Streit bei den Grünen um Asylpolitik: Irgendwann ist es zu viel
Die Grünen verhärten sich in der Asylpolitik. Das Irre daran: Sie werden derzeit für eine Politik kritisiert, die sie gar nicht umsetzen.
D rei Tage lang lief der Parteitag der Grünen weitgehend ruhig, selbst als es um die Schuldenbremse und die nun fehlenden 60 Milliarden Euro im Klima- und Transformationsfonds ging, die die Umsetzung grüner Politik in der Ampel noch weiter erschweren werden. Erst in der Debatte zur Migrations- und Asylpolitik entlud sich das Unbehagen, das sich in Teilen der Basis gesammelt hat. Darüber, dass die Grünen an den härtesten Asylrechtsverschärfungen der letzten 30 Jahre beteiligt sind; und dass es falsch sei, einen Rechtsruck damit zu beantworten, den Rechten immer weiter entgegenzukommen. Kritik an den eigenen Spitzenleuten zu formulieren, Dampf abzulassen, war wichtig für die Partei. Ob es Konsequenzen haben wird? Darf man bezweifeln.
Für führende Spitzen-Grüne ist klar: Angesichts der gesellschaftlichen Stimmung wäre es falsch, in der Asyldebatte die Humanität zu stark zu betonen, stattdessen müssen die Grünen auch über Ordnung sprechen: also über Steuerung, Begrenzung, Abschiebung. Sonst, so die Analyse, würden sie weiter an gesellschaftlicher Zustimmung verlieren, am Ende wieder in der Nische landen.
Das Irre daran: Die Grünen werden derzeit für eine Politik kritisiert, die sie gar nicht umsetzen. Das gilt für konsequente Klimapolitik und auch für humanitäre Asylpolitik. Ihre Konsequenz daraus: weitere Zugeständnisse. An der gesellschaftlichen Stimmung ändert das bislang nichts. Im Gegenteil. Man kann also bezweifeln, dass diese Strategie richtig ist. Eine andere aber, die regierungstauglich wäre, gibt es im Moment nicht. Ratlos blicken die Grünen darauf, wie sich die Stimmung gegen sie und eine progressive Politik gewendet hat – und wie erfolgreich die AfD gerade ist.
Richtig ist es aber, dass der Parteitag den Antrag der Grünen Jugend abgelehnt hat, die ihren Spitzenleuten die Zustimmung zu weiteren Asylrechtsverschärfungen untersagen wollte. Es hätte die grünen Regierungsmitglieder vor die Alternative gestellt: im Bund und auf europäischer Ebene nicht mehr verhandeln zu können oder sich über einen Parteitagsbeschluss hinwegsetzen zu müssen. Zwei ausgesprochen schlechte Alternativen.
Dass Habeck, Baerbock und die Parteivorsitzenden in die Debatte eingriffen, zeigt, wie nervös die Spitze war. Inhaltlich wurde dabei wenig diskutiert. Das zentrale Argument: Die Regierungsbeteiligung stehe auf dem Spiel. Und dass die Asylpolitik ohne die Grünen wahrlich nicht besser würde. Damit hat die Spitze die Partei auf ihren Kurs gezwungen und auch mit einem Versprechen gelockt: Wir haben gehört, dass eure Kompromissbereitschaft Grenzen hat. Die gleiche Ansage allerdings haben sie im Juni gemacht, als es um das europäische Asylrecht ging. Danach kamen weitere Verschärfungen. Ob die Partei das ein drittes Mal mitmacht? Irgendwann könnte es selbst den staatstragenden Grünen zu viel werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste