sein Feuer nur noch heller lodern.
Alles passiert nebeneinander. Man kann mit Politikunterhaltung negative Gefühle potenzieren. Man kann mit klassischer Politikberichterstattung große Teile der Gesellschaft verfehlen und die großen Probleme auch. Man kann auf einer unterhaltend dafür sensibilisieren, wie sich Zeiten und Problemlagen ändern. Nach intensivem Studium muss man sagen: Der Zuschauer kann bei und mit Lanz im Idealfall seine eigene Politisierung vorantreiben.
Selbstverständlich sind nicht alle beim ZDF gleich begeistert über die Entwicklung. Lanz gehört nach wie vor zur „Unterhaltung“, die anderen heißen beim ZDF „Politik und Zeitgeschehen“ und sind der Chefredaktion unterstellt.
Was als doppelt gemein empfunden wird, weil Lanz ihnen Konkurrenz macht, ohne die berüchtigten öffentlich-rechtlichen „Gremien voller Gremlins“ im Nacken zu haben, deren „drittklassige“ Bedenkenträgerei Günther Jauch einst als Gesicht des politischen Talks in der ARD davonrennen ließ. Nein, sagt Lanz, bei ihnen rufe nie jemand an, um sich einzumischen.
„Ich habe einen Job zu machen, ja“
Wenn ihm etwas wichtig ist, redet Lanz abseits der Kamera ohne Punkt und Komma, wie man zu sagen pflegt. Etwa, dass er sich sehr wohl als „Vertreter einer Generation, die enorm von der Globalisierung profitiert“ sieht, aber seine Na-ja-so-ist-das-halt-Position komplett verloren hat, je tiefer seine Politisierung wurde. Dass er durch seine Fernsehreportagen die Welt größer sehen gelernt hat, als sie der in der Regel verengte bundesdeutsche Politikdiskurs zu sehen gewillt ist.
Und auch in ihrer Komplexität, etwa wenn er in einem Getto in Baltimore Schwarze trifft, die glühende Trump-Wähler sind oder feststellt, dass durch Trump die Waffenverkäufe in den USA im Vergleich zu Obama zurückgegangen sind. In der Sendung ist es sein Ziel, bestehende Narrative zu brechen und durch eine Geschichte zu ersetzen, die näher an der Wirklichkeit ist.
„Ich habe einen Job zu machen, ja“, sagt er an einem anderen Tag, „aber will nicht ideologisch sein, und vor allem habe ich keinen Bock, als alter zynischer Sack durch die Gegend zu laufen.“
Die Geschichte, die er über sich erzählt sehen will, ist die eines Mannes, der sehr hart dafür gearbeitet hat, um an einen Punkt zu gelangen, zu dem er sich nie bewusst auf den Weg gemacht hat. „Beruflich ist dies die beste Zeit meines Lebens“, sagt Markus Lanz.
Als führender politischer Interviewer dieses Landes wäre es auch schade, wenn es anders wäre.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid