Abschiebungen nach Afghanistan: Worüber wir sprechen sollten
Nach dem Angriff fordern Politiker*innen mehr Härte gegen Migrant*innen. Menschenrechte aber gelten für alle.
P hysische und psychische Folter, Todesfälle im Polizeigewahrsam, Kollektivstrafen gegen die Zivilbevölkerung, außergerichtliche Hinrichtungen, Steinigungen: Dies ist nur ein Ausschnitt der Menschenrechtsverletzungen, die die UNO in Afghanistan beklagt. Noch immer harren Tausende, denen Deutschland eigentlich Schutz versprochen hat, unter der Herrschaft der Taliban aus. Jetzt aber fordern Politiker*innen von Union, SPD und FDP, man müsse endlich wieder nach Afghanistan abschieben, zumindest Straftäter und Gefährder.
Es ist der große Wunsch nach einfachen Lösungen für komplexe Herausforderungen. Ja, ein abgelehnter Asylbewerber aus Afghanistan hat in Mannheim mehrere Menschen mit einem Messer schwer verletzt, ein Polizist ist gestorben. Und ja, die Ermittler*innen gehen davon aus, dass er die Tat „aus religiösen Gründen“ begangen hat.
Angriffe wie den von Mannheim aber kann man nicht einfach mit Abschiebungen verhindern. Der Täter war weder als Islamist noch auf sonst eine Art jemals auffällig geworden. Auch hatte er inzwischen als Sorgeberechtigter eines deutschen Kindes – zu Recht – einen regulären Aufenthaltstitel. Natürlich gibt es auch jene, die mit radikalen Ideologien einreisen oder die sich hier in Deutschland radikalisieren. All diesen Fällen ist gemein: Es braucht mehr als populistische Demonstrationen vermeintlicher Handlungsfähigkeit.
Das Stichwort lautet Prävention. Während aber mancher laut nach Abschiebungen ruft, wacht der Finanzminister über den Haushalt. Und just jene Projekte, die sich mit Integration und psychosozialer Betreuung von Geflüchteten befassen, mit Demokratieerziehung, politischer Bildung oder Teilhabe, bangen um ihre Finanzierung. Darüber sollten wir sprechen – nicht über Abschiebungen, die hoffentlich niemals kommen.
Zu Recht verbieten die Genfer Flüchtlingskonvention und die europäische Menschenrechtskonvention Abschiebungen in Länder, in denen Folter, unmenschliche Behandlung oder schwere Menschenrechtsverletzungen drohen. Afghanistan ist ein solches Land. Und Menschenrechte haben es an sich, für alle zu gelten – auch für Straftäter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour