Eine Frau trägt eine laue Fahne und Friedenstaube mit Logo der Linken

Am Tag nach Putins At­ta­cke:­ Mahn­wa­che der Linken gegen den Ukrainekrieg in Berlin Foto: Florian Boillot

Linkspartei in der Existenzkrise:Die Linke und Putins Krieg

Vielen in der Linkspartei galt Russland lange als Friedensmacht – trotz aller Widersprüche. Nun droht sie an der Frage zu zerbrechen.

30.3.2022, 19:03  Uhr

Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow schauen gequält. Es gibt schönere Termine, als am Tag nach einem heftigen Wahldebakel in Berlin vor die Bundespressekonferenz zu treten. Sie müssen an diesem Montag die 2,6-Prozent-Katastrophe an der Saar erklären. Und dazu: Wie hält es die Linkspartei mit dem Krieg Russlands in der Ukraine?

Es sei keine Frage, „dass es sich bei dem Krieg in der Ukraine um einen verbrecherischen Angriffskrieg handelt und dass die russischen Truppen dort sofort zurückgezogen werden müssen“, antwortet Wissler. „Das ist ganz klar die Position der Partei und die Position der Fraktion“, versichert sie und verweist auf entsprechende Erklärungen und Beschlüsse. „Wir haben uns sehr, sehr deutlich dazu geäußert, und das ist mir wichtig, das klarzustellen.“ Wenn es denn so einfach wäre.

Seit der Bundestagswahl Ende September, bei der die Linkspartei die Fünfprozenthürde nicht mehr überwinden konnte und nur dank dreier Direktmandate den Wiedereinzug in den Bundestag schaffte, sind Wissler und Hennig-Wellsow im Krisenmodus. Mit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine befinden sie sich im Ausnahmezustand. Jetzt geht es ums Eingemachte und damit ums Ganze.

Nach dem Saar-Desaster kommen in diesem Jahr noch die Wahlen in Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Viel spricht dafür, dass auch in diesen Bundesländern die Linkspartei zurückkehrt in jene überwunden geglaubten Zeiten, als die PDS im Westen Splitterpartei war. Gibt es überhaupt noch eine bundesweite Perspektive für die Linkspartei?

Bürgerhaus Wilhelmsburg am vergangenen Freitag, Landesparteitag der Hamburger Linkspartei. Auch hier ist der Ukrainekrieg, wie könnte es anders sein, das zentrale Thema der rund 100 Delegierten. Und schnell zeigt sich, dass es nicht so einfach ist.

Ja, es gibt etliche, die sich betroffen von der Invasion Russlands zeigen. „Aktuell gilt unsere ganze Solidarität den Menschen in der Ukraine, die um ihr Leben bangen“, sagt die Altonaerin Marlit Klaus. Dass Russland die Ukraine überfallen würde, das habe sie sich nicht vorstellen können. „Ich habe es nicht gedacht“, sagt Klaus mit bitterer und trauriger Stimme. „Ich habe mich geirrt.“ Gerald Kemski von der Landesarbeitsgemeinschaft Senor:in­nen­po­li­tik erinnert an den 96-jährigen Boris Romantschenko. „Er hat vier deutsche Konzentrationslager überlebt und ist jetzt durch eine russische Bombe getötet worden“, sagt Kemski mit tränenerstickter Stimme. Alleine das zeige, wie verlogen die Begründung Putins sei, die Ukraine „entnazifizieren“ zu wollen. Für dessen Vorgehen gebe es „keine Rechtfertigung und keine Entschuldigung“.

