Greenpeace-Chef zum Krieg in der Ukraine: „Wir lehnen Waffen als Lösung ab“
Martin Kaiser erklärt das Dilemma der Friedensbewegung: Greenpeace ist gegen Krieg und Rüstung, aber auch für die Verteidigung der Ukraine.
taz: Herr Kaiser, Greenpeace ist von Pazifisten mitgegründet worden und kämpft außer für Umweltschutz auch für Frieden. Sie lehnen kriegerische Konflikte aller Art ab. Darf sich die ukrainische Armee mit Gewalt gegen den russischen Überfall wehren?
Martin Kaiser: Wir verurteilen den Überfall Russlands auf die Ukraine aufs Schärfste und fordern die russische Regierung auf, sich sofort zurückzuziehen. Grundsätzlich stehen wir für Konfliktlösungen ohne kriegerische Auseinandersetzung.
Sie haben meine Frage nicht beantwortet: Ist es okay, dass die Ukraine sich auch mit Gewalt wehrt?
Die Ausgangslage ist ja: Russland hat den Krieg begonnen. Dass sich die Ukraine wehrt, ist nach Artikel 51 der UN-Charta legitim, und dieses Recht finden wir auch richtig.
Warum schreiben Sie dann auf Ihrer Internetseite, dass sie jegliche Kriege ablehnen? Dieser Krieg wäre ja schnell vorbei, wenn die Ukrainer sich den Angreifern ergeben würden.
Die Geschichte hat gezeigt, dass kriegerische Auseinandersetzungen nie einen Konflikt besser gelöst haben als nichtkriegerische Mittel.
Würden Sie der Ukraine raten, sich zu ergeben, um Tote zu vermeiden?
Es liegt nicht an mir, der Ukraine einen Rat zu geben. Aber wir fordern von der Bundesregierung und den anderen europäischen Regierungen, zusätzlichen ökonomischen Druck auf die russische Regierung zu erzeugen durch ein möglichst baldiges Importverbot von Kohle, Öl und Gas. Es kann nicht sein, dass jetzt noch täglich bis zu 500 Millionen Euro in Europa alleine für Kohle, Öl und Gas gezahlt werden, die Geld für den Kriegstreiber Putin bedeuten.
Wenn Sie dafür Verständnis haben, dass sich die ukrainische Armee wehrt, muss Deutschland ihr dann auch mit militärischen Mitteln helfen?
Wir können es nachvollziehen, dass die Bundesregierung aus moralischen Gründen jetzt Waffen geliefert hat und liefert. Aber wir als Umwelt- und Friedensorganisation lehnen die Auseinandersetzung mit Waffen ab.
Ist das nicht ein Widerspruch?
Das ist ein vermeintlicher Widerspruch, aber Sie werden von mir nicht hören, dass wir grundsätzlich für Waffenlieferungen sind, um Konflikte zu lösen. Ich kann es nachvollziehen, dass die Bundesregierung das jetzt gemacht hat. Aber wir lehnen Waffen oder eine kriegerische Auseinandersetzung als Lösungsmittel für Konflikte ab. Daran hat sich grundsätzlich nichts geändert.
Sie haben Verständnis dafür, dass Deutschland der Ukraine Waffen liefert. Gleichzeitig sagen Sie, dass die Bundesregierung noch nicht alle zivilen Mittel ausgeschöpft hat. Wie passt das zusammen?
Die Isolation der russischen Regierung ist ja schon beispiellos. Das ist der richtige Weg. Aber es muss auch ein möglichst weit gehendes Embargo für den Import von Kohle, Öl und Gas aus Russland geben.
Auch diese Frage haben Sie nicht klar beantwortet. Wie ist es mit der hier: Was halten Sie von den Forderungen der Ukraine, dass die Nato-Staaten zumindest eine Flugverbotszone über dem Land durchsetzen, also russische Flugzeuge und Raketen abschießen?
Unsere Position ist es, Menschenleben zu schützen. Eine Ausweitung der kriegerischen Auseinandersetzungen muss daher unbedingt vermieden werden, da sie zu einem dritten Weltkrieg führen könnte.
Wie stehen Sie zu der Ankündigung von Bundeskanzler Olaf Scholz, die Bundeswehr für 100 Milliarden Euro aufzurüsten?
Diese 100 Milliarden als Zahl lehnen wir ab, da sie ohne Debatte im Bundestag zur strategischen Ausrichtung angekündigt wurde. Zudem ist nicht diskutiert, ob diese Höhe überhaupt notwendig ist. So viel Geld sollten wir nicht ohne genaue Analyse und Zielrichtung allein in die Bundeswehr stecken. Bisher wurden die Prioritäten falsch gesetzt: Die Bundeswehr war bislang sehr stark auf Auslandseinsätze ausgerichtet. Um Krisenprävention zu betreiben, müssen wir aber auch in anderen Bereichen investieren, zum Beispiel in Klimaschutz. Das bringt nicht nur Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern, sondern macht auch autark gegenüber Autokraten wie Putin. Die hohen Energiepreise sind eine riesige soziale Herausforderung. Wir müssen unsere Abhängigkeit von fossilen Energieträgern sehr schnell abbauen. Auch das kostet Geld.
