Anti-Nato-Konferenz an der Humboldt-Uni: Sicherheitspolitik quergedacht
Welchen Anteil hat die Nato am russsichen Angriffskrieg? Keinen geringen, so Linken-Vertreter:innen bei einer Berliner Konferenz zum Militärbündnis.
Es geht um Fragen zu „Sicherheitsinteressen der Ukraine und Russlands“ sowie alternative Militärkonzepte wie eine „EU-Armee oder eine gemeinsame nicht-militärische Sicherheitsarchitektur unter Einbeziehung Russlands“. In ihrer Einladung schreiben die Initiator:innen, dass das Verteidigungsbündnis Nato „nicht kompromissbereit“ gewesen sei und seine „eigenen Sicherheitsinteressen auf Kosten anderer“ durchsetzen würde. Ferner würden sich Nato und EU immer enger verbünden und nach außen hin „noch aggressiver“ werden.
Unter den Sprecher:innen finden sich viele Mitglieder oder ehemalige Mitglieder der Linkspartei wieder. Neben Lafontaine auch der Wagenknecht-Getreue Diether Dehm, der unter anderem für seine Unterstützung des Verschwörungstheoretikers Ken Jebsen sowie Bezeichnung von Journalist:innen als „Schreibagenten“ bekannt ist. Vor dem Kongress hat der Bundesgeschäftsführer der Linken, Jörg Schindler, klar gestellt, dass die dort geäußerten Meinungen „ausdrücklich nicht Position unserer Partei“ seien.
Mit dabei sind jedoch auch namhafte Mitglieder der Linkspartei: Andrej Hunko, der sich an einem bundesweiten Protest gegen die Corona-Krisenpolitik der Regierung beteiligt hatte. Letzterer war zudem in Kritik geraten, als er mit Sahra Wagenknecht und Sevim Dağdelen, die ebenfalls eine Rede auf der Konferenz hält, Ende Februar eine gemeinsame Erklärung abgegeben hat. Darin erklären sie die Osterweiterung der Nato als zentralen Grund für das sich verschlechternde Verhältnis zwischen Russland und dem Westen.
AfD nicht eingeladen, weil sie der Aufrüstung zustimmte
Dass die Nato zentrale Ursache des russischen Angriffskrieges ist, ist auch der Tenor der Veranstaltung. Wenngleich die Initiator:innen erklären, dass der Krieg „völkerrechtswidrig“ und „nicht gerechtfertigt“ sei, solle es dennoch „Kompromisse ohne Gesichtsverlust für jede der beiden Seiten“ geben. Die Redner:innen sind sich einig, dass die Nato unbedingt abgeschafft werden müsste.
So brauche Europa durchaus eine Sicherheitsarchitektur, „aber nicht das, was sich Nato nennt“, betont Lafontaine. Laut dem Politiker ist die Nato eine „Militärmaschinerie der USA“, mit dem „kein friedliches Bündnis“ möglich ist. Lafontaine zufolge haben Europäer:innen „in der Nato nichts zu sagen“.
Dieter Dehm kritisiert die gegenwärtige Berichterstattung und spricht wiederholt von Medien, die Angst verbreiten würden. Er spricht von „Jagdfieber“ und von Medien, die von Geheimdiensten „infiltriert werden“. Lob hat er hingegen für das Onlinemagazin Nachdenkseiten übrig, welches seit Längerem Verschwörungstheorien zur Coronapandemie oder zur Krim verbreitet.
Im digitalen Chat stellt ein:e Nutzer:in mit dem Kürzel M.F. die Frage, weshalb niemand aus der AfD eingeladen wurde. Die Partei sei „zurzeit der verlässlichste Partner für eine Deeskalation und Verhandlungslösung“, und ein Dialog könne „niemals schaden“. Von einer Einladung dieser Partei sieht Reiner Braun, einer der Initiatoren und Redner der Veranstaltung, aber ab.
„Bei dieser Veranstaltung ging es noch einmal darum, möglichst umfassend aus verschiedenen Perspektiven das Nein zur Nato zu begründen“, erklärt er gegenüber der taz. Daher sei auch keine Gegenposition eingeladen worden. Die AfD hätten sie aber nicht eingeladen, da sie eine Kriegspartei sei, die allen Bundeswehraufrüstungen zugestimmt habe. Darum sei eine Zusammenarbeit mit ihr ausgeschlossen, auch „wenn sie aus taktischen Gründen mal eine andere Position“ einnehme.
„Ich bin nicht für und nicht gegen Putin“
Ob diese Ablehnung von allen Beteiligten geteilt wird, ist ungewiss. Nur wenige der Teilnehmer:innen halten sich an die Maskenpflicht, obwohl Schilder auf das Tragen des Mund-Nasen-Schutzes im Foyer hinweisen. Auf einem Schild im Foyer selbst wurde das Wort „Masken“ durchgestrichen und mit „Knechtschaft“ ersetzt. Während der Konferenz ist mehrfach von „Propaganda“ die Rede, Lafontaine spricht gar von einer „westliche(n) Propagandapresse“.
Von den Teilnehmer:innen möchte kaum eine:r mit der Presse sprechen – bis auf Tobias Baumann, ein junger Mann mit lackierten Fingernägeln. Er ist gekommen, um sich zu vernetzen und sich die Frage zu stellen, wie „Sicherheitsinteressen eines Landes so offensiv ignoriert werden“ konnten, und meint damit Russland.
„Ich bin nicht gegen und nicht für Putin“, erklärt Baumann. Aber mit der gegenwärtigen Berichterstattung, die „einseitig alles auf Russland“ schiebe, käme er nicht zurecht. Durch die NATO bestehe eine „fürchterliche, grausame Dritte-Weltkriegs-Dynamik“ und man dürfe das Verteidigungsbündnis „nicht unbedingt als das absolut Gute verherrlichen“.
Bei den vielen Redebeiträgen und Diskussionen kommt das Leid der Ukraine kaum vor. Der Theologe Eugen Drewermann spricht sogar davon, dass Geflüchtete aus der Ukraine „aus politischen Gründen hochwillkommen“ seien, da sie noch in 20 Jahren „Russland verfluchen und Putin hassen“ werden. Für die Beiträge bekommt Drewermann Applaus aus dem Publikum. Es ist eine Veranstaltung lauter Menschen, die sich gegenseitig in ihrem Weltbild selbst bestätigt sehen wollen.
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