Klaus Ernst, Linken-MdB und Vorsitzender des Klima-Ausschusses

„Es hilft den Ukrainern nicht, wenn wir die Wirtschaft Deutschlands und Europas ruinieren“

Aber es gibt auch zahlreiche andere Stimmen. Sicher, auch sie sprechen von einem völkerrechtswidrigen Krieg. Aber das wirkt eher wie eine lästige Pflichtübung. Den weitaus größeren Teil ihrer Redezeit verwenden sie darauf zu sagen, was sie schon immer gesagt haben. Ein Beispiel ist Elias Gläsner von der Uni-Liste LINKS. Es sei doch „völlig klar“ gewesen, „dass es rote Linien gibt, die Putin in allen Verhandlungen auch genannt hat, die nicht zu überschreiten sind“, sagt er. Die Nato habe jedoch „einen Scheißdreck darauf gegeben“ und ihre Ostexpansion aggressiv weitergetrieben. „Jetzt so zu tun, als dürften wir nicht davon sprechen, welche Rolle die Nato in dieser Konflikteskalation hat, trägt überhaupt gar nichts dazu bei, real zu Frieden in dieser Region und in Europa zu kommen“, sagt Gläsner unter Beifall. Schließlich erinnert er noch an Karl Liebknechts Parole aus dem Jahr 1915: „Der Hauptfeind steht im eigenen Land!“ Das sei „unser internationalistischer Auftrag: Wir müssen gegen die Kriegstreiber hierzulande vorgehen“. Gläsner ist nicht der Einzige, der den armen Liebknecht an diesem Abend bemüht.

Täter- und Opferrollen fallen munter durcheinander

„Die Linke und die Friedensbewegung haben in der Geschichte immer recht gehabt“, sagt Jürgen Olschok aus Hamburg-Mitte. Schließlich habe man doch immer davor gewarnt, sich Russland nicht zum Feind zu machen. Doch das sei nicht ernst genommen worden. „Und wenn man sich dann jemanden so zum Feind macht, dass dann eine Reaktion irgendwann kommt, dann ist es so, dann kann man sich darüber hinterher nicht beschweren.“ Da fallen Täter- und Opferrollen munter durcheinander. So viel Verständnis für Putin findet man sonst nur noch in der AfD.

Für die Linkspartei geht es derzeit um alles. Immer dringender stellt sich die Frage nach ihrer Bedeutung: Wird sie eigentlich noch gebraucht, und wenn ja, wofür? Es geht um ihre Existenz. Die Frage nach Krieg und Frieden glaubte sie für sich längst beantwortet zu haben: Sie ist die konsequente Friedenspartei in Deutschland.

Dieses Selbstverständnis war ein zentrales Bindeglied, das die ansonsten so heftig zerstrittenen Flügel und Strömungen in der Linkspartei bislang zusammengehalten hat. Da konnten sie noch gemeinsam marschieren, selbst mit Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine, mit denen sonst in der Partei viele schon längst nicht mehr viel verbunden hat. Möglich war diese große Gemeinsamkeit, weil sie auf einer fatalen Fehlannahme beruhte. Denn über all die Jahre hinweg war es Konsens, von wem auf keinen Fall eine Kriegsgefahr ausgeht: von Russland.

Es ist erstaunlich, dass nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Teile der Linken sowohl in Ost als auch West ihr – schon zu Sowjetzeiten falsches – Bild Russlands als vermeintlicher Friedensmacht beibehalten haben. Und zwar nicht nur jene, die dem „realen Sozialismus“ nachtrauern wie beispielsweise die DKP, die Junge Welt oder der Deutsche Freidenker-Verband, die auch jetzt noch Wladimir Putin unverbrüchlich die Treue halten. Rational ist die allzu lange vorherrschende unkritische Einstellung zu einem rechten Autokraten wie Putin nur schwer erklärbar, der nicht erst seit gestern einer aggressiven, großrussisch-zaristischen Ideologie anhängt.

