Rechte Codes und Chiffren: So erkennst du rechte Sprache
Um zu verstehen, wie Rechtsextreme ticken, muss man ihre Codes kennen. Die wichtigsten Begriffe in einer Liste.
Cancel Culture: Rechte wollen für ihre rassistischen, beleidigenden, diskriminierenden, antifeministischen und queerfeindlichen Aussagen keine Verantwortung übernehmen. Legitime Kritik heißt dann schnell „Cancel Culture“. Natürlich erst recht, wenn man wegen seiner reaktionären Haltung zuvor einen Job verloren hat oder gar ein öffentlicher Auftritt abgesagt wurde. Wie tiefgreifend und nachhaltig Cancel Culture das Leben mächtiger, weißer Männer zerstört, kann man an Rammsteins ausverkauften Welttourneen oder Donald Trumps zweiter Präsidentschaft gut sehen.
Remigration: Ursprünglich u.a. in der Wissenschaft gebräuchlicher Fachbegriff für eine Rückkehr von Exilant*innen und Migrant*innen ins Herkunftsland. Dahinter stecken völkische Reinheitsphantasien. Mittlerweile verwendet den Begriff vor allem die extreme Rechte – als Kampfbegriff und Euphemismus für rassistische Vertreibungen und millionenfache Abschiebungen. Die AfD hat den Begriff in zahlreiche Wahlprogramme übernommen.
Genderwahn: Auch als „Gendergaga“, „Genderismus“ oder „Gender-Ideologie“ geläufig. Geht einher mit antifeministischen Erzählungen und Überspitzungen, um queere und emanzipierte Lebensweisen und Vielfalt zu diskreditieren. Die Auswüchse reichen von offener Trans- und Queerfeindlichkeit und Gewalt bis hin zu Wissenschaftsfeindlichkeit: Die AfD will Gender Studies an den Universitäten abschaffen.
Woke/Wokeismus: stammt eigentlich aus der afroamerikanisch-emanzipierten Kreisen in den 1930ern. Woke waren Leute, die sich aufgeklärt haben und politisch „aufgewacht“ sind, also die rassistischen Verhältnisse und sozialen Ungerechtigkeiten erkennen. Mittlerweile wird der Begriff weltweit als negatives Schimpfwort und rechter Kampfbegriff benutzt, um linke Politik und Ziele abzuwerten.
Political Correctness/Politische Korrektheit/„PC“: Gilt ähnlich wie „woke“ innerhalb der Rechten als Topos einer angeblich überbordenden Korrektheit, um Antidiskriminierung oder Minderheitenschutz zu diskreditieren. Wird gern auch auf die Wutbürgerparole von der angeblich eingeschränkten Meinungsfreiheit heruntergebrochen: „Was darf man eigentlich noch sagen?“
Schuldkult: Geschichtsrevisionistisches Schlagwort, um die deutsche Erinnerungskultur an den Holocaust und den Nationalsozialismus lächerlich zu machen. Der Geschichtswissenschaft wird dabei eine Fixierung auf den Nationalsozialismus vorgeworfen, der „die Deutschen“ daran hindern soll, einen positiven Bezug zur eigenen Nation zu finden. Wurde zuerst in den 80ern von Franz Schönhuber, einem Ex-Mitglied der Waffen-SS und Gründer der rechtspopulistischen „Republikaner“ verwendet und später von AfD-Politikern aufgegriffen – etwa als Gauland den Nationalsozialismus als „Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte verharmloste oder Björn Höcke eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad forderte. Auch Weidel sprach bereits vom „Schuldkult“. Durch derartige geschichtspolitische Tabubrüche versucht die AfD, Erinnerungskultur zu diskreditieren.
Souveränität: Funktioniert als Dogwhistle in Richtung von verschwörungsideologischen Reichsbürger*innen, aber auch, um die europäische Friedensordnung über den Haufen zu werfen und nationalistische Diskurse und Abschottung zu stärken. Wird gern auch geschichtsrevisionistisch benutzt, indem behauptet wird, Deutschland sei kein freies Land und immer noch von den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges besetzt und/oder unterjocht.
Klimahysterie/Ökodiktatur: Die menschengemachte Klimakrise wird trotz eines breiten wissenschaftlichen Konsenses abgestritten und Klima-Aktivist*innen abgewertet. Maßnahmen zur Einleitung der Energiewende, CO₂-Bepreisung oder Umweltregulierungen sind dann schnell Ausdruck einer angeblichen Ökodiktatur.
Islamisierung: Antimuslimische und rassistische Ressentiments führen innerhalb der extremen Rechten häufig zu einer verallgemeinernden Islamkritik, die keine Differenzierung kennt und sich häufig auf Flüchtlinge aus muslimischen Ländern bezieht. Diese werden häufig mit rassistischen Bezeichnungen geschmäht („Messermänner“/„Kopftuchmädchen“). Selten wird zwischen Islamismus und dem Islam unterschieden, stattdessen vor einer voranschreitenden Islamisierung gewarnt, die im Gegensatz zum „christlichen Abendland“ stünde. Diese Islamfeindlichkeit widerspricht der im Grundgesetz garantierten Religionsfreiheit.
