Aktivisten verklagen Verfassungsschutz: Gefährliche Anrufe beim Arbeitgeber
Der bayerische Verfassungsschutz hat weitreichende Befugnisse zur Information privater Stellen. Dagegen klagen jetzt Klima-Aktivist:innen.
BERLIN taz | Fünf linksradikale Klimaaktivist:innen klagen beim Bundesverfassungsgericht dagegen, dass der bayerische Verfassungsschutz unter erleichterten Voraussetzungen Arbeitgeber, Vermieter und andere private Stellen informieren darf. Dies verletze ihr Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung.
Die fünf Personen aus München gehören unter anderem der Gruppe „Ende Gelände“ an, die vom Verfassungsschutz als linksextremistischer Verdachtsfall eingestuft wird. Sie halten diese Einstufung zwar für falsch, allerdings ermöglicht sie den Aktivist:innen, gegen eine Neuerung im bayerischen Verfassungsschutzgesetz zu klagen, da sie als vermeintliche Extremist:innen hiervon potenziell betroffen sind.
Seit August 2023 darf der bayerische Verfassungsschutz Informationen an private Stellen weitergeben, „wenn dies erforderlich ist zur Verhütung oder Beseitigung sonstiger erheblicher Nachteile für das Gemeinwohl oder zur Wahrung schutzwürdiger Interessen des Empfängers“.
Die Kläger:innen befürchten, dass der Verfassungsschutz zum Beispiel ihre Arbeitgeber über ihre vermeintlich verfassungsfeindlichen Aktivitäten informiert. Auch Vermieter, Veranstalter oder Banken könnten kontaktiert werden.
Der Verfassungsschutz kann den privaten Akteuren zwar keine Vorgaben machen, aber je nach persönlicher Einstellung könnten sie Arbeitsverhältnisse und Wohnungen kündigen, Aufträge stornieren und Hausverbote aussprechen. Dies könne bis zur Vernichtung beruflicher Existenzen reichen.
Hoffnung auf ein Grundsatzurteil
Die 69-seitige Verfassungsbeschwerde, die der taz vorliegt, wurde von der Gesellschaft für Freiheitssrechte (GFF) koordiniert und von Rechtsanwalt David Werdermann verfasst. Als praktisches Beispiel verweist Werdermann auf den Fall eines muslimischen Nachwuchswissenschaftlers, dessen Vertrag an einer sächsischen Universität nicht verlängert wurde. Zwei anschließende Anstellungen an privaten Forschungseinrichtungen wurden noch in der Probezeit gekündigt.
Jeweils hatte der sächsische Verfassungsschutz Kontakt aufgenommen und über vermeintlich islamistische Verwicklungen des Ingenieurs informiert. Der Mann wusste nichts von den Interventionen und erfuhr davon erst nach Recherchen seines Anwalts. Am Ende erhielt der Ingenieur eine Entschädigung von 145.000 Euro, berichtete 2020 der Spiegel.
Für ein solches Vorgehen des Verfassungsschutzes wurde in Bayern nun eine neue gesetzliche Grundlage geschaffen. Zwar durfte der Verfassungsschutz in Bayern auch früher schon private Stellen kontaktieren. 2023 wurden jedoch die Anforderungen abgesenkt. Dies ermöglichte die nun eingelegte Klage. Bisher hat das Bundesverfassungsgericht noch nicht über die Weitergabe von Verfassungsschutzinformationen an private Stellen entschieden. Anwalt Werdermann hofft auf ein Karlsruher Grundsatzurteil.
Keine Pflicht gibt, die Betroffenen zu informieren
Laut Klage soll die Information von Arbeitgebern und Vermietern nur möglich sein, wenn es zumindest eine „konkretisierte Gefahr für ein besonders gewichtiges Rechtsgut“ gibt. Eine solche Übermittlungsschwelle fehle jedoch im bayerischen Gesetz. Deshalb sei die bayerische Regelung unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig.
Außerdem beanstandet Anwalt Werdermann, dass es für den Verfassungsschutz keine Pflicht gibt, die Betroffenen zu informieren, wenn Arbeitgeber:innen und Vermieter:innen über ihre Aktivitäten und deren Einstufung durch den Verfassungsschutz informiert werden.
Zuständig ist in Karlsruhe der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts, der bereits im April 2022 eine umfassende Korrektur des bayerischen Verfassungsschutzrechts verlangt hatte.