Janine Wissler spricht in ein Mikrofon

„Nein zum Völkerrechtsbruch durch Russland“: Linken-Chefin Janine Wissler Foto: Florian Boillot

Noch am 7. Februar gehörten zahlreiche führende Links­par­tei­le­r:in­nen von Wagenknecht bis Gregor Gysi zu den Erst­un­ter­zeich­ne­r:in­nen eines mittlerweile nur noch absurd wirkenden Aufrufs unter der Überschrift „Friedenspolitik statt Kriegshysterie“, in dem es wörtlich heißt: „Trotz der Militärmanöver in der Nähe zur Ukraine hat Russland kein Interesse an einem Krieg.“ Forderungen werden in dem Appell ausschließlich an die Nato gestellt, die „mit Kriegsrhetorik, Konfrontationspolitik und Sanktionen gegen Russland“ Schluss machen müsse. Dann begann am 24. Februar 2022 die Invasion. Die russischen Bomben zerstörten nicht nur alte Gewissheiten. Offenkundig ist nicht, wie die Linkspartei glaubte, allein die Nato das Problem. Während bei den einen der Schock tief sitzt, begannen die anderen, die neuen Realitäten in ihr altes Weltbild zu pressen.

Sichtbar wurde dieser Bruch Anfang März durch einen offenen Brief Gysis an sieben Abgeordnete, in dem er ihnen eine „völlige Emotionslosigkeit hinsichtlich des Angriffskrieges, der Toten, der Verletzten und dem Leid“ vorwarf. Sie seien nur daran interessiert, ihre „alte Ideologie in jeder Hinsicht zu retten“. Anlass für Gysis Empörung war eine Erklärung von Sahra Wagenknecht und ihren Bundestags-Fraktionskolleg:innen Sevim Dağdelen, Andrej Hunko und anderen, in der sie SPD, Union, Grünen und FDP vorwarfen, ein von ihnen gemeinsam beschlossener Bundestagsantrag zum Ukrainekrieg bedeute „die kritiklose Übernahme der vor allem von den USA in den letzten Jahren betriebenen Politik, die für die entstandene Situation maßgeblich Verantwortung trägt“.

Die Schockstarre hielt bei manchen nicht lange an

Unterschrieben hat diese Erklärung auch Klaus Ernst. Er ist Vorsitzender des Ausschusses für Klimaschutz und Energie und bekleidet den einzigen Ausschussvorsitz, den die Linksfraktion stellen darf – ein wichtiges und nach außen sichtbares Amt. Ernst steht zu der Erklärung: Der Westen trage eine Mitverantwortung, Sanktionen und Waffenlieferungen seien keine Lösung. „Sanktionen bringen nichts und helfen auch der Ukraine nicht“, sagt Ernst der taz. Die russischen Panzer würden ja trotzdem rollen, Putins Kriegskasse sei gut gefüllt. Auf den Einwand, die ukrainische Regierung würde ja deshalb auf noch härtere Sanktionen drängen und Deutschland zum Verzicht auf Gas, Öl und Kohle aus Russland auffordern, entgegnet er: „Es hilft den Ukrainern nicht, wenn wir die Wirtschaft Deutschlands und Europas ruinieren und Leute in die Arbeitslosigkeit treiben.“

Simone Barrientos, Ex-Linken MdB

„Die außenpolitischen Dogmatiker konnten in der Fraktion machen, was sie wollten“

Ernst meint, man müsse gemäß der eigenen Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen abwägen, welche Hilfe man der Ukraine zuteil werden lasse. Welche Hilfsmaßnahmen er dann konkret fordere? „Notwendig sind umfangreiche europäische Hilfen für Flüchtende und eine funktionierende eigene Volkswirtschaft, die die Ukraine beim Wiederaufbau des Landes unterstützen kann“, antwortet Ernst.

Flüchtende versorgen und nach dem Krieg das Land mitaufbauen – für die kämpfenden Ukrainer, die gerade versuchen Putins Truppen daran zu hindern, es komplett zu zerbomben und besetzen, müssen solche Hilfsangebote wie Hohn klingen. Ernst liegt damit aber auf einer Linie mit seinen Fraktionskolleginnen Wagenknecht und Dağdelen, deren unablässige Wortmeldungen in ihrer Konsequenz stets wie Kapitulationsaufforderungen klingen.

