Solidarität mit Palästina: Das Ringen um Palästina als globaler Kampf
Dem Freiheitskampf Palästinas wird universelle Bedeutung zugeschrieben. Gerecht ist diese selektive Solidarität nicht, aber sie hat gute Gründe.

C he Guevara besuchte Gaza 1959, Malcolm X folgte 1964. Frantz Fanon hat sich zu Palästina nie geäußert, doch lag die arabische Übersetzung von „Die Verdammten dieser Erde“ bereits 1963 in Beiruter Buchläden und prägte manche Ideen der aufkommenden palästinensischen Befreiungsbewegung.
Deren Kampf wird seit mehr als einem halben Jahrhundert mit einer transnationalen, gar universellen Bedeutung versehen – Palästina als Spiegel, in dem sich Entrechtete wiedererkennen. „When I see them, I see us“, lautet ein jüngerer Slogan afroamerikanischer Verbundenheit mit Palästina. Ikonisch wurde Nelson Mandelas Satz „Wir sind nicht frei, solange Palästina nicht frei ist“.
Ist eine derartige Hierarchie von Solidarität gerecht? Nein. Ob Rohingya, Uiguren oder Sudanesen in Darfur: Sie alle erleiden Unterdrückung, die zum Genozid tendieren. Unter ewiger Besatzung leben die maurischen Sahraoui ebenso wie die Papua. Dies sind anstrengende, schwerer begreifbare Konflikte, deren Komplexität Beobachter rasch ermüdet. Solidarität ist so wenig gerecht verteilt wie alle Güter dieser Erde.
Gleichwohl gibt es gute Gründe, warum das Thema Palästina besonders welthaltig ist. Zunächst die historischen: Europa entsorgte dort sein Antisemitismus-Problem, ohne sich je für die Folgen verantwortlich zu fühlen. Und die Palästinenser verloren ihr Land just in jenem Moment, als andere sich von kolonialer Herrschaft befreiten.

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Es wird oft übersehen, dass der Plan der Vereinten Nationen zur Teilung Palästinas 1947 und die Gründung Israels 1948 auf den Scheitelpunkt zweier Epochen fielen, der kolonialen Ära und der beginnenden Dekolonisierung.
Für die Annahme des Teilungsplans in den UN reichten 33 Stimmen, weil ein Großteil der Welt noch keine Stimme haben durfte. Aus den damals 57 Mitgliedsstaaten sind heute 193 geworden. Das Anwachsen der UN-Generalversammlung war ein Prozess der Versüdlichung, der sich immer wieder in Abstimmungen zu Palästina niederschlug.
Wie in einem Brennglas fängt das Thema die gelingende ebenso wie die stockende Demokratisierung der Weltverhältnisse ein.
Indiens Rolle bei der Zweistaatenlösung
Dazu noch ein kleiner Exkurs: Indien war 1947 gerade unabhängig geworden und machte sich gemeinsam mit Iran und Jugoslawien gleich daran, für Palästina eine föderale Lösung zu entwerfen. Das Minderheitsvotum scheiterte in den UN, und Indien stimmte gegen den Teilungsplan, wie wir ihn kennen.
Heute gehört Narendra Modi, der Premierminister Indiens, zu Netanjahus ethno-nationalistischer Freundschaftsachse. Die damals verworfene jüdisch-arabische Föderation Israel-Palästina bleibt eine Vision für die Zukunft.
Palästina als One-fits-all Kampf für Linke?
Aber es gibt auch schlechte Gründe, vom globalen Palästina zu sprechen. In einem antisemitisch müffelnden Weltbild verkörpert Israel die Quintessenz imperialer Unterdrückung und weißer Vorherrschaft, den ultimativen Schnittpunkt von Kapitalismus und Rassismus.
Von der Seitenlinie her würde ich mir wünschen, dass solche Auswüchse klarer zurückgewiesen werden. Doch für manche ist die Palästina-Solidarität zu einem One-fits-All linker Bedürfnisse geworden, weil international kein anderes emanzipatives Projekt zur Identifikation einlädt.
Bleiben wir indes bei dem, was unzweifelhaft Palästina zum Symbol macht: Es handelt sich hier um das zugleich längste und beste dokumentierte Unrecht.
Ein Schaukasten zur Illustration, wie machtlos internationales Recht und internationale Institutionen sind, wenn eine Seite eines Konflikts mächtigen, westlichen Schutz genießt. Jüngst wurde Gaza zum globalen Abbild der unterschiedlichen Wertigkeit von Leben – nicht so schamhaft und beiläufig wie in vielen anderen Fällen menschlicher Not, sondern offen und ungeschminkt.
Die internationale Gaza-Bewegung hat auf schreckliche Weise recht bekommen: Sie hat früh vor einem Genozid gewarnt und nun findet er statt, vor unseren Augen.
Dass wir dabei zusehen müssen, mitschuldig und hilflos, verweist auf das Demokratiedefizit, das gleichfalls zum Symbol Palästina gehört: Die Empathie von Bevölkerungsmehrheiten zählt für die Politik der Eliten in diesem Fall wenig, so ist es schon lange in den arabischen Staaten, so ist es nun auch in Europa und kaum anders im Globalen Süden.
Gewiss ist das Demokratiedefizit gleichfalls ein innerpalästinensisches: Hamas und Autonomiebehörde verkörpern, neben vielem anderen, zwei Gesichter von Verantwortungslosigkeit. Der Kontrast zwischen der weltweiten Popularität des palästinensischen Anliegens und das Alleinlassen der Menschen in Gaza und der Westbank könnte größer kaum sein.
To-Do's für die Pro-Palästina-Bewegung
Aus all diesen Gründen muss die Pro-Palästina-Bewegung versuchen, „zur Welt“ zu sprechen, in einen globalen Echoraum hinein, auf die kumulative Wucht von Sympathie hoffend. Das reicht von Pop-Konzerten über die Kandidatur der ersten Miss Palestine bei der Miss-Universe-Wahl bis zu einem offiziellen Beitrag des Staates Palästina zum Oscar-Wettbewerb.
Dazu gehören aber auch Bücher, die sich an die Welt wenden, wie gerade eine „globale Anthologie“ des Bethlehemer Theologen Mitri Raheb – „Theology after Gaza“.
Hinter der moralischen Anklage bleiben politische Konzepte weit zurück. Die Bewegung hat sich von der Zwei-Staaten-Lösung verabschiedet, lässt aber offen, was zwischen Fluss und Meer geschehen soll – zu offen vielleicht. Dessen ungeachtet beteiligen sich an den Protesten in einem früher undenkbaren Maße jüdische Minderheiten. Sie möchten den Judaismus von zionistischer Umklammerung befreien – auch dies ein globales Projekt.
Das Wort Palästina, schrieb der Literaturkritiker Edward Said einmal, stehe für die Hoffnung, dass ein historisches Desaster in eine bessere Zukunft transformiert werden könne. Unsere Zeit ist nicht gerade reich an solcher Hoffnung.
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