: Was wir schützen müssen
Sophie von der Tann wird für ihre Nahostberichterstattung mit dem Friedrichs-Preis ausgezeichnet und erfährt nun schärfste Kritik. Das ist ein Angriff auf die Pressefreiheit
Von Ann-Kathrin Leclere
Sucht man dieser Tage nach Sophie von der Tann, landet man mitten in der deutschen Nahost-Debatte. Ihre Arbeit als ARD-Korrespondentin in Tel Aviv, bekannt für sorgfältige Einordnung und transparente Quellen, ist erneut politischer Spielball. Auslöser ist die geplante Verleihung des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises am 4. Dezember.
Während die FAZ die Entscheidung ein „fatales Zeichen“ nennt und die Jüdische Allgemeine sie als „grundfalsch“ und „aberwitzig“ kritisiert, warnt Reporter ohne Grenzen vor „Einschüchterungsversuchen“. Nachdem der Pressesprecher der israelischen Streitkräfte, Arye Shalicar, sie als „das Gesicht vom neu-deutschen Juden- und Israelhass“ bezeichnete, ist klar: Hier geht es weniger um journalistische Qualität als um ein aufgeheiztes Klima.
Zwölf Initiativen fordern laut FAZ sogar eine „externe Untersuchung“ ihrer Arbeit. Konkreter Gegenstand der anhaltenden Kritik an ihrer Person ist etwa, dass sie im Juli dieses Jahres einen New-York-Times-Artikel des Genozidforschers Omer Bartov geteilt hatte, der Israel des Völkermords beschuldigt. Zudem soll sie laut Welt in einem Hintergrundgespräch darauf verwiesen haben, dass der 7. Oktober eine „Vorgeschichte“ habe.
Das Gesamtbild ihrer Berichterstattung und auch der Inhalte ihrer Social-Media-Kanäle zeichnet allerdings ein anderes Bild, als es ihr FAZ, Welt oder die Israelische Botschaft nun vorwerfen wollen. Von der Tann berichtet bereits seit 2021 aus Israel, spricht mehrere Sprachen, arbeitet mit vielen Quellen und macht transparent, was verifizierbar ist – und was nicht.
Gerade im Gaza-Krieg ist das essenziell: Journalist:innen werden seit Langem nicht mehr in den Gazastreifen gelassen. Berichterstattung stützt sich zwangsläufig auf Menschen vor Ort, die eigene Perspektiven haben. Aufgabe von Journalist:innen ist es dann, diese Stimmen einzuordnen, nicht zu glätten.
Wer das tut, wird jedoch in einer polarisierten Debatte schnell verdächtigt, „einseitig“ zu sein. Genau hier zeigt sich das zugrunde liegende Muster: In der Logik der Polarisierung kann eine Journalistin nicht gleichzeitig integer, menschenrechtsbewusst und ausgewogen sein. Jede Nuance wirkt wie Parteinahme.
Von der Tann arbeitet auch bewusst dagegen an. In einer Reportage, in der sie mit der israelischen Armee Tunnelsysteme besucht, hält sie etwa fest: „Ob der Strom von den UN-Gebäuden kam, kann ich nicht überprüfen.“ Wie sollte man es noch transparenter machen, als zu sagen, was man weiß und was nicht und von wem die Informationen kommen?
Die taz-Autorin Gilda Sahebi schrieb treffend: „Kein Krieg ohne Polarisierung.“ Doch diese Polarisierung verschiebt heute die Bewertung journalistischer Arbeit weg von Fakten – hin zu politischer Loyalität.
Wie sehr Wahrnehmung statt Realität dominiert, zeigt eine LMU-Studie: Nur ein Viertel der Deutschen hält die Nahosterichterstattung für ausgewogen. 30 Prozent sehen eine Verzerrung zugunsten Israels, 9 Prozent zugunsten der Palästinenser:innen. Beides kann nicht gleichzeitig stimmen, doch die Debatte tut so, als müsse Journalismus die Erwartungen jeder Seite erfüllen.
Was dabei unterschätzt wird: Angriffe auf einzelne Journalist:innen sind Angriffe auf die Pressefreiheit und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Der ÖRR soll laut Medienstaatsvertrag die „demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft“ erfüllen.
Das gelingt nur, wenn Korrespondent:innen wie von der Tann geschützt werden – ebenso wie die wenigen Stimmen aus Gaza, die gegenwärtig überhaupt noch berichten können. Und natürlich müssen gleichzeitig Menschen vor Antisemitismus und Rassismus geschützt werden.
Dass von der Tann nun ausgezeichnet wird, ist daher kein politisches Statement, sondern eine Anerkennung journalistischer Professionalität. BR-Informationsdirektor Thomas Hinrichs nennt ihre Arbeit „unverzichtbar in einer Zeit, in der Desinformation an der Tagesordnung ist“. Die Frage sollte also nicht sein, ob uns von der Tanns Haltung gefällt, sondern wie wir unabhängige Berichterstattung schützen – bevor sie unter dem Druck der Polarisierung verschwindet.
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