Die Schockstarre, die nach der russischen Invasion zunächst in der Linkspartei herrschte und die die Fraktionsvorsitzende Amira Mohamed Ali im Bundestag zu dem Eingeständnis brachte, man habe das Verhalten Russlands falsch eingeschätzt, hielt bei manchen nicht lange an. Stattdessen rüstet man sich zur Verteidigung der eigenen Glaubenssätze.

Ernst findet: „Die Linke hat nur dann eine Chance, wenn sie auf ihrem friedenspolitischen Kurs bleibt. Sonst geht sie unter.“ Er hört sich an wie der Kapitän der „Titanic“. Ohne jegliche Kurskorrektur weiter unbeirrt auf den Eisberg zu? Es ist der Sound Oskar Lafontaines, der Mitte März in seiner Austrittserklärung – kurz vor der Wahl im Saarland – schrieb, nach dem sozialen Profil sollten „jetzt auch noch die friedenspolitischen Grundsätze der Linken abgeräumt werden“.

In dieses Horn bläst auch Sevim Dağdelen, Wagenknecht-Vertraute und Abgeordnete aus Bochum. „Die Axt an die Friedenspolitik der Linken zu legen, ist der Weg in den Abgrund, kein Aufbruch“, hat sie nach der Saarland-Wahl auf Facebook verkündet. „Wer mit Blick auf den Erfurter Parteitag im Sommer meint, jetzt alle Kraft in das Schleifen außen- und friedenspolitischer Maximen stecken zu müssen, unter dem Vorwand ‚Antworten für diese Zeit‘ geben zu wollen, und dafür verdiente Genossen wie Hans Modrow politisch kaltstellt, gibt auch bereits die Wahlen in NRW, Schleswig-Holstein und Niedersachsen für DIE LINKE verloren“, schrieb sie.

Keine Nerven mehr

Was Dağdelen, die Obfrau der Linksfraktion im Auswärtigen Ausschuss ist, unerwähnt ließ: Warum der Parteivorstand am vergangenen Samstag beschlossen hat, den Ältestenrat der Linkspartei neu zu besetzen, also Modrow als Vorsitzenden dieses Be­ra­te­r:in­nen­gre­mi­ums abzulösen. Der 94-jährige frühere DDR-Ministerpräsident Modrow hatte eine von ihm selbst verfasste und mit den anderen nicht abgestimmte „Mitteilung über die Beratung des Ältestenrates“ verschickt, in der zu lesen war: „Die Frage, wie weit der Krieg in der Ukraine nun ein Einmarsch russischer Truppen ist oder sich als ein innerer Bürgerkrieg der Kräfte in den neuen Ost-Staaten und faschistischen Elementen im Westen der Ukraine darstellt, steht im Raum.“

Simone Barrientos hat keine Nerven mehr, sich mit solchem Steinzeit-Antiimperialismus aus­ein­an­der­zusetzen. Bis zur Bundestagswahl war die 58-Jährige kulturpolitische Sprecherin der Linksfraktion. Inzwischen ist sie aus der Partei ausgetreten. Ihre Kritik: Dağdelen, Wagenknecht & Co bestimmten das Bild, obwohl die Basis manches anders sehe. „Die außenpolitischen Dogmatiker konnten in der Fraktion machen, was sie wollten“, sagt Barrientos. Was sie ebenfalls unmöglich findet: dass nach der Wahlniederlage im Herbst die Fraktionsspitze aus Dietmar Bartsch und Amira Mohammed Ali einfach weitermachte, als wäre nichts geschehen.

