Streiks und Stimmungsmache: Weselsky verspielt Empathie
Streiks bauen auch auf Verständnis, die GdL droht das zu verspielen. Konservative warten schon darauf, deshalb das Streikrecht einzuschränken.
M an braucht derzeit starke Nerven, um den eigenen Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln zu planen. Hartgesottene etwa buchten in den vergangenen Tagen vorsichtshalber gleich mehrere Platzkarten für diverse Züge in der Hoffnung, dass wenigstens einer davon fährt.
Wirklich lustig ist das nicht. Es zeigt sich mal wieder, was das Dilemma ist bei den Streiks in den alltagswichtigen Dienstleistungen, sei es die Bahn, seien es Kitas oder Krankenhäuser. Letztlich wird von Dienstleistungskräften, die oft, aber nicht immer, schwer belastet und schlecht bezahlt sind, Druck ausgeübt auf Kosten von Unschuldigen, von Pendler:innen, Eltern, Patient:innen.
Dieser Widerspruch kann politisch nur ausgehalten werden, wenn es einen Rest Empathie der betroffenen Kund:innen mit den Streikenden gibt: Ja, ist zwar Mist, dass die Kita zu hat, aber die Erzieher:innen haben es echt schwer; ist zwar lästig, dass die S-Bahn nicht fährt, aber das Personal hat schlimme Arbeitsbedingungen.
Diese Empathie ist ein hohes politisches Gut, das derzeit bröselt. Der rücksichtslose Kommunikationsstil von GdL-Chef Claus Weselsky ist dabei nicht hilfreich. Deswegen hat die Union leichtes Spiel darin, jetzt eine Einschränkung des grundgesetzlich garantierten Streikrechts zu fordern. Es ist Stimmungsmache.
Aber die Gewerkschaften, sei es die GdL oder Verdi, tragen auch Verantwortung, Streikziele und Mittel in der Öffentlichkeit so zu kommunizieren, dass betroffene Kund:innen wenigstens noch etwas Verständnis aufbringen können. Dazu reichen Zeichen. Zum Beispiel zu garantieren, dass die Bahn nicht an Ostern streikt, wenn sich Familien besuchen. Auch die Ausstände der diversen Beschäftigtengruppen im Flugverkehr ließen sich besser koordinieren.
Wirken Streiks wie Erpressungen und nicht mehr wie Arbeitskämpfe der Schwachen, dann droht uns, dass wir die Einschränkung des Streikrechts im nächsten Wahlkampf auf die politische Agenda bekommen. Das kann eine Mehrheit nicht wollen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen