Attacken im Libanon: Genial gezielt oder wahllos?

Mutmaßlich Mossad-Agenten haben mit einem gezielten Angriff das Kommunikationssystem der Hisbollah lahmgelegt. Ist das legitim?

Angehörige von Opfern,stehen vor dem Eingang eines Krankenhauses und reden miteinander während sie warten

Angehörige von Opfern, die am Vortag durch explodierte Pager verletzt wurden, warten am Notfalleingang des Krankenhauses in Beirut Foto: Hussein Malla/ap

Zeitgleich und massenhaft explodierten am Dienstag Pager der Hisbollah-Miliz im Libanon, deren Ziel die Zerstörung Israels ist. Mindestens zwölf Menschen wurden dabei getötet und bis zu 2.800 verletzt. War die den Israelis zugeschriebene Attacke legitim?

Ja

natürlich ist es legitim, in einem Krieg den Feind so anzugreifen, dass zivile Opfer auf ein Minimum beschränkt werden. Was denn sonst? Der Angriff mit in den Pagern der libanesisch-schiitischen Hisbollah verstecktem Sprengstoff leistet genau das.

Allen Anzeichen nach steckt der Mossad, Israels legendärer Auslandsgeheimdienst, hinter dieser militärischen Glanzleistung. Ausgerechnet die neuen Pager, die die Terrororganisation eigens bestellt hatte, um sich gegen das Ausspioniertwerden zu schützen, mit Sprengsätzen zu versehen, ist einfach genial.

Die Hisbollah zielt auf die Zerstörung Israels

Nun ließe sich diskutieren, ob der Angriff auch strategisch schlau war. Dass er Israel seinem Ziel näher bringt, den Norden zu befrieden und die zigtausenden Binnenflüchtlinge sicher in ihre Wohnungen zurückkehren zu lassen, ist fraglich. Die Hisbollah, für die der Angriff eine schwere Demütigung bedeutet, droht mit Vergeltung. Letztendlich entscheidet Teheran über das militärische Vorgehen ihrer libanesischen Handlanger, und die Ajatollahs hielten sich bislang an die ungeschriebenen Regeln, um eine Ausweitung des Krieges zu verhindern. Dass sie das tun, ist auf die militärische Übermacht der Gegner zurückzuführen und die Tatsache, dass ein größerer Krieg für alle Beteiligten eine Katastrophe wäre.

Ohne den iranischen Einfluss und ohne die Hisbollah hätten die beiden Nachbarstaaten längst Frieden miteinander schließen können. Israel hat seine Truppen vor knapp einem Vierteljahrhundert abgezogen. Es geht bei dem Konflikt weder um Gebietsansprüche noch um die Befreiung eines unter Besatzung lebenden Volkes. Die Hisbollah zielt auf die Zerstörung Israels oder – wie es in ihrem Programm heißt – das Ende des „kleinen Teufels“. Aus dem Kampf gegen die Zionisten ziehen die Terroristen ihre Raison d’être. Dass vorerst rund 4.000 Kämpfer außer Gefecht gesetzt sind, ändert an der Lage wenig. Man muss es aber auch nicht bedauern.

Susanne Knaul

Nein

die Explosion von tausenden Pagern im Libanon war ein wahlloser Angriff. Solche sind durch das Völkerrecht verboten. Ein wahlloser Angriff ist, wenn militärische Ziele und Zivilpersonen oder zivile Objekte ohne Unterschied getroffen werden. Die Angreifer konnten nicht abschätzen, wo sich die Geräte befinden. Sie explodierten in Privathäusern, Einkaufszentren, auf Straßen mit starkem Verkehr.

Das sind keine Kampfgebiete, sondern unverteidigte Orte. Wen die Pager-Sprengfallen treffen, kann der israelische Geheimdienst nicht steuern: Hisbollah-Funktionäre, den iranischen Botschafter, den Sohn eines Hisbollah-Abgeordneten, einen Hisbollah-Kämpfer, der gestern die Raketen-Abschussanlage bedient hat, oder dessen Frau und Kind. Die Hisbollah ist nicht nur Miliz. Sie hat Abgeordnete, Minister, eigene Krankenhäuser, Rettungssanitäter. Welchem ihrer Mitglieder die Hisbollah einen Pager gab, können die Angreifer nicht wissen.

Im Libanon macht sich Angst breit

Hätte umgekehrt die Hisbollah Funkgeräte von israelischen Sol­da­t*in­nen zur Explosion gebracht, während diese Äpfel einkaufen, wäre das als terroristischer Anschlag benannt und verurteilt worden. Die terroristischen Angriffe auf Pager richteten sich gegen unbewaffnete Menschen, die ihrem täglichen Leben nachgingen. Selbst wenn die Pager-Inhaber Hisbollah-Kämpfer sind, ist es ein Kriegsverbrechen, sie anzugreifen, wenn sie sich außer Gefecht befinden. Hier wurde die Arglosigkeit und Wehrlosigkeit der Opfer ausgenutzt.

Hinzu kommt die psychologische Wirkung und das politische Ausmaß. Menschen trugen unwissentlich Bomben in Hosentaschen an öffentliche Plätze. Eine Explosion mitten im Supermarkt, blutende Menschen auf der Straße. Die Angst macht sich breit, ziviles Opfer eines israelischen Angriffs zu werden und dass der Krieg sich nun endgültig ausweitet, mit Libanon als Hauptschauplatz. Es ist eine willentliche massive Eskalation durch Israel.

Julia Neumann

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1961 in Berlin geboren und seit 2021 Redakteurin der Meinungsredaktion. Von 1999 bis 2019 taz-Nahostkorrespondentin in Israel und Palästina.

Auslandskorrespondentin für Westasien mit Sitz in Beirut. Hat 2013/14 bei der taz volontiert, Journalismus sowie Geschichte und Soziologie des Vorderen Orients studiert. Sie berichtet aus dem Libanon, Syrien, Iran und Irak, vor allem über Kultur und Gesellschaft, Gender und Fragen der sozialen Gerechtigkeit. Für das taz Wasserprojekt recherchiert sie im Libanon, Jordanien und Ägypten zu Entwicklungsgeldern.

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