Am Ende trat die im sachsen-anhaltinischen Eisleben geborene Barrientos, in deren Stasiakte „Sympathisant Pazifismus“ vermerkt war, wegen zweier Erlebnissen aus: Auf Facebook diskutierte sie mit Linksparteimitgliedern, die der Ansicht waren, dass die Ukraine es nicht wert sei, dass ihr geholfen wird. Und bei einer Friedensdemo in Würzburg spuckten De­mons­tran­t:in­nen einem jungen Linksparteiaktivisten ins Gesicht. „So verhasst sind wir“, so Barrientos. Dass Dağdelen noch immer die Linksfraktion im Auswärtigen Ausschuss vertreten darf und die Linkspartei stählern von sich behauptet, sie sei „die einzige Antikriegspartei“, bringt sie in Rage. Sie könne sich „nicht mehr weiter schützend vor die Partei stellen“, schrieb Barrientos in ihrer Austrittserklärung.

Ist es nicht Gratismut, auszutreten, nachdem sie es wegen des bescheidenen Wahlergebnisses der Linkspartei nicht mehr in die Fraktion geschafft hatte? „Man kann mir keinen Opportunismus vorwerfen“, sagt Barrientos. Sie sei die erste Nachrückerin in Bayern, falls einer der vier Linkspartei-Abgeordneten das Handtuch werfe. Sie hat auch ihren Sitz im Kreistag in Würzburg zur Verfügung gestellt. Die Linkspartei habe, wenn sie so weitermache, keine Zukunft. Auf „Fundamentalopposition gegen SPD und Grüne zu setzen“, sei der falsche Weg.

Sevin Dagdelen spricht vor einem Plakat, für Russland ist zu lesen

Sevim Dağdelen warnt auf einer Demo vor „Nato-Aggressionspolitik“ – zwei Tage vor dem Krieg Foto: Florian Boillot

Aber reicht das?

Jules El-Khatib will im Mai in den Düsseldorfer Landtag einziehen. Der 30-jährige ist Landessprecher der Linkspartei in Nordrhein-Westfalen und Co-Spitzenkandidat für die Landtagswahl. Allerdings sind die Aussichten düster. In der jüngsten Umfrage rangierte die Linkspartei bei gerade mal 3 Prozent. Was sie jetzt brauche, sei Geschlossenheit, ist El-Khatib überzeugt. Deshalb hat er vor der Landtagswahl kein Interesse an einer Grundsatzdiskussion über die friedenspolitischen Positionen der Linkspartei. „Das ist gerade nicht der richtige Zeitpunkt für solche Debatten, zumal unsere Debattenkultur in der Vergangenheit nicht gerade ein Traum war“, sagt El-Khatib. Lieber spricht er von der großen Einigkeit in der Ablehnung des 100-Milliarden-Euro schweren „Sondervermögens“ für die Aufrüstung der Bundeswehr. Das ist tatsächlich noch etwas, auf das sich alle verständigen können.

Aber reicht das? Im Wahl-O-Mat enthält sich die Linke NRW bei der Frage nach Sanktionen gegen Russland. Es gab dazu keine Einigkeit. Einige befürworten die nun verhängten Sanktionen gegen die russische Wirtschaft, andere, wie El-Khatib, lehnen sie ab. „Die Sanktionen im Irak waren die härtesten, die es je gab, und sie haben eine Million Menschen das Leben gekostet“, begründet der gebürtige Kölner seine Ablehnung. Selbstverständlich lehnt er auch Waffenlieferungen an die Ukraine ab. „Ich habe selbst Familie im Libanon und in Palästina, ich habe Krieg erlebt: Waffen verbessern nichts.“

Nein, El-Khatib, der bei der Bewegungslinken aktiv und Mitglied im trotzkistischen Netzwerk marx21 ist, ist kein „Putinversteher“. Er gehöre „auch nicht zu jenen in der Partei, die finden, die Krim gehöre zu Russland“, sagt der studierte Soziologe. Er fordert, den Widerstand in Russland gegen den Krieg zu stärken und zum Beispiel allen Deserteuren der russischen Armee Asyl anzubieten. Biografisch kann El-Khatib seine pazifistischen Positionen durchaus überzeugend vertreten. Doch überzeugen sie auch potenzielle Wähler:innen?

