Pro und Contra zu #MenAreTrash: System gegen Individuum

Unter dem Hashtag #MenAreTrash soll über strukturelle Gewalt diskutiert werden. Doch ist es okay, alle Männer als Abfall zu bezeichnen?

Ein Mensch hockt lächelnd vor drei roten, riesigen Müllcontainern

Schubladendenken gehört auf den Müllhaufen der Geschichte Foto: Usplash/ Jeremy Thomas

Auf Twitter wird derzeit unter dem Hashtag #MenAreTrash über Patriarchat und strukturelle Gewalt gegen Frauen diskutiert. Und gestritten. Vor allem darüber, ob es okay ist, Männer pauschal als „Müll“ zu bezeichnen. Ist es das?

Ja, sagt Daniel Schulz

Der Slogan #MenAre­Trash ist nicht nett. Warum sollte er das auch sein? Woher kommt die Idee, gesellschaftliche Veränderungen würden mit Anstand erreicht? Das geht in Ausnahmefällen, die Machthaber sind da meist bereits am Ende. Hat in Armenien in diesem Frühjahr funktioniert. Hat am Ende der DDR halbwegs geklappt. Ist aber nicht die Regel.

Die Französische Revolution war nicht friedlich. Die Konflikte mit den alten Eliten nach Ende des Kaiserreichs waren nicht friedlich. Oder wenn man es kleiner haben will: Was wären all die Kämpfe für kürzere Arbeitszeiten und mehr Lohn ohne sichtbare Wut gewesen, die dem politischen Gegner sagte: Verhandele mit uns, oder es wird ungemütlich. Wut auszudrücken, wenn es nicht vorangeht mit den Veränderungen, die man erreichen will, gehört zum Repertoire sozialer Bewegungen. Ohne Wut als Druckmittel, ist die relative Nettigkeit von Verhandlungen über diese Veränderungen nicht möglich.

Es gibt auch nette Fabrikbesitzer. Sie gehörten und gehören dennoch zu Gruppen, deren Macht beschnitten werden muss, um mehr Freiheiten für andere zu erreichen

Wer den Vergleich von twitternden Frauen mit Menschen, die noch ordentlich im Straßenschmutz gekämpft haben, lächerlich findet: Das Lächerlichmachen von Wut gehörte immer schon zum Repertoire der Gegner von sozialen Veränderungen. Und wollen die, die so reden, ernsthaft die radikalen Suffragetten zurück, die Briefkästen in die Luft jagten und Häuser anzündeten, weil es in Großbritannien unter George V. nicht vorangehen wollte mit dem Wahlrecht für Frauen?

Ja, #MenAreTrash adressiert eine Gruppe. Pauschalisierung nennen das auch Linke. Es gäbe doch nette Männer. Es gab auch nette Adlige im Ancien Régime. Es gibt auch nette Fabrikbesitzer. Sie gehörten und gehören dennoch zu Gruppen, deren Macht beschnitten werden muss, um mehr Freiheiten für andere zu erreichen.

Die Entstehung „Es ist ein strukturelles Problem, dass Männer Arschlöcher sind“, diesen Tweet veröffentlichte die freie Journalistin und taz-Autorin Sibel Schick Ende Juli bei Twitter. Die Politikerin und Aktivistin Jutta Ditfurth kritisierte den Tweet öffentlich, was eine Diskussion in den sozialen Medien auslöste und für beide Autorinnen in einem Shitstorm endete. Als Reaktion auf die Hassnachrichten schrieb Schick für das Missy Magazine das Gedicht „Männer sind Arschlöcher“.

Die Debatte Das Gedicht löste eine erneute Debatte über strukturelle Diskriminierung aus. Diese wird unter dem schon vorher bestehenden Hashtag #MenAreTrash geführt, das kurzzeitig zum meistgeteilten Hashtags innerhalb des deutschsprachigen sozialen Netzwerks wurde. Kritische Stimmen kamen dabei nicht nur von rechten Trollen, sondern auch von linken User*innen. Seit Dienstag wird deswegen diskutiert, ob man Männer als Müll bezeichnen darf.

In Gruppen sind immer manche mächtiger und rücksichtsloser als andere. Dennoch sind nicht die Individuen selbst das Hindernis für Gleichberechtigung, sondern die Privilegien der Gruppe und das daraus abgeleitete Verhalten ihrer Mitglieder. Wie der Adlige wird der Mann in seinen Status hineingeboren. Dafür kann er nichts. Seine Vorrechte beschränken die Freiheiten von Frauen trotzdem. Dass der Graf auf seiner Burg saß, während der Mann abends neben einem im Bett liegt, ändert daran grundsätzlich nichts. Welche Vorrechte? Welches Verhalten? Kann man googeln. Oder sehen. Wer schlägt wen häufiger? Wer tötet wen, und welche Strafen gibt es dafür? Wer nimmt Elternzeit, und wer geht arbeiten? Wer quatscht wem im Büro ständig rein? Wer spricht öffentlich? Wer macht die unbezahlte Arbeit zu Hause? Wer wechselt den Namen nach der Hochzeit?

