Antisemitismus und Hubert Aiwanger: Seine brisante Vergangenheit

Freie-Wähler-Chef Aiwanger steht wegen eines antisemitischen Flugblatts aus seiner Jugend unter Druck. Sein Bruder bekennt sich dazu. Kritik bleibt.

Wahlplakat mit Hubert Aiwanger für die Freien Wähler vor der Landesgeschäftsstelle in München

Turbulenzen im Wahlkampf: Aiwangers Vergangenheit holt ihn ein Foto: Uwe Lein/dpa

München dpa/taz | Nach dem Wirbel um Bayerns Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger und ein antisemitisches Flugblatt ringen die Landespolitiker vor der Landtagswahl um Schadensbegrenzung. Mitten im Wahlkampf hatte Freie-Wähler-Chef Aiwanger am Samstag schriftlich zurückgewiesen, als Minderjähriger zu Schulzeiten in den 1980er Jahren das Flugblatt verfasst zu haben, über das die Süddeutsche Zeitung (SZ) berichtet hatte.

Wenig später räumte Aiwangers Bruder ein, das Pamphlet geschrieben zu haben. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte zuvor von Aiwanger Aufklärung gefordert: „Es sind schlimme Vorwürfe im Raum. Dieses Flugblatt ist menschenverachtend, geradezu eklig.“

Aiwanger und Söder haben am Sonntag tagsüber mehrere Termine – Aiwanger in Ansbach und Weihenzell in Mittelfranken, Söder in Aufhausen bei Regensburg und in Bamberg. Mit Spannung wird erwartet, ob sie dort zu ihren Äußerungen vom Vortag öffentlich Stellung nehmen. Aiwanger war am Samstag, als die Vorwürfe gegen ihn im Raum standen, nicht zu einem Volksfest-Umzug in Augsburg erschienen.

In Bayern wird am 8. Oktober ein neuer Landtag gewählt. Die CSU hatte stets erklärt, die Koalition mit den Freien Wählern nach der Wahl fortsetzen zu wollen. Alle Umfragen hatten bis zuletzt fast keinen Zweifel daran gelassen, dass dies auch möglich sein wird – wobei die Freien Wähler zuletzt bei 11 bis 14 Prozent lagen. Die CSU regiert im Freistaat seit der Wahl 2018 zusammen mit den Freien Wählern.

Aiwanger wirft SZ Schmutzkampagne vor

Nach den Aufklärungsaufforderungen von Söder und auch aus der Bundesregierung hatte der 52 Jahre alte Aiwanger in einer schriftlichen Erklärung mitgeteilt: „Ich habe das fragliche Papier nicht verfasst und erachte den Inhalt als ekelhaft und menschenverachtend.“ Es seien lediglich damals Exemplare des Flugblatts in seiner Schultasche gefunden worden. Über einen Sprecher hatte Aiwanger der SZ bereits zuvor mitgeteilt, er habe „so etwas nicht produziert“, und eine „Schmutzkampagne“ beklagt.

Wenig später räumte sein ein Jahr älterer Bruder ein: „Ich bin der Verfasser des in der Presse wiedergegebenen Flugblattes.“ In einer persönlichen Erklärung sagte er weiter: „Ich distanziere mich in jeder Hinsicht von dem unsäglichen Inhalt und bedauere sehr die Folgen dieses Tuns. Ich war damals total wütend, weil ich in der Schule durchgefallen war.“

Die Freien Wähler, deren Bundesvorsitzender und Aushängeschild Hubert Aiwanger ist, stellten sich demonstrativ hinter ihn und verurteilten den Inhalt des Pamphlets. „Als Bundespartei legen wir besonderen Wert darauf, uns noch einmal in aller Deutlichkeit von dem fraglichen Flugblatt abzugrenzen“, heißt es in einer Mitteilung. „Wir Freien Wähler stehen für ein entschiedenes Einschreiten gegen alle Erscheinungsformen des Antisemitismus.“

Der stellvertretende Bundesvorsitzende Martin Petry fügte hinzu: „Wir kennen Hubert Aiwanger seit vielen Jahren, nicht nur aus der Zusammenarbeit im Bundesvorstand, und haben von ihm noch nie eine einzige antisemitische Äußerung gehört.“ Der Parlamentarische Geschäftsführer Fabian Mehring hatte zuvor beklagt, „welche Kampagnen sechs Wochen vor wichtigen Wahlen gegen uns gefahren werden, nachdem wir Freie Wähler auf der politischen Erfolgswelle schwimmen“.

Scharfe Kritik auch aus dem Bund

Am Samstag hatten sich zahlreiche Bundes- und Landespolitiker zu Wort gemeldet und von Aiwanger eine Stellungnahme eingefordert. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte beim Twitter-Nachfolger X geschrieben: „Wer die Opfer von Auschwitz verhöhnt, darf in unserem Land keine Verantwortung tragen. Die schwerwiegenden Vorwürfe müssen dringend aufgeklärt werden.“ Mehrfach wurde Aiwangers Rücktritt gefordert, wenn sich die Vorwürfe bewahrheiten sollten. Die SPD hatte eine Sondersitzung des Landtags verlangt.

Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe: „Selbst wenn Aiwanger das Flugblatt nicht selbst verfasst, aber mit sich getragen und verteilt haben sollte, lassen die widerlichen und menschenverachtenden Formulierungen Rückschlüsse auf die Gesinnung zu, die dem zugrunde lag.“

Aiwanger war zuletzt wegen umstrittener Äußerungen auf einer Kundgebung bundesweit in die Schlagzeilen geraten. Er hatte dort unter anderem gesagt, dass die schweigende Mehrheit sich die „Demokratie zurückholen“ müsse. Ihm wurde daraufhin – wie schon oft – Populismus vorgehalten. In der bayerischen Landesregierung ist Aiwanger Minister für Wirtschaft und Energie.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.