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Empörung,um zu spalten

Das Merz’sche „Migrationspaket“ wird Gewalttaten nicht verhindern. Es wird die Probleme größer machen, wovon nur die AfD profitiert. Die Partei lebt von der Spaltung in „Wir“ und „Die“

Am Mittwoch im Bundestag: Freude über die bröckelnde Brandmauer bei der AfD Foto: Maurice Weiss/Ostkreuz

Von Gilda Sahebi

Die Abgeordneten der AfD lachen, sie freuen sich, reichen sich die Hände. Es ist eines der Bilder dieser Woche, die in Erinnerung bleiben werden. Es ist Mittwochabend. Soeben haben CDU/CSU gemeinsam mit der AfD einen Antrag zur Migrationspolitik durch den Bundestag gebracht. Der Antrag, der beschlossen wurde, ist rechtlich nicht bindend. Entscheidender ist der Zusammenschluss von CDU/CSU, AfD, FDP: Diese Parteien verschafften dem Unionsantrag eine Mehrheit.

Es ist das erste Mal, dass die Konservativen sich mit den Extremisten im Bundestag zusammengetan haben. Es ist, das steht zu befürchten, erst der Anfang einer Zusammenarbeit, die schließlich zu einer Regierungskoalition von Union und AfD führen wird. Möglicherweise zuerst auf Länder-, schließlich auch auf Bundesebene. Es geht nicht um das Ob, es geht um das Wann. Es ging allerdings immer nur um das Wann – ab dem Tag, als die AfD einen Platz im parlamentarischen System der Bundesrepublik errang. Der Grund für diese Annahme ist die immer gleiche autoritäre Logik.

Noch im November hatte Friedrich Merz erklärt, die CDU werde „nur die Entscheidungen auf die Tagesordnung des Plenums setzen, über die wir uns zuvor mit Ihnen von der SPD und den Grünen in der Sache geeinigt haben, sodass weder bei der Bestimmung der Tagesordnung noch bei den Abstimmungen in der Sache hier im Haus auch nur ein einziges Mal eine zufällige oder tatsächlich herbeigeführte Mehrheit mit denen da von der AfD zustande kommt“. Zwei Monate später haben CDU/CSU nun das Gegenteil getan: Weder haben sie sich über ihre Anträge mit den anderen demokratischen Parteien geeinigt, noch haben sie verhindert, dass eine Mehrheit mit der AfD zustande kam.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hatte den Plänen der Merz-CDU, die Grenzen „ausnahmslos“ zu schließen, schon vor den Beratungen im Bundestag eine Absage erteilt. Flächen­deckende Kontrollen und Zurückweisungen an den Grenzen seien „nicht durchsetzbar“. Andreas Roßkopf, in der GdP zuständig für die Bundespolizei, sagte gegenüber dem ZDF: „Wir sind mit der Art und Weise der Grenzkontrollen, die wir jetzt schon betreiben, am Rande des Machbaren.“

In Zeiten, in denen autoritäre Kräfte erstarken, orientiert sich Politik aber nicht am Machbaren. Sie orientiert sich an dem, was die Autoritären vorgeben. Autoritäre Kräfte wirken über Spaltung, nicht über gute Politik. Die AfD liegt in Umfragen seit Monaten bei etwa 20 Prozent. SPD und Grüne haben zusammen je nach Umfrageinstitut rund 30 Prozent Zustimmung. Von einer Mehrheit ist die AfD also weit entfernt. Dennoch bestimmt sie politische Entscheidungen maßgeblich, wenn nicht hauptsächlich, mit.

Wie autoritäre Parteien und Po­li­ti­ke­r:in­nen derart einflussreich werden, lässt sich derzeit in vielen Staaten beobachten: den USA, den Niederlanden, Ungarn, Frankreich. Schon 2018 hat der amerikanische Politikwissenschaftler Daniel Ziblatt in seinem Werk „Wie Demokratien sterben“ ebendiese Mechanismen detailliert niedergeschrieben. Im vergangenen Jahr sagte er in einem Podcast, er beobachte, dass autoritäre Kräfte auf die immer gleiche Weise vorgehen. Es sei im Prinzip eine Faustregel, sagt Ziblatt, dass „in jeder Demokratie, in jedem Moment in der Geschichte 20 bis 30 Prozent der Wäh­le­r:in­nen die Idee eines Demagogen, ­einer anti­liberalen, antidemokratischen Partei oder eines Anführers reizvoll finden werden“. Die Frage sei, wie man mit diesen Kräften umgehe. Denn die Verletzlichkeit einer Demokratie rühre von Menschen her, die miteinander um Macht ringen, die ein Amt erlangen wollen – dann sei es für eine demokratische Partei oder Po­li­ti­ke­r:in sehr verlockend, sich mit diesen autoritären Akteuren oder Kräften zu verbünden, meint Ziblatt.

In dieser Woche haben Friedrich Merz und seine CDU/CSU-Partei­kolleg:innen, die ihren Antrag mit Hilfe der AfD durch das Parlament brachten, ebendiese Verletzlichkeit der Demokratie herbeigeführt. Autoritäre Kräfte wie die AfD in Deutschland oder Donald Trump in den USA müssen im Prinzip nur abwarten und die Bevölkerung polarisieren. Das Thema, das sich in westlichen Demokratien historisch am besten dafür nutzen lässt, ist die Einwanderung. Die Geschichte des „Wir“ gegen „Die“ wurde in dieser Woche im Bundestag einmal mehr erzählt.