Sind Sie jetzt dafür, die Bundeswehr aufzurüsten, oder nicht?
Es geht nicht um Aufrüstung, sondern um Ausstattung und eine strategische Ausrichtung der Bundeswehr. Seit 2014 wurde der Bundeswehretat bereits von 32 Milliarden auf 47 Milliarden Euro erhöht, Deutschland hat bereits den siebtgrößten Militäretat der Welt. Die Frage ist doch, warum es dennoch an allen Ecken zu mangeln scheint. Wir unterstützen eine auf Landesverteidigung ausgerichtete Bundeswehr mit einer angemessenen Ausrüstung. Wir sind aber dagegen, einen riesigen Betrag in den Raum zu stellen, der auch in so kurzer Zeit kaum abrufbar ist, und erst dann zu überlegen, wofür wir das Geld überhaupt brauchen. Wir müssen unbedingt eine neue Spirale der internationalen Aufrüstung verhindern.
Der 57-Jährige ist geschäftsführender Vorstand von Greenpeace Deutschland. Er ist Diplomforstingenieur und Diplomgeoökologe.
Sind die 100 Milliarden Euro nötig als Symbol, dass sich Deutschland gegen einen Angriff Putins auf Deutschland oder unsere Verbündeten wehren könnte und würde?
Ich kann nachvollziehen, dass Olaf Scholz das Signal setzt: Wir müssen die Ausrüstung der Bundeswehr angehen. Dafür hätte es die 100 Milliarden nicht gebraucht. Viel entscheidender waren die Ankündigung, russische Banken aus dem Swift-Überweisungssystem auszuschließen, und andere ökonomische Maßnahmen.
Putin hat ja im Ukrainekrieg kaum verhehlt mit Atombomben gedroht. Sind Sie immer noch gegen die US-Atomwaffen in Deutschland, die im Ernstfall auch von der Bundeswehr eingesetzt würden?
Ja.
Atomwaffen scheinen aber ein wirksames Mittel zu sein, um Putin vor Angriffen abzuschrecken.
Gerade die Drohungen vonseiten Putins zeigen, wie verheerend es ist, wenn Atomwaffen in die Hand solcher Machthaber kommen. Deswegen ist dringend nukleare Abrüstung notwendig – und keine Aufrüstung. Und deswegen lehnen wir auch weiterhin die nukleare Teilhabe Deutschlands ab.
Putin hat aber nun mal Atombomben, und wir können ihn nicht dazu zwingen, dass er abrüstet, oder?
Das ist in der derzeitigen Situation absolut richtig. Aber die Frage ist: Was passiert nach dem Krieg, wenn hoffentlich eine diplomatische Lösung gefunden ist? Dann besteht hoffentlich auch wieder eine Atmosphäre, in der über nukleare Abrüstung verhandelt wird. Der nun angekündigte Kauf des Kampfflugzeugs F35 als neues Atomwaffenträgersystem der Bundeswehr und damit die Fortschreibung der nuklearen Teilhabe Deutschlands auf Jahrzehnte sind daher falsch.
Bietet dieser Krieg eine Chance für den Umweltschutz?
Das ist mir zu zynisch. Wir sehen ja das Leid in der Ukraine, zum Beispiel die Fluchtbewegung, wo Familien zerrissen werden. Das ist wirklich fürchterlich. Der Krieg zeigt aber auch, dass wir in der Energiepolitik und anderen zentralen Versorgungsbereichen unabhängig sein müssen von Staaten, die sehr autokratisch regiert werden und die Zivilgesellschaft unterdrücken. In den letzten Jahren ist ein Mythos aufgebaut worden über Gas als Brücke zu Klimaneutralität. Der erweist sich jetzt allein aus klima-, aber auch aus sicherheitspolitischen Gründen als Irrtum. Und insofern macht es doppelt Sinn zu sagen: Wir machen uns unabhängig von den Importen fossiler Energieträger. Das erhöht die Unabhängigkeit von solchen Regierungen, und es ist gut für das Klima.
Herr Kaiser, haben Sie auch den Kriegsdienst damals verweigert?
Ja, ich habe den verweigert.
Würden Sie das heute auch noch tun?
Ich würde es heute auch noch tun. Meine Entscheidung fiel damals im Kalten Krieg, als es auch um den Nato-Doppelbeschluss ging. Da gab es schon diese Konfliktlage zwischen Ost und West. Das ist eine sehr persönliche Entscheidung, ob man den Einsatz von Waffen und Militär unterstützt. Das muss auch weiterhin so sein.
Ihre Antworten waren jetzt teilweise nicht so klar.
Das stimmt. Aber die aktuelle Situation ist nicht dazu gemacht, um in Schwarz-Weiß-Rastern eingeordnet zu werden. Sie ist komplex und muss entsprechend behandelt werden. Wir alle stehen vor großen Herausforderungen, und genau diesen müssen wir uns auch durch Reflexion stellen. Das tue ich.
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