Leser*innenkommentare
Aurego
Solange Grundprinzipien der informationellen Selbstbestimmung und des Datenschutzes nicht für Behörden, Polizei und Verfassungsschutz gelten, sind sie vollkommen wertlos.
Bolzkopf
Diese Gesetze in Bayern sind doch bestimmt ein Relikt aus der Hitlerzeit.
Anders ist das doch nicht zu erklären.
elektrozwerg
Sehr schoen. Endlich mal eine nicht kontraproduktive Aktion. Hoffentlich haben sie Erfolg.
tomás zerolo
Haarsträubend.
Ab wann unterscheiden wir uns nicht mehr von einem repressiven Regime à la DDR oder China?
Sonnenhaus
Diese abgesenkten Handlungsanforderungen erinnern stark an historische Zusammenhänge in unserem Land, die das Denunziantentum zur Überwachung der Bevölkerung erst ermöglichten. Darum auch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung so wichtig ist. Hoffen wir auf ein positives Urteil durch das Verfassungsgericht und einer Zurückweisung der kriminalisierenden Einschränkungen durch das von CSU geschaffene Gesetz.
elma
Bei solchen christlich rechtsradikalen politischen Entscheidungsträgern in Bayern kann man mittlerweile nur noch auf die Gerichte hoffen.. Wenn Klimaschutz zum “Nachteile für das Gemeinwohl” mit ein bisschen Islamophobia aufgepeppt wird, haben wir bald nichts mehr zu lachen..
Genosse Luzifer
Klar doch, und bei Beamten reicht es leider nicht wenn sie verfassungsfeindliche Memes und Gesprächsverläufe auf ihren Handys haben, aus rassistischen Motiven heraus in ihrer Freizeit Menschen verprügeln (wie der eine Polizist aus der EG Rex in Neukölln), mit Brandstiftenden und mutmaßlich mordenden Nazis sympathisieren und Opfern die Akteneinsicht verweigern (wie zwei Staatsanwälte im Zusammenhang mit dem "Neukölln-Komplex"), Tatortvideos von Morden durch Beamte leider leider direkt zu Beginn abbrechen und Dokumente gefälscht werden (alles Dessau), Sie Mitglieder in einer rechtsextremen Vereinigung sind, dabei illegal Schnellfeuerwaffen besitzen und Leichensäcke bestellen (Nordkreuz) oder halt mit 150km/h stockbesoffen eine Frau zu Tode fahren (Berlin, im Berufungsverfahren eine Geldstrafe weil man der Getöteten eine Mitschuld angedichtet hat)...
Aber hey, verfolgen wir ein paar Ökos mit dem Verfassungsschutz und diffamieren sie im Privatleben. Als möchte Deutschland einem jeden Tag füttern, mit einem kleinen Löffel voller
Brot&Rosen
die info der polizei drekt an meinen arbeitgeber in den 70er jahren war teil der "hexenjagd" (berufsverbote); da sie gegen mich nur wenig unternehmen konnten, da ich weder beamtin noch in staatsdiensten beschäftigt war.
mein arbeitgeber hielt allerdings zu mir und stellte sie zu mir durch. ich war damals noch nicht so schlau, die polizei deswegen anzuzeigen.
Perkele
Das ist ein weiteres Beispiel für den Verfall der Sitten und des Rechtes in Deutschland. Man muss den Aktionen der Klimakids nicht uneingeschränkt zustimmen, doch es sind Bürger*innen einer Demokratie und eines -noch- Rechtsstaates. Wenn jedoch die Grundlagen dieses Systems von dem Staat selbst angegriffen werden, dann ist das ein sehr gefährliches Warnzeichen. Wir brauchen bei solchen Eingriffen des Staates gar nicht erst auf die AfD zu warten - es wird längst praktiziert. Dazu gehört auch, dass die in jüngster Zeit vorgenommenen Abschiebungen GEGEN Gesetzesauflagen einfach doch durchgeführt wurden. DAS sind Erosionserscheinungen unserer Rechtsstaatlichkeit. No less.
Laughin Man
Will nicht jemand dieses Bayern haben? Vielleicht zusammen mit Sachsen, Thüringen. Dann sind die Kosten für die Mauer auch nicht so hoch!
Aurego
@Laughin Man Selbst Österreich würde sich das wahrscheinlich zweimal überlegen.
Wir können aber was viel Besseres versuchen, in Gang zu bringen: Die Abspaltung von Franken von Bayern. Das müsste eigentlich verfassungskonform zu bewerkstelligen sein. Ganz nach dem Motto: "Divide et impera!"