Das sind sehr verschiedene Dinge. Ihr Zusammenspiel macht ein System aus. Wer sie nur einzeln betrachtet, erkennt natürlich keins. Die neoliberale Idee, so etwas wie eine Gesellschaft mit Strukturen und Zwängen und Vorrechten für die einen und Nachteilen für die anderen gäbe es gar nicht, ist recht populär. Man könnte sich aber auch fragen: Gibt es Zusammenhänge? Gibt es – zum Beispiel – bei der Erziehung von Männern, gemeinsame Elemente, die Gewalttätigkeit, Rücksichtslosigkeit und Grenzüberschreitung fördern? Könnte man fragen, jedenfalls dann, wenn man sich ernsthaft als links versteht.

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Nein, sagt Ariane Lemme

Das Herz linken Denkens ist, das Individuum statt die Masse zu sehen. Weil man den einzelnen Menschen, wenn man ihn mal wirklich sieht, mit seiner Geschichte, seinen Identitäten und Brüchen, kaum hassen kann. Schlechter jedenfalls als gesichtslose Gruppen. Das ist, zumindest für mich, der wichtigste Schluss, der sich aus der Geschichte, aus Barbarei und Unterdrückung jeder Art, ziehen lässt.

Linkssein, dachte ich immer, speist sich eben auch daraus, sich nicht der rechten Praxis der Verallgemeinerung zu bedienen. Sondern schlauer zu sein. Mitfühlender. Genauer hinzuschauen.

Wir lassen uns ja zum Glück auch sonst nicht von der Lüge der falschen Ableitung leiten, wie es Rechte gern tun. Etwa dann, wenn die von einem verwirrten Gotteskrieger auf „eine Religion des Terrors“ schließen. Von einer Belästigung auf „Horden von Nordafrikanern“. Wir wissen: Das ist Gift.

Klar, und was ist mit „Soldaten sind Mörder“, „all cops are bastards“, rufen mir Kollegen zu. Urlinke Schlachtrufe! Ja, fand ich auch mal probat. In meinen Prä-Twenties, als ich linkes Denken noch mit Krawall­aktivismus verwechselt habe. Und, ach ja: Wann noch mal wurden Polizeistaat und Kriege für immer abgeschafft?

Das irgendwie soll doch zumindest mit dem Patriarchat passieren, oder? Die Frage ist, wie wir es anstellen.

Alle Männer müssen sich jetzt bitte mal kurz hinsetzen und über ihren Part im System nachdenken, heißt es. Da braucht es eben mal Verallgemeinerung.

Auf Provokation reagieren die meisten nicht mit stiller Einkehr und Einsicht – sondern mit Trotz. Denken hingegen – ganz gleich in welche Richtung, löst das quasi nie aus

Sorry, aber erinnert das nicht irgendwie an Kritik und Selbstkritik? Wir erinnern uns, wie das – haha, linke – Projekt des Sozialismus ausging. Wen soll das bekehren außer den Bekehrten?

Den Bekehrten zu predigen und andere vor den Kopf zu stoßen, ist allerdings leider Lieblingshobby und ewige Falle der Linken. Aber was haben wir von den Bekehrten, den Männern, die sich jetzt schämen? Was für Partner – im Leben, in der Liebe aber auch im Kampf gegen Unterdrückung von Frauen – sollen an ihrer Kollektivschuld leidende Männer sein?

Klar, ein Hashtag wie #Men­Are­Trash tut nicht wirklich weh. Das können diese durch Jahrtausende der Unterdrückung gestählten Kerle schon mal wegstecken. Diese Maschinen. Ein Hashtag schmerzt nicht so, wie Ungleichheit, Belästigung, Rassismus schmerzen. Und ja, Wut ist gut und oft ein Motor für Veränderungen.

Aber ich stelle trotzdem mal eine steile These auf: Als Individuum, als Wesen mit Gefühlen und Trieben, ticken die meisten Menschen, Männer wie Frauen, sehr ähnlich, ganz gleich welcher Gruppe, welchem System sie angehören. Ganz gleich, auf welcher Seite – wenn wir schon im alten Barrikadendenken bleiben wollen – sie stehen. Auf Provokation reagieren die meisten nicht mit stiller Einkehr und Einsicht – sondern mit Trotz. Denken hingegen – ganz gleich in welche Richtung –, löst das Reiz-Reaktions-Schema quasi nie aus.

Aber vielleicht geht’s auch gar nicht darum, gemeinsam nachzudenken. Die Aufklärung, schrieben Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, hebelte sich selbst aus, als ein neues Wirtschaftssystem entstand, das allem einen Marktwert zuwies.

Und was ist heute schon so viel wert wie mediale Aufmerksamkeit?

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Redakteur im Ressort Reportage und Recherche. Autor von "Wir waren wie Brüder" (Hanser Berlin 2022) und "Ich höre keine Sirenen mehr. Krieg und Alltag in der Ukraine" (Siedler 2023). Reporterpreis 2018, Theodor-Wolff-Preis 2019, Auszeichnung zum Team des Jahres 2019 zusammen mit den besten Kolleg:innen der Welt für die Recherchen zum Hannibal-Komplex.

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