Philosoph über Moral in der Klimakrise: „Sie wissen ganz genau, was richtig ist“
Fliegen trotz Klimakrise? Philosoph Arnd Pollmann spricht darüber, ob klimaschädliches Verhalten uns zu unmoralischen Menschen macht.
taz: Herr Pollmann, die Menschheit rast auf eine Zukunft in chaotischem Klima zu, das zu mehr Hitzetoten, Sturmopfern und Hungernden führen wird. Trotzdem steigen viele Menschen weiter ins Flugzeug, essen Fleisch, fahren SUV. Ist das unmoralisch?
Arnd Pollmann: Es kommt darauf an, wie so oft. Da konkurrieren in der philosophischen Ethik recht unterschiedliche Ansätze und im Alltag übrigens auch. Wenn Sie etwa an eine unbedingte Pflicht glauben, dem Klima und der Umwelt nicht unnötig zu schaden, dann werden Sie sehr viel zu Hause bleiben und Ihre Ernährung umstellen müssen. Wenn Sie jedoch eine sogenannte Utilitaristin sind und Ihren moralischen Output nüchtern bilanzieren, dürfen Sie munter weiter in die Ferne schweifen – solange Sie als Aktivistin viele andere davon überzeugen, es nicht zu tun.
wurde 1970 geboren und ist Professor für Ethik und Sozialphilosophie an der Alice Salomon Hochschule Berlin.
Dem Klima nicht unnötig zu schaden, sagten Sie gerade. Unter welchen Umständen könnte es denn nötig sein?
Als Menschen und Mitmenschen haben wir teilweise sehr verschiedene Pflichten, und gelegentlich kommt es da zu Kollisionen. Nehmen wir an, Sie müssten kurzfristig zu einer Beerdigung im Familienkreis, und Sie werden das eben nur schaffen, wenn Sie das Flugzeug nehmen. Dann muss man abwägen. Und wenn Sie fliegen, dann stimmt natürlich Ihre Klimabilanz nicht mehr, Ihre Ethikbilanz aber sehr wohl.
So kann man doch aber fast jeden Klimaschaden verargumentieren. Die meisten Menschen versuchen ja nicht aktiv, unsere Lebensgrundlage zu zerstören – sie bewerten aber im Zweifelsfall andere legitime Ziele höher.
Das stimmt. Was aber noch viel häufiger vorkommt, sind Rationalisierungen: In Wahrheit wissen Sie ganz genau, was zu tun das Richtige wäre, aber Sie haben einfach keine Lust oder keine Kraft dazu, und dann reden Sie sich und anderen die eigene Willensschwäche schön. Es herrscht aber oft auch Unklarheit, worum genau es bei dem moralischen Konflikt geht. Um Schadensvermeidung, Respekt, Freiheit, Autonomie? Um Glück, Mitleid, Rücksicht, Menschenwürde? Oder vor allem darum, vernünftig oder auch ein guter Mensch zu sein? Da gibt es nicht die eine Ethik, die den Durchblick hat und alle Probleme löst. Nur wenn Sie sich für einen bestimmten Ansatz entscheiden, können Sie im konkreten Fall nachvollziehbar begründen, was zu tun ist.
Es gibt ja auch strukturelle Hemmnisse: Wer schlecht an den ÖPNV angebunden ist, kann zum Beispiel kaum aufs Auto verzichten. Spielt das für Sie eine Rolle?
Strukturelle Hindernisse und individuelle Zwänge mögen Einfluss auf unsere jeweils persönliche Motivation haben, das moralisch Richtige dann auch tatsächlich zu tun. Manchmal können sie unser Fehlverhalten auch nachträglich entschuldigen. Aber auf die Richtigkeit oder Falschheit der Handlung selbst haben sie in der Regel keinen Einfluss. Es ist und bleibt moralisch falsch, einen anderen Menschen auszubeuten, auch wenn wir im Kapitalismus leben. Und es ist und bleibt falsch, gravierend das Klima zu schädigen, solange Sie nicht mit vorgehaltener Waffe dazu gezwungen werden.
Ich fand Ihr Beispiel mit der Klimaaktivistin vorhin interessant. Nachdem zwei von der Letzten Generation nach Thailand geflogen waren, gab es große Empörung. Viele Menschen verlangen denen also mehr Moral im Privatverhalten ab als der Durchschnittsperson.
Ich selbst würde mich auch eher auf diese Seite schlagen und für eine Art doppelten Standard plädieren. Wenn man allein auf die Konsequenzen, den konkreten Schaden der jeweiligen Handlung schaut, scheint am Ende dasselbe herauszukommen – egal, wer fliegt. Klimaaktivist:innen stehen aber potenziell im Rampenlicht. Die Kritik an ihrem Fehlverhalten, an mangelnder Konsequenz, zieht größere Kreise. Im Endeffekt richtet diese Inkonsequenz dann eben doch größeren Schaden an als das Handeln einer x-beliebigen Durchschnittsperson, für die sich niemand interessiert.
Da muten Sie Klimaaktivist:innen aber eine ganz schöne Verantwortung zu. Ist Doppelmoral wirklich schlimmer als keine Moral?
Das gehört zum aktivistischen Berufsrisiko. Sonst sollte man es lassen. Allerdings muss man hier unterscheiden zwischen der moralischen Richtigkeit oder Falschheit einer bestimmten Position und der persönlichen Glaubwürdigkeit, mit der jemand diese Position vertritt. Die Forderungen der Klimabewegung werden ja nicht schon dadurch falsch, dass einige ihrer Mitglieder inkonsequent handeln. Was in diesem Fall leidet, ist deren persönliche Glaubwürdigkeit. Das ist das eigentliche Problem klimaaktivistischer Doppelmoral: Diese Aktivista wollen ja andere von der Richtigkeit ihrer Auffassungen überzeugen. Diese anderen werden sich aber natürlich fragen: Warum sollte ich aufs Fliegen oder auch aufs Auto verzichten, wenn diese Typen das nicht mal selbst tun. Die handeln wie ein Vater, der mit Kippe im Maul seinem Kind einzutrichtern versucht, Rauchen sei ungesund. Das stimmt zwar, wird aber so nicht funktionieren.
Von wem die Öffentlichkeit ein besonderes Maß an Glaubwürdigkeit erwartet, ist doch manchmal gar nicht so absehbar. Wie sieht das zum Beispiel mit uns beiden aus: Ich berichte über die Klimakrise, Sie erforschen Moral – wir wären doch auch gute Kandidat:innen, oder?
Ja, natürlich. Würden Sie sich von einer Zahnärztin mit schlechten Zähnen behandeln lassen? Oder von einem Eheberater, der zum vierten Mal geschieden ist? Entsprechend sollten auch unsere Leser:innen annähernd darauf vertrauen können, dass wir selbst zumindest anstreben, wofür wir schreibend eintreten. Gerade deshalb aber sollte man die jeweils publizierten Maßstäbe auch nicht zu hoch hängen, sondern stattdessen auch immer mit der eigenen Willensschwäche rechnen. Zumal wir in einer Welt medialer Shitstorms leben. Hochmut kommt vor dem Fall.
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