Die Linkspartei droht zu einer Art PDS light zu werden – stark geschrumpft im Osten, bis auf die Stadtstaaten unbedeutend im Westen. Jetzt rächt sich, dass schon Katja Kipping und Bernd Riexinger, die Vor­gän­ge­r:in­nen von Wissler und Hennig-Wellsow, nicht den notwendigen, auch personellen Klärungsprozess innerhalb der Linkspartei gewagt haben. In allen zentralen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen der vergangenen Jahre hat sie es nicht mehr geschafft zu vermitteln, wofür sie eigentlich steht – egal ob es um Flucht und Migration, die Klimapolitik, Minderheitsschutzrechte, Corona oder nun den Ukrainekrieg geht. Angeführt von Sahra Wagenknecht gab und gibt es stets einen höchst öffentlichkeitswirksamen Flügel, der Parteibeschlüsse konterkariert und damit de facto belanglos gemacht hat.

Die alte und die neue Parteiführung haben es zugelassen, dass Kron­zeu­g:­in­nen aus den eigenen Reihen fälschlich, aber systematisch behauptet haben, die Linkspartei sei eine Ansammlung von „Lifestyle-Linken“, die sich nicht mehr für die „einfachen Leute“, für Ar­bei­te­r:in­nen und Rent­ner:in­nen, interessierten. Sie haben es zugelassen, dass Wagenknecht & Co demagogisch die soziale gegen die ökologische und die bürgerrechtliche Frage ausspielen. So verlor und verliert die Linkspartei nach allen Seiten. Und jetzt kommt auch noch die Friedensfrage dazu, auf die die alten Antworten nicht mehr gegeben werden können.

Da hilft auch nicht der Verweis Hennig-Wellsows am Montag in der Bundespressekonferenz, Wagenknecht sei ja nur ein „einfaches Mitglied der Bundestagsfraktion“, das nur für sich selbst spräche. Es sei nun mal so, dass innerhalb der Wählerschaft die einen sie mögen würden, die anderen nicht so, sagt Hennig-Wellsow. „Das werden wir nicht auflösen können.“ Aber es wäre ja schon mal ein Anfang, wenn Wagenknecht weniger in Talkshows eingeladen oder befragt würde. Als sei es die Aufgabe der Medien, die Feigheit einer Parteiführung auszubügeln. Die Parteispitze wird es „auflösen“ müssen. Oder die Partei wird untergehen.

Ihre Hoffnung setzen Wissler und Hennig-Wellsow auf den Bundesparteitag im Juni in Erfurt, der Hauptstadt des Bundeslandes, in dem die Linkspartei den Ministerpräsidenten stellt. Im Zentrum soll das Thema Krieg und Frieden stehen. Sie würden „keine relativierende Haltung“ zum Angriffskrieg Russlands „dulden oder zulassen“, verspricht Hennig-Wellsow, die lange Landesvorsitzende in Thüringen war. Es werde eine klare Positionierung geben. „Dann müssen diejenigen, die sich damit nicht abfinden können, entscheiden, ob das noch ihre Partei ist oder nicht.“

Um eine Grundsatzdiskussion über ihre Friedenspolitik wird die Linkspartei nicht herumkommen können. In der Vergangenheit mündete der Zoff auf Parteitagen allerdings stets in windigen Formelkompromissen. Und wenn gar nichts mehr ging, wurden halt irgendwelche Sätze aus dem Erfurter Grundsatzprogramm von 2011 recycelt. Das wird nach dem Überfall auf die Ukraine nicht mehr reichen. Die Welt hat sich verändert. Die Linkspartei muss es auch tun.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.