Nazi-Pamphlet: Diese Recherche war nötig

Im Zuge der Affäre um Hubert Aiwanger gibt es Kritik an der „Süddeutschen Zeitung“. Darf man in dieser Form über einen Skandal berichten?

Politiker Hubert Aiwanger Freie Wähler bei der VdK-Großveranstaltung

Redet immer frei von der Leber weg: Hubert Aiwanger von den Freien Wählern in Bayern Foto: Dwi Anoraganingrum/imago

Mit einer Recherche zu einem antisemitischen Flugblatt, das beim jungen Hubert Aiwanger gefunden wurde, hat die Süddeutsche Zeitung nicht nur den bayerischen Landtagswahlkampf durcheinandergewirbelt. Viele Jour­na­lis­t*in­nen diskutieren seit der Veröffentlichung der entsprechenden Seite 3 in der SZ: Darf man in dieser Form über diesen Skandal berichten?

Die kurze Antwort lautet: Ja, dafür gibt es Regeln. Die ausführliche Antwort folgt in diesem Text.

Zunächst ist es wichtig zu klären, um was es geht: Sechs Wochen vor der Landtagswahl in Bayern hat die SZ über einen Verdacht gegen den stellvertretenden Ministerpräsidenten von den Freien Wählern berichtet. Hubert Aiwanger wird zur Last gelegt, als 16-jähriger Gymnasiast mutmaßlich ein antise­mitisches Flugblatt geschrieben und an seiner Schule ausgelegt zu haben. Aiwanger hat diesen Verdacht schriftlich zurückgewiesen. Nach der Veröffentlichung in der SZ verfasste sein Bruder Helmut ein Bekennerschreiben: Er habe das Flugblatt erstellt.

Es ist wichtig festzustellen, dass Hubert Aiwanger auf Landes- und auf Bundesebene ein einflussreicher Politiker ist. Grundsätzlich haben Wäh­le­r*in­nen ein Anrecht, den Werdegang ihres politischen Personals zu kennen. Man kann sich nur eine fundierte Meinung über jemanden machen, wenn man weiß, dass er*­sie in jungen Jahren (keine) menschenfeindliche Pamphlete mutmaßlich verfasst, verteilt, aufbewahrt oder schweigend geduldet hat. Diese Recherche ist also journalistisch betrachtet nötig.

Wie viel Storytelling braucht eine Recherche?

Der Medienjournalist Stefan Niggemeier hat auf dem Portal Übermedien einen Text zur SZ-Berichterstattung in dieser Sache veröffentlicht. Seine Kritik richtet sich an die SZ als Ganzes: „Vor allem die Seite-3-Geschichte (…) ist problematisch, weil sie nicht nüchtern über die Vorwürfe berichtet, sondern all jenen Munition gibt, die ihr unterstellen, eine Agenda zu haben: Aiwanger kurz vor der Wahl wegzuschreiben. Es ist ein Text, dem jede Distanz zu sich selbst fehlt.“

Niggemeier seziert mehrere Stellen des SZ-Berichts, kritisiert dabei den Ton des Texts. Man kann Niggemeiers Perspektive als Stilkritik verstehen. Tatsächlich gibt es Textstellen, an denen die nötige Präzision fehlt.

So endet die Seite 3 in der SZ mit einer Rede der CSU-Landtagspräsidentin Ilse Aigner. Sie sagte vor wenigen Wochen im Plenum: „Unsere Demokratie ist echt, sie ist lebendig und keinesfalls formal. Wir müssen uns die Demokratie auch nicht zurückholen.“ Im Plenum saß auch Hubert Aiwanger. Die SZ schreibt direkt nach dem staatstragenden Zitat von Aigner folgenden Satz: „Jeder wusste, wen sie meinte.“ Wer wiederum mit „jeder“ gemeint ist, bleibt offen. Auf solche vage Sprachkonstruktionen hätte man verzichten können, dem Text hätte dies gutgetan.

Wie viel Storytelling braucht es, um eine Recherche für Le­se­r*in­nen attraktiv zu machen? Niggemeier und andere argumentieren in Richtung: mehr Nüchternheit. Man kann, solange alle Informationen stimmen und präzise formuliert sind, journalistisch aber auch anderer Meinung sein. Es ist durchaus angebracht, transparent zu machen, wo man als Au­to­r*in­nen­team steht.

Guter Journalismus braucht Handwerk und Haltung

Beim Thema Antisemitismus, wie auch bei anderen Formen der Menschenfeindlichkeit, kann man auch argu­mentieren, dass eine Ablehnung dieser Menschenfeindlichkeit die Basis für guten Journalismus sein kann. Jede Redaktion muss da für sich den Weg finden, eine vielfältige Medienlandschaft erledigt den Rest.

Im Seite-3-Text der SZ wird vor allem der Recherche-Weg der Au­to­r*in­nen transparent nacherzählt: wie die SZ an das besagte Pamphlet kam, wie eine Archivsuche in der alten Schule Aiwangers scheiterte, wie die Re­cher­cheu­r*in­nen nach einer alten Facharbeit Aiwangers suchten.

Am wichtigsten ist die transparente Methodik, mit der die Jour­na­lis­t*in­nen ihre Berichterstattung untermauern: Ein von der SZ engagierter Schriftexperte hat unabhängig das antisemitische Pamphlet und die Facharbeit verglichen und ist zum Schluss gekommen, dass beide Dokumente „sehr wahrscheinlich“ auf der­selben Schreibmaschine verfasst wurden. Das ist eine journalistische Leistung, die es anzuerkennen gilt.

Es dauerte tatsächlich nicht lange, bis rechtskonservative, rechtsnationale und rechtsextreme Medienhäuser Aiwanger in Schutz nahmen. Im Hause Springer sieht man gar in der SZ-Recherche eine „Hexenjagd“, die NZZ macht aus der Causa Aiwanger gar eine „Affäre der Süddeutschen Zeitung“. Doch eins liegt nahe: Die Freunde von Hubert Aiwanger hätten aus diesem Skandal eine „Hexenjagd“ gemacht, selbst wenn die SZ trockenst-nüchtern berichtet hätte.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.