Die politische Instrumentalisierung dieser Erzählung ist besonders riskant, weil die Gräben in der immer schon polarisierten deutschen Einwanderungsgesellschaft nun drohen noch tiefer zu werden. Das liegt auch am deutschen Staatsbürgerschaftsrecht, das es eingewanderten Menschen bis zum Jahr 2000 praktisch unmöglich machte, Deutsche zu werden. Auch ihre Kinder, die in Deutschland geboren wurden, blieben Ausländer. Der Grund dafür war ein Gesetz von 1913: Es beruhte auf dem Abstammungsprinzip und ließ Menschen, die nicht deutschen „Blutes“ waren, nicht als rechtlich gleichgestellte Bür­ge­r:in­nen gelten.

Die Teilung der Bevölkerung in „Deutsche“ und „Ausländer“ war jahrzehntelang Gesetz. Eine echte Einwanderungsgesellschaft konnte so trotz Millionen eingewanderter Menschen nicht entstehen. Weder in der ­Bundesrepublik noch in der DDR, wo Menschen als Ver­trags­ar­bei­te­r:in­nen ins Land geholt, aber vom Rest der ­Gesellschaft getrennt wurden.

Schon 1999 kämpfte die CDU gegen eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechts und nutzt das Thema auch heute noch fortwährend zur Polarisierung. Der deutsche Pass werde „verramscht“, heißt es im Wahlkampf besonders oft von der Union – und hier trifft sie sich mit der AfD. Diese autoritär gesinnte Partei denkt in der Logik des Staatsbürgerschaftsrechts von 1913 und agiert maßgeblich entlang der Spaltungslinie „Wir Deutsche“ gegen „Die Ausländer“. Sicherheit, Wohlstand, jegliche Interessen von „echten“ Deutschen werden gegen die vermeintliche Bedrohung von eingewanderten Menschen ausgespielt. Die Rechte von Eingewanderten sollen beschnitten werden – zum Wohle der Deutschen, so die gemeinsame Erzählung von Union und AfD. Beide Parteien fordern, Deutsche, die eingebürgert sind, wieder auszubürgern. Die CDU nahm dieses Vorhaben jüngst in ihr Wahlprogramm auf.

Das ist der Grund, warum eine Regierungskoalition zwischen CDU/CSU und AfD nach dieser Woche ein großes Stück näher gerückt ist. Denn ob es dazu kommt, hängt nicht etwa von der Union ab. Sondern allein von äußeren Umständen. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Thorsten Frei, erklärte die Kehrtwende der Union kürzlich mit einer „fundamental neuen Sachlage“ nach der Attacke von Aschaffenburg. Neue Ereignisse scheinen frühere Versprechen der CDU also wertlos werden zu lassen – und damit freilich auch jenes Versprechen von Friedrich Merz, er werde niemals mit der AfD koalieren. Inhaltlich sind Union und AfD zu Fragen von Einwanderung und Migration auf einer Linie. Bei ihren Forderungen zu Einwanderung und Migration gibt es zwischen Union und AfD kaum noch Unterscheide.

Hier muss eine autoritäre Kraft wie die AfD nichts anderes tun, als abzuwarten. Denn das nächste Gewaltverbrechen, das von einer eingewanderten Person ausgeübt wird, wird kommen. Jede Gewalttat – ob die tägliche Tötung von Frauen oder ein Messer­angriff – ist in ihrem Zustandekommen weitaus komplexer, als dass ein „Migrationspaket“ sie verhindern könnte. Sie hat vielfältige Ursachen, von denen eine nach der anderen untersucht und bearbeitet werden müsste. Natürlich kann eine dieser Ursachen in nicht funktionierenden Regeln zur Migration liegen. Die grundsätzliche Kriminalisierung von Mi­gran­t:in­nen macht jedoch die Probleme größer. Genau darauf wartet derweil die AfD, die von ebendiesen Problemen profitiert.

Zum „Wohlder Deutschen“ sollen die Rechte Eingewanderter beschnitten werden

In den USA hat es Donald Trump durch seine Tiraden gegen „illegale Migranten“ zurück ins Weiße Haus geschafft. Er machte eine vermeintliche „Invasion“ an der Südgrenze der USA zum Hauptthema seiner Wahlkampagne. Wie sehr er dieses Thema braucht, zeigte seine Ablehnung eines Migrationsgesetzes, das Demokraten und Republikaner noch unter Joe Biden beschließen wollten. Es enthielt einen Großteil der Forderungen Donald Trumps – er aber verbot seiner Partei, dafür zu stimmen. Autoritäre Kräfte wollen Probleme nicht lösen. Sie wollen sie instrumentalisieren.

SPD und Grüne inszenieren sich derweil als De­mo­kra­t:in­nen und wollen die Situation auf ihre Weise nutzen. Sie, die Aufrechten; Union und AfD, die Unaufrechten. Dabei wird leicht vergessen, dass beide Parteien in den vergangenen Jahren Debatten und Gesetzesverschärfungen, die auf der Kriminalisierung von Menschen beruhen, mitgetragen oder sich nicht gegen sie gestellt haben. Außerdem haben die beiden Parteien nicht mal angedeutet, dass das gemeinsame Abstimmen der Union mit der AfD einer eigenen Koalition mit der Union nach den Wahlen im Wege stehen könnte.

So bleibt nach dieser Woche vor allem das Bild der fröhlichen AfD-Abgeordneten, während eine Welle der Empörung durch das Land zieht. Empörung über die „anderen“ ist aber auch der Treibstoff, mit dem autoritäre Kräfte fahren. Sie brauchen Empörung, um zu spalten. Sie brauchen Spaltung, um aufzusteigen. Die Einzigen, die davon profitieren, sind sie selbst.

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