Altparteien/Kartellparteien: Mit der Rede von Alt- oder Kartellparteien will vor allem die AfD eine binäre „Wir gegen Die“-Weltsicht etablieren. Die politischen Gegner sollen als abgehobene Elite diskreditiert und gleichzeitig homogenisiert werden. Erhebliche programmatische Unterschiede zwischen den Parteien werden so nivelliert, die autoritär-nationalistische AfD wird dabei als einzige „echte Opposition“ beschrieben, die demokratischen Parteien werden als „postdemokratisch“ geframt. Der Begriff setzt bei bestehenden Unzufriedenheiten mit dem etablierten Politikbetrieb an und unterstreicht zugleich die systemische Fundamentalopposition der AfD. Die „Altparteien“ und ihre Brandmauer gegen die AfD (die von einer Mehrheit gewollt wird) sind in diesem Weltbild dabei der Gegenpol zum angeblichen Mehrheits- und Volkswillen.
Lügenpresse/Lückenpresse: Ist ein Begriff, der in der Bundesrepublik spätestens seit den extrem rechten Pegida-Demos wieder ins öffentliche Bewusstsein gerückt ist und auch häufig in der AfD als Kampbegriff gegen Pressefreiheit und freie Medien, aber auch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk verwendet wird, gern auch synonym mit Begriffen wie Fake News, Systempresse oder Staatsfunk. Lügenpresse existiert als antiaufklärerischer Kampfbegriff gegen eine freie, liberale Presse aber schon seit dem 19. Jahrhundert, häufig auch antisemitisch konnotiert. Auch die NS-Demagogen nutzten den Begriff vielfach als Schlagwort.
Ethnopluralismus: Rassistisches Konzept für die Wunschvorstellung nach ethnisch reinen Staaten. Eine Durchmischung von Kulturen und Völkern wird abgelehnt. Im Grund ist der Begriff eine euphemistische Verharmlosung des klassischen Rassismus, der den Begriff „Rasse“ mit Kultur ersetzt.
Fachkräfte/Goldstücke: Sowohl das Wort „Fachkraft“ als auch das „Goldstück“ wurde innerhalb der Rechten zur sarkastischen Chiffre, die immer dann herausgeholt wird, wenn eine kriminelle Tat durch einen Menschen mit Migrationshintergrund begangen wird. Die rassistische Verallgemeinerung schwingt mit, während die Kriminalitätsstatistiken über die letzten Jahrzehnte bei zunehmender Migration eher rückläufig sind.
Gutmensch/Social Justice Warrior (#SJW)/Bahnhofsklatscher: Versucht Menschen zu diskreditieren, die sich für soziale Gerechtigkeit engagieren, ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe arbeiten oder auch nur ihre zu progressive Meinung sagen. 2015 war „Gutmensch“ noch Unwort des Jahres, weil es „Toleranz und Hilfsbereitschaft pauschal als naiv, dumm und weltfremd“ darstellte oder gar „Helfersyndrom“ oder „moralischen Imperialismus“. Bahnhofsklatscher bezieht sich auf die große Hilfewelle und Willkommenskultur 2015/2016 als Menschen Geflüchtete an Bahnhöfen begrüßten und sich in der Flüchtlingshilfe engagierten.
Der „große Austausch“: Verschwörungsideologische Erzählung, dass linke und liberale Eliten systematisch versuchen, die einheimische europäische Bevölkerung durch nicht-weiße „Masseneinwanderung“ zu ersetzen. Häufig ist auch von „Ersetzungsmigration“ die Rede. Nicht selten ist dabei die Elite auch antisemitisch konnotiert. Siehe auch „Umvolkung“ und „Überfremdung“.
Kulturmarxismus: Stammt als Begriff „Cultural Marxism“ ursprünglich aus der US-amerikanischen Alt-Right-Bewegung. Taucht fast 500-mal im Manifest des norwegischen Rechtsterroristen Breivik auf und gilt als antisemitische Chiffre einer vermeintlichen „jüdisch-marxistischen Weltverschwörung“. In den USA wurden damit jüdische Emigranten der Frankfurter Schule wie Theodor Adorno oder Herbert Marcuse nach ihrer Flucht aus Nazideutschland diffamiert. Sie hätten über Amerika über Lehre, Presse und Hollywood infiltriert und seien Triebfeder für Feminismus, Bürgerrechtsbewegungen und Proteste gegen den Vietnamkrieg. Kam erstmals in den 60ern auf, ist aber seit den 90ern als abwertendes Schlagwort gegen alles „Woke“ auch hierzulande weit verbreitet.
Globalisten/globalistische Elite: Mithilfe der Verschwörungserzählung um Globalismus suggerieren extrem Rechte gerne ein weltweites Wirken angeblicher dunkler Mächte, die im Hintergrund die Strippen ziehen. Die wurzellosen Globalisten werden im Gegensatz zum Volk definiert und wollen mal zwangsimpfen, mal enteignen oder versklaven. Die verkürzte und verschwörungsideologische Elitenkritik ist nicht selten auch antisemitisch konnotiert durch Feindbilder wie den Philanthropen und jüdischen Milliardär George Soros, den Viktor Orbán schon 2013 in seinen Wahlkämpfen dämonisiert hat und der angeblich den mit einem „Soros-Plan“ und der „Flüchtlingskrise“ den „Bevölkerungsaustausch“ plane. Manchmal planen die Globalisten auch eine „Neue Weltordnung“ („New World Order“/„NWO“) oder den „Great Reset“, jedenfalls wollen sie nationale und kulturelle Identitäten auslöschen. Manche wollen auch gleich „Welteinheitsmenschen“ heranzüchten. Häufig sind am Ende dann einfach mal wieder „die Juden“ schuld. Ist auch anschlussfähig an die alte NS-Ideologie von der jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung. Ähnliche verschwörungsideologische Erzählungen spinnen sich auch um die „Atlantikbrücke“, „Bilderberger“, die Familien Rockefeller und Rothschild, Freimaurer und Illuminaten oder gleich „die Finanzoligarchie/Hochfinanz/Wall Street“.
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