Die taz, die Polizei und der Müll: Wir müssen reden
Warum die Polizei-Müll-Kolumne aus der taz mehr als grenzwertig ist und radikale Identitätspolitik in bleiernes Schweigen führt.
D ieser Text ist Auftakt einer innerredaktionellen Debatte über die Kolumne „All cops are berufsunfähig“ von Hengameh Yaghoobifarah. Es werden in den kommenden Tagen weitere, konträre Texte folgen, die das gesamte Spektrum der Diskussion abbilden.
In der taz ist in 40 Jahren viel Unfug geschrieben worden. Die RAF wurde mal gegen den „Bullenstaat“ verteidigt, Pädophile durften sich, als von der bürgerlichen Gesellschaft unterdrückte Gruppe, vor Jahrzehnten auf taz-Seiten austoben. Die taz war immer libertär und durchlässig für Strömungen und Ideen. Manche davon waren visionär, wie die radikale Ablehnung der Atomtechnik oder die von manchen Männern lange für lästig gehalten Frauenquote.
Die Grenzen des Erlaubten sind in der taz weiter gesteckt als in Medien, in denen Hierarchien Schräges und Sperriges filtern. Die Polizei-Müll-Kolumne von Hengameh Yaghoobifarah überschreitet indes eine Grenze, die wir achten sollten: die Herabwürdigung einer Gruppe von Menschen.
Der Text ist keine Satire. Damit macht man sich einen schlanken Fuß. Denn Satire darf ja irgendwie alles. Auch das stimmt nicht. In der taz ist die Liste der zu vermeidenden Worte und von satirischen Bemerkungen auszusparenden Gruppen im Laufe der Jahre länger geworden.
PolizistInnen werden in diesem Text als untauglich für jeden anderen Beruf beschrieben und landen am Ende als Abfall auf dem Müll: „Spontan fällt mir nur eine geeignete Option ein: die Mülldeponie, wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind. Unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten.“ Das mag, streng nach Definition, keine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit sein, riecht aber ähnlich übel.
Man identifiziert eine Gruppe, die in der eigenen Community als Feindbild tauglich erscheint, und bekübelt sie mit Herabwürdigungen, die ein kleines bisschen – zwinker, zwinker – lustig gemeint sind. Im Kern aber eben nicht.
Klicks auf Kosten der Aufklärung
Deshalb ist der Schluss kein dummer Ausrutscher, wie er TextproduzentInnen, die einen Ruf als originell und scharfzüngig zu verteidigen haben, halt mal passiert. Die Müll-Metaphorik ist die notwendige Klimax des Textes: unbrauchbar, Abfall. Und der Trigger-Punkt, mit dem die taz Klicks generiert. Nichts gegen Klicks, aber nicht auf Kosten der Aufklärung.
Gilt Abfall eigentlich auch für die 16 Prozent Frauen in der Polizei? Auch für das Drittel der neu eingestellten PolizistInnen in Berlin mit Migrationshintergrund? Oder nur für biodeutsche Männer?
Eine Gruppe wird beschimpft, ausgegrenzt, entwürdigt. Das erinnert an rechte Hate Speech. Und hat mit rhetorisch geschärfter Machtkritik nichts zu tun. Rechtsextreme Hassrede richtet sich zwar gegen Minderheiten, während hier eine Berufsgruppe attackiert wird, die eine Wahl getroffen hat. Aber Polizisten sind selbst schuld, ist gedankenarme Ablenkung.
Wie wäre es mit: Singles sind Müll? (Nehmen anderen die Wohnung weg.) Unterschichtsangehörige sind Müll? (Hätten sich mehr anstrengen sollen.) Oder: taz-KolumnenschreiberInnen sind Müll? Das verdeutlicht, wie absurd Kollektivbeschimpfungen sind. Die extreme Identitätspolitik mit ihrem Wir-Die-Raster ist ihren Feinden näher, als sie ahnt.
