Catcalling auf Berlins Straßen: Geiler Arsch ist kein Kompliment
Die Bundesjustizministerin will verbale sexuelle Belästigungen strafbar machen. Doch das Problem liegt eher in der frauenfeindlichen Rechtsprechung.

D arf ich mal abbeißen?“, hat er gefragt und seine Lippen geleckt. Ein anderer: „Ey, guck mal die geile Schlampe. So eine muss man direkt ficken, von vorne und von hinten.“ Klar diskriminierend – und trotzdem ist Catcalling, also verbale sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum, hierzulande als berührungslose Belästigung nicht strafbar.
Dabei reichen die Folgen von emotionalen Schäden bis hin zu psychischen Erkrankungen. Und es fängt früh an: Das Durchschnittsalter für den ersten Catcall beträgt in Deutschland Studien zufolge 15,5 Jahre. Die Täter sind zu fast 100 Prozent Männer.
Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) hat sich nun dafür ausgesprochen, Catcalling unter Strafe zu stellen. Im Koalitionsvertrag hatten SPD und Union vereinbart, zu prüfen, ob eine Erweiterung des strafrechtlichen Schutzes vor Belästigungen möglich ist.
Eine Umfrage des Spiegel unter den Landesjustizminister*innen zeigt nun: Die meisten Länder (sieben) sind für ein gesetzliches Verbot, drei sind dagegen, darunter Berlin. Sechs Länder sind nicht eindeutig dagegen, wollen aber einen Vorschlag abwarten. Manche würden Probleme in der Praxis sehen. Bayern etwa habe erklärt, dass es schwierig sei, im Gesetz eine „klare Grenze“ zwischen „unangebrachten, aber noch zulässigen Äußerungen“ und „unzulässigen Belästigungen“ zu ziehen.
Das Problem ist keine Strafbarkeitslücke
Doch das Argument zieht nicht: Verbale Grenzüberschreitungen sind in den allermeisten Fällen eindeutig. Für Grauzonen ist der Rechtsstaat da: um zu prüfen, abzuwägen und je nach Kontext zu entscheiden. Dass andere Länder wie Frankreich, Portugal oder die Niederlande Catcalling längst mit Geldstrafen ahnden, zeigt: Es ist machbar.
Die Voraussetzung ist ein Verständnis für die Lebensrealitäten von Frauen und echter Wille, Frauen zu schützen. Aber genau daran fehlt es in der deutschen Justiz. Das zeigen Vorfälle, in denen Catcalling zur Anzeige gebracht wurde. Denn Catcalling kann bereits als Beleidigung nach Paragraf 185 StGB, der die Ehre schützt, strafrechtlich geahndet werden. Doch am Ehrverständnis der Staatsanwält*innen hapert es. So gilt „Du Schlampe“ als Beleidigung der Ehre, „geiler Arsch“ hingegen nicht. 2017 urteilte der Bundesgerichtshof, die Aussage eines 65-jährigen Mannes gegenüber einem 11-jährigen Mädchen, er wolle ihr „an ihre Muschi fassen“, enthalte keine „herabsetzende Bewertung“.
Es zeigt sich: Das Problem ist keine Strafbarkeitslücke, es ist eine Haltungslücke – basierend auf einem misogynen Verständnis von Ehre. Statt Gewalt gegen Frauen konsequent zu ahnden, tragen Justiz und Institutionen durch sexistische Verfahrensweisen zur Fortsetzung der Gewalt bei – etwa, indem Frauen eingeschüchtert, nicht ernst genommen werden oder Täter-Opfer-Umkehr betrieben wird. Es braucht daher Sensibilisierungsschulungen für Polizei und Justiz, wie man Frauen in solchen Situationen zu befragen hat.
Zudem ist ein Verbot von Catcalling sinnvoll – auch wenn das Problem nicht die Strafbarkeitslücke ist. Denn: Gesetze haben auch eine symbolische Funktion. Sie spiegeln die Moralvorstellungen der Öffentlichkeit wider. Wer Catcalling nicht unter Strafe stellt, wie der schwarz-rote Senat und Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU) es wohl planen, vermittelt: niedrigere frauenfeindliche Gewaltformen sind akzeptabel. Eine Strafbarkeit hingegen würde signalisieren: Sexismus beginnt nicht erst bei körperlicher Gewalt.
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