PolizistInnen repräsentieren den Staat: Also fight the power und so? Und verstehen nur weiße Männer das nicht, die unfähig sind, ihr Privileg zu begreifen, von der Polizei nicht rassistisch angegangen zu werden? Dieses Argument ist stets zu bedenken. Wahrscheinlich haben wir, weiße Männer, diesen Unterschied noch nicht ausreichend begriffen.
Ein fast unmöglicher Diskurs
Die Sprecherposition aber zu essentialisieren und zum entscheidenen Dreh-und Angelpunkt zu machen macht den Dialog fast unmöglich. Wird die Sprecherposition als finales Argument benutzt (Betroffenheit versus Nichtbetroffenheit), schrumpfen Argumente zur B-Note. Das ist die Persiflage jedes aufklärerischen Diskurses. Wenn nur Betroffene legitimiert sind zu reden, zerfällt die Öffentlichkeit. Der Austausch und Abgleich von Interessen und Symbolen mit allgemein anerkannten Regeln schützt die Gesellschaft vor der Barbarei, vor dem puren Recht des Stärkeren.
Die Hybris, diskursive Regeln ignorieren zu dürfen, gedeiht offenbar auf dem Humus des Bewusstseins, Betroffene zu repräsentieren, recht gut. Aber dieses Recht hat niemand in der taz. Kein Opferstatus rechtfertigt Kollektivherabwürdigungen. Polemik? Gerne. Menschenfeindliche Metaphorik? Nein. Es ist befremdlich, dass einige in der taz diese zivile Selbstverständlichkeit für eine Zumutung halten.
Und: Überprüfe dein Privileg? Darüber müssen wir reden. Aber das gilt für alle. Vor ein paar Tagen war die Straße vor der taz gesperrt. Ein junge Polizistin mit Migrationshintergrund regelte den Verkehr. Es war heiß und die bösen Blicke der AutofahrerInnen noch das Wenigste. BerufsanfängerInnen bei der Polizei bekommen in Berlin 2.000 Euro brutto im Monat, mit Schichtdienst. Aufstiegschancen übersichtlich.
Eine Geste sozialer Verachtung
Das linksalternative Bild, dass eine taz-Autor:in mit Migrationshintergrund, die „nach oben“ (Polizei) tritt, alles darf, weil sie angeblich aus einer Position der strukturellen Unterlegenheit schreibt, ist allzu gemütlich. Den Text durchzieht eine Geste sozialer Verachtung, die in der Müll-Metapher mündet. Die Polizisten, die unbrauchbar für alles sind – das ist der Blick von den Anhöhen diskursiver Bildungs- und Sprachmacht nach unten.
Das verweist auf einen blinden Fleck im Konzept des Kampfes gegen Diskriminierung nach Geschlecht, Ethnie und Klasse. Klasse ist dort zwar theoretisch mitgedacht. Praktisch aber spielt der 16-jährige Biodeutsche aus bildungsfernem Haushalt in einer Kleinstadt, für den ein Polizeijob ein Geschenk wäre, keine Rolle. Mit einer Biografie als schwuler, urbaner Migrant lässt sich auf den Aufmerksamkeitsmärkten mehr Kapital generieren als mit einem Dasein als Normalo in Eisenhüttenstadt.
Kein Missverständnis: Es geht um keinen neomarxistischen Aufguss von Haupt- und Nebenwiderspruch. Aber es ist auffällig, dass in den aktuellen identitätspolitischen Diskursen Klasse kaum eine Rolle spielt. Es gibt eine uneingestandene Nähe des Konzepts der Intersektionalität, der Mehrfachdiskriminierung mit individualistischen Mustern, die durchaus anschlussfähig an neoliberale Ideen sein können.
Wir brauchen eine Gesellschaft ohne Diskriminierung. Auf dem Weg dorthin benötigen wir ein paar diskursive Basisregeln. Sie schützen übrigens gerade Minderheiten. Halten wir uns dran.
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